Tagesordnungspunkt

TOP Ö 1: Sachstand Ausbildungsinitiative Asyl Landkreis Miltenberg

BezeichnungInhalt
Sitzung:17.10.2016   KA/005/2016 
Beschluss:zur Kenntnis genommen
DokumenttypBezeichnungAktionen

Die Mitglieder des Ausschusses nehmen die Ausführungen zur Kenntnis.


Herr Grauschopf, Geschäftsführer der GbF (Gesellschaft zur beruflichen Förderung Aschaffenburg, ein Tochterunternehmen der Handwerkskammer Unterfranken), gibt einen Einblick zur im Mai 2015 gestarteten Ausbildungsinitiative Asyl im Landkreis Miltenberg aufgrund von Impulsen aus Handwerk und Industrie und der Unterstützung des Kreisausschusses bzw. Kreistages.

 

Aus einer größeren Anzahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die vom Jugendamt gemeldet worden seien, sei durch verschiedene Testverfahren eine Auswahl getroffen worden. Zum damaligen Zeitpunkt habe man acht junge Leute ausgesucht und diese mit viel Aufwand vorbereitet wie Deutschunterricht, interkulturelles Training, Berufsorientierung und Bestandsanalysen. Ursprünglich waren 5 Plätze im Rahmen des Modellversuchs für eine berufliche Ausbildung ab September 2015 geplant gewesen, auf Grund der guten Potentiale entschied man sich dann für 8 Jugendliche.

 

Seit Herbst 2015 seien aus verschiedenen Gründen drei Auszubildende weggebrochen.

 

Heute seien 18 junge Leute in der Ausbildungsinitiative aus elf verschiedenen Ländern,

acht Personen aus Afghanistan, jeweils eine Person aus Aserbaidschan, Elfenbeinküste, Marokko, Guinea, Sudan, Nigeria, Ägypten, Weißrussland, Albanien und Ukraine.

 

Von der Altersstruktur her seien es überwiegend 17- bis 18 Jahre alte Jugendliche (13 Personen), drei Personen mit 19 Jahren, eine Person mit 24 Jahren und 1 Person mit 37 Jahren. Man habe testen wollen, inwieweit die GbF Ausbildungsbetriebe finden könne, die bereit seien, Menschen auszubilden, die über das normale Ausbildungsalter hinausgehen.

 

Man habe 12 Personen im 1. Ausbildungsjahr und

sechs Personen im 2. Ausbildungsjahr.

 

Die Ausbildungsberufe sind folgendermaßen aufgeteilt:

 

7 Bäcker

2 Bäckereifachverkäufer

2 Maler und Lackierer

2 Hotelkaufmann/-frau

1  Schreiner

1 Koch

1 Hochbaufacharbeiter (Maurer)

1 Apparate- und Gerätebauer

1 Jugendlicher in der Altenpflegeschule

 

Das erste Resümee dieses Projektes sei, dass es vier wichtige Faktoren gebe, damit es funktionieren könne.

 

- Kenntnis des örtlichen und regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes

- Kompetenz im Umgang mit Flüchtlingen

- enge Zusammenarbeit mit Jugendamt, Sozialamt, Ausländerbehörde und den

  Jugendhilfeeinrichtungen, mit den Schulen, den Kammern und den Arbeitgebern

 

Ein sehr wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Punkt dieses Projektes sei allerdings das intensive Coaching. Bei den Jugendlichen fehle oft eine soziale Infrastruktur, daher brauche man im positiven Sinn einen Elternersatz, jemand, der sich nicht nur beruflich, sondern auch sozial und persönlich um die jungen Leute kümmert und versucht, alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Es sei sehr wichtig, die Jugendlichen nicht nur in passenden Betrieben zu platzieren, sondern sie wirklich über den gesamten Zeitraum intensiv zu begleiten. Das mache einen Teil des Erfolgs dieses Projektes aus.

 

Herr Zimmermann, Ausbildungscoach, betreut seit 16 Monaten die jungen Menschen in diesem Projekt. Er habe die verschiedensten sprachlichen bzw. schulischen Voraussetzungen vorfinden dürfen. Man habe teilweise junge Menschen dabei, die zwei Jahre in die Schule gegangen seien, manche hatten einen viel längeren Zeitraum Schule, aber immer wieder unterbrochen durch verschiedene Kriegsschauplätze. Es sei ganz wichtig gewesen, immer individuell hinter jedes Schicksal zu schauen, was auch der einzelne schon erlebt habe oder auch mitbringen könne. Dies habe bei der Findung der damaligen und heutigen Auszubildenden eine ganz wichtige Rolle gespielt. Nicht nur die Praktika und die Findung des passenden Betriebes, sondern auch die Frage, ob eine bestimmte Ausbildung wirklich zu diesem Jugendlichen passe und ob er wirklich in der Lage sei, so etwas zu absolvieren. Dieses Jahr sei man durch die größere Vorlaufzeit auf verschiedene Dinge gestoßen, wie z.B. die Wohnsituationen, die gesamte Situation der Weiterbetreuung usw. Man müsse fragen, ob die Jugendlichen schon Möglichkeiten hätten, etwas selbst zu bestimmen. Viele Dinge wie z.B. Briefe vom Landratsamt, Krankenkasse usw. würden die Jugendlichen einfach nicht kennen. Daher ist es sehr wichtig, dass sie einen Weg aufgezeigt bekommen, wie man im tagtäglichen Leben mit allem umgehe.

 

Herr Zimmermann betont, dass dieses Projekt bereits über die Mauern des Landkreises Miltenberg nicht nur Anerkennung findet, sondern auch zur Sprache komme, warum es dieses Projekt mit einer intensiven Weiterführung und Coaching nicht überall gebe. Er sei sehr stolz, bei diesem Projekt mitarbeiten zu dürfen.

 

Herr Zimmermann wird von zwei Auszubildenden aus dem Projekt begleitet, die über ihren Werdegang und ihre Erlebnisse berichten.

 

Herr Mahdi Kavari aus Afghanistan sei seit 18 Monaten in Deutschland. Er sei über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland gekommen. Er habe im Rahmen der Initiative jeweils zwei Wochen Praktika als Elektriker, Fliesenleger, Schreiner und Bäckereifachverkäufer gemacht. Er habe sich für den Beruf des Bäckereifachverkäufers entschieden. Er treffe sich mindestens einmal pro Woche zu einem Gruppenunterricht, wo verschiedene Tätigkeiten wie Sozialkunde, Fachtheorie und Mathematik gemacht werde. In der Berufsschule sei für ihn Sozialkunde am schwersten.

 

Herr Ali Rezarezaree aus Afghanistan sei vom Iran in die Türkei gelaufen, nach Griechenland sei er mit einem Boot gekommen und nach Ungarn sei er gelaufen. Bis Deutschland sei er dann mit einem Auto gekommen. Er sei seit fast zwei Jahren hier in Deutschland. Er sei in Himmelthal gewesen und in die Hauptschule gegangen. Er habe seinen Schulabschluss leider nicht geschafft. Er habe dann Herrn Zimmermann kennengelernt und ihm gesagt, dass er einen Beruf suche. Er habe sich nach verschiedenen Praktika für eine Ausbildung als Bäcker entschieden. Er wohne jetzt in Sulzbach in einer von der Diakonie kleinen angemieteten Wohneinheit, die zum Ausbildungsbetrieb dazugehöre. Seine Schwierigkeit liege bei Mathematik, aber er ist der Meinung, er schaffe das.

 

Landrat Scherf lobt ausdrücklich die hervorragende Leistung der GbF. Der Impuls sei im Mai 2015 aus dem Bereich der Wirtschaft gekommen Das Projekt lebe von einem großen Netzwerk. Der vbw, der Verband der Bayerischen Wirtschaft, habe ein Gutachten erstellt, das man unter die Überschrift „Wie kann Integration gelingen“ stellen könnte. Hervorragende Fachleute aus dem Bereich der Bildung hätten genau das beschrieben, was sich aus der praktischen Arbeit heraus entwickelt habe, eben zu begleiten und zu coachen.

 

Das Gutachten ist zu finden unter

https://www.vbw-bayern.de/vbw/Aktionsfelder/Bildung/Bildung-neu-denken/Publikation-ARB-Integration-durch-Bildung-2016.jsp

 

Kreisrat Stappel bedankt sich zunächst im Namen des Handwerks für die erfolgreiche Arbeit. Es habe gefruchtet, was damals beschlossen worden sei. Es sei für ihn erfreulich, dass die Zahl der Auszubildenden auf 18 gestiegen sei. Das Handwerk habe hilfreich zur Seite gestanden. Der Slogan „Es darf uns kein Jugendlicher in der Ausbildung verloren gehen“ sei das Hauptwort des Handwerks, weil das Handwerk die meisten Jugendlichen in Deutschland ausbilde und vor allen Dingen, weil großer Bedarf bestehe.

Kreisrat Stappel bietet Herrn Grauschopf und Herrn Zimmermann an, dass sie gemeinsam mit einem Jugendlichen zur nächsten Sitzung der Kreishandwerkersitzung kommen, um den Obermeistern aller Innungen diesen Jugendlichen und seine Fähigkeiten vorstellen, damit sich wieder neue Türen öffnen können, um Jugendliche neu auszubilden.

 

Kreisrat Dr. Fahn dankt für die Vorträge. Die beiden Auszubildenden würden schon sehr gut Deutsch sprechen. Gerade bei dem Thema Integration sei die deutsche Sprache ein wichtiger Schlüssel. Daher benötige man flächendeckende Sprachkurse. Er möchte wissen, wie viele Sprachkurse die beiden Jugendlichen absolviert haben und wie viel Zeit in der Woche dafür investiert worden sei, um so gut Deutsch zu sprechen. Weiterhin möchte Kreisrat Dr. Fahn wissen, ob es Steigerungsbedarf an Deutschkursen gebe.

 

Herr Zimmermann antwortet, dass Ali Rezarezaee die Mittelschule in Elsenfeld und Mahdi Khavari die Realschule in Miltenberg besucht hätten. Nach dem Schulbesuch sei nur durch das weitere Integrationscoaching, durch die Gruppenarbeit bzw. individuelle Deutscharbeit gelernt worden. Einen expliziten Integrationskurs hätten beide nicht zusätzlich belegt. Dies sei die individuelle Arbeit gewesen, die man hier weitergeführt habe, was in den Schulen bereits begonnen hätte.

 

Herr Grauschopf ergänzt, dass in dem Jahr zwar sehr viel passiert sei, aber immer noch zu wenig. Die GbF sei auch Integrations- und Sprachkursträger und er stelle fest, dass viel zu lange Wartezeiten für einige da seien. Die Wartezeiten würden auch nicht genutzt, weil es zu wenig Programme und Maßnahmen gebe. Bei einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die jetzt über SGB II oder SGB III gefördert würden, die auch beruflich orientiert seien, also das Ziel haben, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu bringen, da sollte ein gewisses Ausgangslevel vorhanden sei in sprachlicher Hinsicht. Das, was die GbF als Zielgruppe bekomme, das sei erschreckend schlecht, d.h. es sei extrem viel zu tun gerade hinsichtlich des Sprachtrainings und des Erlernens der deutschen Sprache. Er stelle fest, dass wenn Flüchtlinge in den SBG II-Bereich fallen, also zum Jobcenter kommen, müssten diese eigentlich schon einen Integrationskurs hinter sich haben, aber durch die Staus, die es offensichtlich gebe, treten Sie in die Versorgungssituation SBG II ein, ohne bereits einen Sprachkurs gemacht zu haben. Die Jobcenter müssten eigentlich anfangen, diese Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu vermitteln, obwohl die grundsätzliche Voraussetzung, nämlich das deutsche Sprachvermögen, fehle. Wenn man diese Flüchtlinge dann zu früh platziere, würde man die Arbeitgeber verschrecken. Dies sei ein Problem, weil es zwar mittlerweile genügend Arbeitgeber gebe, die Flüchtlinge gerne einstellen würden, aber es habe schon viele negative Erfahrungen gegeben. Ein gewisses Sprachlevel, auch aus Gründen der Arbeitssicherheit, müsse gegeben sein, um eine Chance zu haben.

 

Landrat Scherf fasst zusammen, dass der richtige Zeitpunkt ausgewählt werden müsse, wann man mit den Praktika beginnt, zu großer Ehrgeiz und eine Verfrühung könne schaden.

 

Frau Kreisrätin Münzel findet, dass es ein sehr beachtliches und ermutigendes Projekt sei und zeige, wie Integration funktionieren kann. Sie möchte wissen, wie viele Frauen in dem Projekt seien und wie die Ziele in der Zukunft seien, was den Anteil der Frauen anbelange.

 

Herr Grauschopf antwortet, dass von den 18 Betreuten zwei Frauen seien. Die Auswahl der Jugendlichen habe nicht in der Verantwortung der GbF gestanden, sondern man habe eine Liste des Jugendamtes bekommen. Zu Beginn habe es im Landkreis Miltenberg auch nur männliche unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gegeben. Mittlerweile ist die Anzahl der umF zurückgegangen, so dass die GbF die Gelegenheit genutzt habe, altersmäßig den Kreis zu erweitern.

 

Kreisrat Reinhard dankt für die eindrucksvolle und erfolgreiche Arbeit. Er möchte wissen, an was es scheitere, dass nur 18 Personen in diesem Projekt seien, da sicher noch Potential vorhanden sei. Er möchte wissen, ob es daran scheitere, dass die Jugendlichen noch nicht so weit seien oder dass noch keine Ausbildungsstellen da seien.

 

Herr Grauschopf antwortet, dass es an der Finanzierung bzw. dem Willen des Landkreises scheitere, hier stärker finanziell einzusteigen. Der Kreistag des Landkreises habe beschlossen, dass 15 Personen finanziert würden. Drei Personen werden freiwillig von der GbF als Beitrag zum Projekt finanziert, weil sie junge Menschen, die sich vielversprechend verhalten hätten und motiviert gewesen seien, nicht aus dem Projekt rausnehmen wollten. Natürlich könne man deutlich mehr Personen in Ausbildung integrieren. Letztlich läge es am Landkreis, wie viel er finanziere.

 

Landrat Scherf ergänzt, dass man im letzten Jahr dieses Pilotprojekt gestartet habe, wo er ganz klar gesagt habe, dass es nicht um Masse gehe, sondern erst einmal Erfahrungen zu sammeln. Deswegen sei man mit acht Jugendlichen gestartet, weil das Potential da sei. Aktuell seien es nun 18 statt 15 Personen. Heute solle der Ausschuss darüber informiert werden, wie sich dieses Projekt entwickle, auch unter dem Aspekt, dass es nicht einfach sei. Es sei wirkliche Pionierarbeit. Die Misserfolge und Schwierigkeiten würden auch offen dargelegt. Am Ende sei es ein Gewinn für den Landkreis, wenn die berufliche Ausbildung gut funktioniere.

Landrat Scherf nehme gerne Signale entgegen, in welche Richtung der Landkreis weiter arbeiten soll.

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