Tagesordnungspunkt
TOP Ö 6: Weiterer Vollzug des Sozialgesetzbuches (SGB) II - Jobcenter oder Option?
Bezeichnung | Inhalt |
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Sitzung: | 07.10.2010 KA/010/2010 |
Beschluss: | einstimmig beschlossen |
Dokumenttyp | Bezeichnung | Aktionen |
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Landrat Schwing begrüßte zu diesem Tagesordnungspunkt
Verwaltungsamtsrat Vill als Sozialamtsleiter sowie den stellvertretenden ARGE-Geschäftsführer
Henn-Mücke, der den ARGE-Geschäftsführer Opolka vertrat. Man habe
zwischenzeitlich intensiv mit den Kollegen der Arbeitsagentur in zwei
Steuerungsgruppensitzungen gesprochen und einen ausführlichen Fragenkatalog
dorthin gesendet, der auch genauso ausführlich beantwortet worden sei. Man habe
hier Wert darauf gelegt, bestimmte Fragen abzuklären. Es haben zwischenzeitlich
auch Gespräche gegeben zwischen Mitarbeitern des Landratsamtes und der ARGE.
Man wolle natürlich deren Sicht sehen, da zukünftig ein Personalrat gebildet
werden solle. Die vorliegende Gegenüberstellung von Pro und Kontra sei bereits
vorab zugesandt worden.
Verwaltungsamtsrat Vill erläuterte weiterhin den
Sachverhalt, nachdem er die Begrifflichkeit „Jobcenter“ klärte, die nach dem
Gesetz sowohl die sogenannte „gemeinsame Einrichtung“ als auch die „Option“
bedeuten könne. Daher müsse die Überschrift der Gegenüberstellung korrekt
„gemeinsame Einrichtung oder Option“ lauten.
Mit dem SGB II-Weiterentwicklungsgesetz vom 10.08.2010
und einer gleichzeitig erfolgten Änderung von Art. 91 e des Grundgesetzes ist
die im Koalitionsvertrag vom Herbst 2009 noch als Regelzustand vorgesehene
„getrennte Aufgabenwahrnehmung“ vom Tisch.
Als echte Alternative zur damals aus unserer Sicht
einzig sinnvollen „Option“ ist nunmehr auch die Betreuung der Langarbeitslosen
gemeinsam mit der Agentur für Arbeit in einem „Jobcenter“ möglich. Zusätzlich
werden ab 2012 neben den bestehenden 69 Optionskommunen weitere 41 Träger die
Möglichkeit haben, die „Option“ wahrzunehmen. Auf Bayern werden 6 Optionsmöglichkeiten
entfallen. Ob angesichts der bisherigen regionalen Verteilung der bayerischen
Optionskommunen Unterfranken letztendlich noch einen weiteren Zuschlag erhalten
kann, ist fraglich.
Vor allem angesichts der mit einer „getrennten
Aufgabenwahrnehmung“ verbundenen Nachteile für die betroffenen
Langzeitarbeitslosen, aber auch wegen des erhöhten Verwaltungsaufwands war die
getrennte Aufgabenwahrnehmung als „kompliziert, kostspielig, ineffizient und intransparent“
eindeutig abzulehnen. Deshalb hatte der Kreistag am
Nachdem die getrennte Aufgabenwahrnehmung nach
politischem Widerstand auf breitester Front nun aber vom Tisch ist, macht es
Sinn, den Optionsbeschluss vom 17.12.2009 noch einmal zu überprüfen und zu
überlegen, ob nicht die im Landkreis Miltenberg inzwischen sehr erfolgreich
gelaufene Zusammenarbeit zwischen Arbeitsagentur und Kommune fortgesetzt werden
sollte.
In einer Arbeitsgruppe, an der auch der
ARGE-Geschäftsführer und dessen Vertreter teilnahmen, wurde dies vorgeprüft und
die Argumente für und gegen Jobcenter bzw. Option aufgelistet und abgewogen. Die
Gesamtmatrix aller von der Arbeitsgruppe gesehenen Aspekte ist als Anlage beigefügt.
Als wichtigste Punkte sind dabei hervorzuheben:
Pro Option:
- Aufsicht bei zuständigen Landesbehörden
- größere Gestaltungsspielräume durch geringere
Nachhaltungsmöglichkeiten des Bundes
- Alleinzuständigkeit für Feststellung von
Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit
- Einheitlichkeit des Personalkörpers
- Eigene (und bessere) IT-Lösung möglich (als A2LL)
Pro Jobcenter:
- Höhere Kosten der Option durch Wegfall von
Synergieeffekten
- Kostenrisiko für den Landkreis bei der Option
- Alleinige Verantwortung für Unterbringungsfrage bei
der Option
- kein Umstellungsaufwand
- bessere Chancen für den Erhalt der Arbeitsagentur
Aschaffenburg mit Nebenstellen Miltenberg und Obernburg
Aufgrund einer für uns unverbindlichen Voranfrage
sicherte uns die Agentur für Aschaffenburg mit Schreiben vom 20.09.2010 für den
Fall einer weiteren Zusammenarbeit in einem Jobcenter Folgendes zu:
- Herr Alfons Opolka bliebe Geschäftsführer des
Jobcenters.
- Solange die Arbeitsagentur den Geschäftsführer stellt,
bliebe der Landrat Vorsitzender der Trägerversammlung.
- Die seitherigen Konditionen des ARGE-Vertrags sollen
soweit wie möglich fort gelten, soweit nicht haushaltsrechtliche Bestimmungen
oder Weisungen des Bundesarbeitsministeriums zwingend entgegenstehen.
- Die Reduzierung des Befristungsanteils von derzeit
über 30 (!) % auf maximal 10 % der Beschäftigungsverhältnisse zur Erreichung von
personeller Kontinuität wird angestrebt.
- Eine Harmonisierung der Dienstvereinbarungen nach den
Standards des Landkreises wird ebenfalls angestrebt.
Der letzte Punkt wurde im Rahmen einer gemeinsamen
Arbeitsgruppe von Agentur- und Landkreisvertretern sowie ARGE-Mitarbeitern
zusätzlich vorgeprüft und Harmonisierungsmöglichkeiten in den Bereichen
Zeiterfassung, Arbeitszeitregelung, Dienstfahrzeugnutzung und Teilnahme von ARGE-Führungskräften
am Führungsbarometer des Landkreises gesehen.
Einer ergänzenden Lösung bedarf allerdings die durch
die Vorgaben des Bundes begrenzte Stellensituation der Agentur in Verbindung
mit einer Vorgabe für den dortigen Befristungsanteil, die ansonsten die
Beendigung von fünf befristeten Beschäftigungsverhältnisse zum 31.12.2010
notwendig machen würde.
Um dies zu verhindern, ist im Fall der Errichtung
eines Jobcenters beabsichtigt, diese fünf befristet beschäftigten
Leistungssachbearbeiter der Arbeitagentur in zunächst ebenfalls befristete
Arbeitsverhältnisse beim Landkreis zu übernehmen. Der Landkreis hat dadurch
keine höhere finanzielle Belastung, weil die Personalkosten aus dem
Verwaltungsbudget des Bundes in voller Höhe erstattet werden. Es besteht auch
nicht das Risiko einer Ausweitung des sonstigen Personalkörpers des
Landratsamtes, weil die Verträge auf ausschließliche Beschäftigung im Jobcenter
beschränkt werden sollen.
Nach Abwägung aller Aspekte überwiegen aus Sicht der
Verwaltung die Vorteile einer Fortsetzung der bisherigen bewährten
Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur in einem Jobcenter als gemeinsame
Einrichtung.
Die nachteiligen Aspekte, besonders für die
betroffenen Langzeitarbeitslosen selbst, die eine „getrennte
Aufgabenwahrnehmung“ mit sich gebracht hätte, werden durch die Hilfegewährung
„aus einer Hand“ in einem Jobcenter genauso gut ausgeschlossen, wie mit einer
Option.
Landrat Schwing ergänzte, sein Vorsitz in der
Steuerungsgruppe habe den Hintergrund, dass dort wichtige Entscheidungen fallen
und im Falle der Stimmengleichheit gebe die Stimme des Vorsitzenden den
Ausschlag. Bisher sei dies allerdings noch nicht notwendig gewesen.
Positiv habe man auch immer die Sonderaktionen wie
„Leila50Plus“, AmiGa etc. mit begleitet, mit denen man viel bewirkt habe und
auch viele Sondermittel in die Region geflossen seien. So etwas sei mit Option
nicht mehr möglich. Ein einjähriger Jobcenter-Vertrag müsse sowieso geschlossen
werden, da dies erst mit Beginn 01.01.2012 liefe, sich dann aber automatisch
verlängere.
Kreisrat Dr. Schüren bemerkte, Organisationsfragen
könnten zwar spannend sein, seien aber danach zu beurteilen, was sie tatsächlich
für diejenigen bringen, für die diese Organisation geschaffen sei. Man wolle
die beste effektivste Art der Betreuung für die Arbeitssuchenden, und daher sei
ihm die Art der Organisation im Prinzip egal. Er habe daher keine Bedenken oder
Schwierigkeiten, für ein anderes Modell zu stimmen, auch wenn vor einiger Zeit
gewichtige Argumente für die Option gesprochen hätten. Die Waagschale sinke
nicht eindeutig zu einer Seite und die Nachteile seien bereits im letzten Jahr
bekannt gewesen. Auch der Mittelaspekt habe letztes Jahr schon gegolten. Da
sich aber das ARGE-Modell bewährt habe, habe er keine Bedenken, für das andere
Modell zu entscheiden.
Landrat Schwing bat um Betrachtung des kompletten
Sachverhaltes. Damals habe man einstimmig den Beschluss gefasst, da im Koalitionsvertrag
bereits die getrennte Maßnahmenwahrnehmung beschlossen gewesen sei. Aber man
sei sich immer einig gewesen, dass es in einer Hand bleiben müsse. Daher habe
man eine Resolution dagegen geführt und niemand habe erwartet, dass diese zum
Erfolg führen werde. Nur mit diesem Hintergrund habe man damals zur Option
tendiert.
Kreisrat Schötterl bestätigte, man habe am 17.12.2009
zu recht so entschieden. Für ihn sei es der letzte Strohhalm gewesen. Alle hätten
damals die tolle Zusammenarbeit gelobt, nun könne man genau dies haben, was man
gewollt habe. Wer wüsste, wie schnell und ob man die Option überhaupt bekommen
könne.
Landrat Schwing ergänzte zum Zeitfaktor, man habe bis
Ende des Jahres Zeit für die Bewerbung, daher sei dies kein Problem. In
Unterfranken habe man des Weiteren bereits zwei Optionen, zum einen der Kreis
Würzburg und zum anderen die Stadt Schweinfurt. Sechs Optionen werden vergeben
und es gebe noch Bezirke, die noch gar keine hätten. Er gehe außerdem davon
aus, dass noch die eine oder andere Großstadt optieren wolle. Daher stelle sich
die Frage, ob man nach Unterfranken überhaupt noch eine bekomme.
Kreisrat Dr. Kaiser bestätigte, man sei sich einig,
dass die Lösung aus einer Hand die richtige sei. Seiner Meinung nach habe
allerdings der Landkreistag die Probleme ausgelöst, der Städtetag sei ganz
anderer Meinung gewesen. Die vorgelegte Aufstellung zu Pro und Kontra sei gut.
Die SPD sei auch immer für diese Lösung gewesen, aber das Gerichtsurteil sei
dazwischen gekommen, ausgelöst durch den Landkreistag. Man hätte sich einige
Probleme sparen können, wenn der Landrat damals nicht geklagt hätte.
Landrat Schwing klärte auf, die chronische Abfolge sei
richtig gewesen, aber er als Landrat habe nicht geklagt, sondern man habe sich mit
großer Mehrheit der Klage angeschlossen. Selbst wenn man dies abgelehnt hätte,
hätte sich nichts geändert, da bereits andere geklagt haben. Weiterhin stellte
er die Frage, ob ein rechtswidriger Zustand lieber gewesen sei. Eine spätere
Klage wäre schlimmer gewesen. Weiterhin bestehe der Landkreistag nicht nur aus
CSU-Politikern, sondern auch Politiker der SPD und der Freien Wähler, die alle
uni sono hinter der Entscheidung gestanden hätten. Es sei verständlich, dass sich
die Städte zurückhielten, da diese hohe Sozialausgaben haben. Daher sei von
Anfang an klar gewesen, dass die meisten Städte die Gewinner seien. Dies sei
der Hintergrund der Geschichte. Mittlerweile hätten auch Städte Interesse an
einer Option. Der Erfolg des Landkreistages, die getrennte Aufgabenwahrnehmung
noch zu kippen, sei parteiübergreifend gewesen.
Kreisrat Dr. Linduschka fragte nach einer zusätzlichen
Alternative und ob man trotzdem so argumentiere, wenn man von einer
Wahrscheinlichkeit der Option ausgehe.
Landrat Schwing erklärte, es handele sich natürlich
trotzdem um eine schwere Entscheidung, da für beide Lösungen eine Menge an
Argumenten sprechen. Bei der Option sei das doch relativ straffe Band einer
zentralen Einheit nicht gegeben. Dies sei der große Nachteil des Jobcenters,
man arbeite gut zusammen, aber nur in dem Rahmen, der von der Bundesagentur
zugelassen werde.
Kreisrat Andre bemerkte, der Beitrag von Kreisrat Dr.
Kaiser war erwartet worden. Positiv sei aber doch, dass aus dem Gewitter ein
mildes Wetterleuchten geworden sei und man auf einem gemeinsamen Weg sei. Die
gemachte Abwägung sei gut. Es zeige, dass die Option doch einiges mit sich
bringe. Man sei sich aber einig, dass die ARGE ein bewährtes Modell sei. Vor
allem wegen der möglichen finanziellen Risiken und der Mehrzahl der
Vermittlungen außerhalb der Region; im Falle der Option müsste man sich selbst
um diese Vermittlungen kümmern.
Kreisrat Dr. Kaiser knüpfte an die Aussage des
Kreisrates Andre an und fragte nach bisherigen Erfahrungen der Optionskommunen
bei der Zahl der Vermittlungen außerhalb der Regionen.
Verwaltungsamtsrat Vill sagte, Geschäftsführer Opolka
könne diese Frage sicherlich besser beantworten als er. Man habe aber natürlich
durch die Nähe des Rhein-Main-Gebietes eine besondere Situation im Landkreis
Miltenberg. Die vier bayerischen Optionskommunen hätten seines Wissens eine
etwa gleiche Arbeitslosenquote. Trotzdem sei die Situation überall unterschiedlich
und nicht vergleichbar.
Stellvertretender ARGE-Geschäftsführer Henn-Mücke
ergänzte, für die Optionskommunen sei nur ein Zugriff im Internet auf die
Bundesagentur möglich, die Schnittstelle sei von dort nicht freigegeben. Man
habe zu wenig Einblicke in die Vermittlungsbereiche der Optionskommunen. Der
Stellenpool der Arbeitsagentur, zumindest die nicht veröffentlichten Stellen,
werden nicht freigegeben.
Landrat Schwing stimmte zu, man habe eine
Sondersituation durch die Nähe des Rhein-Main-Gebietes. Man müsse aber auch
bedenken, die neue Option sehe auch anders aus als die alte. Ganz so frei sei
diese durch die Zielvereinbarungen auch nicht mehr. Es habe auch beträchtliche Rückforderungen
an Optionskommunen gegeben. Wenn die Arbeitsagentur partnerschaftlich und auf
Augenhöhe mit uns zusammenarbeiten würde, würde sie die Schnittstellen
freigeben. Aber dies tut sie nicht, da die Option sonst eventuell besser
Ergebnisse bringen könnte als sie selbst.
Der
Kreisausschuss fasste sodann einstimmig den
B
e s c h l u s s :
Dem Kreistag wird empfohlen, zu beschließen:
1. Der Kreistagsbeschluss vom 17.12.2009 zu TOP 4
„Zukünftige Aufgabenwahrnehmung im SGB II“ wird aufgehoben.
2. Der weitere Vollzug des SGB II ab 01.01.2011 erfolgt
gemeinsam mit der Agentur für Arbeit im Rahmen eines Jobcenters als gemeinsame
Einrichtung gemäß §§ 6 d, 44 b ff. SGB II (neu).
3. Der befristeten Übernahme von fünf Angestellten der
Agentur für Arbeit Aschaffenburg, die derzeit bis zum 31.12.2010 befristet in
der ARGE Miltenberg beschäftigt sind, wird zugestimmt, mit der Maßgabe, dass
diese ausschließlich im künftigen Jobcenter eingesetzt werden.