Tagesordnungspunkt

TOP Ö 5: Zukünftige Aufgabenwahrnehmung im SGB II

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Sitzung:10.12.2009   KA/005/2009 
DokumenttypBezeichnungAktionen

 

Landrat Schwing führte aus, dass er diese Angelegenheit deshalb auf die Tagesordnungen von Kreisausschuss und Kreistag gesetzt habe, weil es die vorausgegangene Bundesregierung während ihrer Amtszeit nicht geschafft habe, eine Lösung nach dem Karlsruher Urteil zu finden. Nach den Plänen der erzeitigen Koalitionsparteien sollen die 69 bestehenden Optionen bestehen bleiben. In den übrigen Landkreisen und kreisfreien Städten sollen die Aufgaben nach dem SGB II künftig getrennt wahrgenommen werden. Die Aufregung darüber sei bei den Landkreisen und Städten, die diese Aufgaben wahrnehmen, riesengroß. Alle Beteiligten seien der Meinung, dass die bestehenden ARGEn im Sinne der Kunden weitergeführt werden sollten. Man wolle jedoch keine Grundgesetzänderung.

 

Verwaltungsamtsrat Vill trug sodann vor, dass das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 20.12.2007 die ARGEn für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben habe, für die Zeit ab 01.01.2011 verfassungskonforme Regelungen zu schaffen. Nachdem im Frühjahr 2009 ein einfachgesetzlicher Kompromissvorschlag mit dem Ziel der Erhaltung der Zusammenarbeit zwischen Bundesagentur für Arbeit (BA) und Kommunen gescheitert sei, sehe der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien nun vor, dass die bestehenden 69 Optionskommunen dauerhaft weiter bestehen dürfen, in allen übrigen Landkreisen und kreisfreien Städten aber zukünftig BA und Kommune ihre Aufgaben nach dem SGB II getrennt wahrnehmen. Über eine Erhöhung der gesetzlich festgeschriebenen Zahl der Optionskommunen (69) sei im Koalitionsvertrag nichts ausgeführt.

 

„Getrennte Aufgabenwahrnehmung“ schlechteste Alternative

 

Die vorgesehene „getrennte Aufgabenwahrnehmung“ sei als schlechteste Alternative zur Bearbeitung der Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II anzusehen und könne auch durch vertragliche Kooperationsvereinbarungen zwischen BA und Kommune in ihrer Auswirkung nur abgemildert werden, was die unglückliche Grundkonstruktion und ihre Folgen aber niemals völlig beseitigen könne. Die „getrennte Aufgabenwahrnehmung“ beende die „Hilfegewährung aus einer Hand“. Sie bedeute, dass die BA zunächst in einem eigenen Verfahren über die Erwerbsfähigkeit und die Bedürftigkeit der Antragsteller entscheide und einen Bescheid hierüber erlasse, ohne allerdings die Unterkunftskosten zu berücksichtigen. Aufgrund dieses Bescheids müsse sodann in einem zweiten Verfahren der Landkreis über die anzuerkennenden Unterkunftskosten entscheiden und hierüber einen gesonderten Bescheid erlassen.

 

Für Eingliederungsmaßnahmen ins Arbeitsleben sei zwar weitgehend die BA allein zuständig. Selbst hier bestehe aber eine getrennte Betreuung, nämlich hinsichtlich der flankierenden Eingliederungsaufgaben (Kinderbetreuung, Schuldnerberatung, psychosoziale Betreuung und Suchtberatung), für die wiederum die Kommune zuständig sei. Der/die Antragsteller/in müsse sich also in allen Belangen wieder an zwei unterschiedliche Behörden wenden. Sei er mit der Höhe der bewilligten Hilfe nicht einverstanden, müsse er u.U. gegen zwei Bescheide Widerspruch einlegen und Klage erheben. Der Deutsche Sozialgerichtstag habe angesichts der drohenden Verdoppelung der Klageflut deshalb bereits dringend vor der „getrennten Aufgabenwahrnehmung“ gewarnt.

 

Seitens der Behörden müssten zwei Verwaltungsapparate mit zwei Datenverarbeitungssystemen vorgehalten werden, die auch insgesamt höhere Sach- und Personalkosten verursachen würden, weil zusätzliche komplizierte Abstimmungsverfahren notwendig würden, bei denen die Vorgaben des Datenschutzes beachtet werden müssen. Schlimmstenfalls müsse auch damit gerechnet werden, dass verwaltungsaufwändige Streitigkeiten zwischen den beiden neuen Verwaltungseinheiten über Dinge entstehen, die bislang im kollegialen Miteinander einvernehmlich gelöst werden. Dies binde zusätzliche Personalkapazitäten.

 

Nach den derzeitigen Vorstellungen der BA sollen die dortigen Entscheidungen über Erwerbsfähigkeit und Bedürftigkeit, Bedarfe und Sanktionen Bindungswirkung für die Kommune haben. Es sollen zwar Kooperationsausschüsse und Beiräte eingerichtet werden, die Kommune soll dort aber nur beratend tätig sein. Die Kommune würde damit in der getrennten Aufgabenwahrnehmung zum reinen „Zahlmeister“ degradiert und hätte auf die Gestaltung der Hilfe und grundlegende Entscheidungen keinen Einfluss mehr.

 

Mit der „getrennten Aufgabenwahrnehmung“ würden Kommunen und Leistungsbezieher in eine Situation gerate, die noch schlechter zu beurteilen sei als vor der Hartz IV-Reform im Jahr 2005, denn es würde nicht nur der Gedanke der Leistungserbringung aus einer Hand für bedürftige arbeitsfähige Menschen wieder rückgängig gemacht. Die Kommunen, die bis 2004 noch mit der „Hilfe zur Arbeit“ hätten versuchen können, arbeitslose Sozialhilfeempfänger ins Erwerbsleben zu bringen, hätten nun so gut wie gar keine Steuerungsmöglichkeit hinsichtlich ihrer Ausgaben für die Unterkunftskosten mehr.

 

Auf diese Probleme der „getrennten Aufgabenwahrnehmung“ habe neben den kommunalen Spitzenverbänden auch das Bundesnetzwerk der ARGE-Geschäftsführer hingewiesen. Nach Auffassung des Verwaltungswissenschaftlers Prof. Dr. Wieland sei die „getrennte Aufgabenwahrnehmung kompliziert, kostspielig, ineffizient und intransparent“.

 

Option ohne Zweifel die bessere Lösung

 

Bei der Option nehme die Kommune auch die Aufgaben der BA nach dem SGB II wahr und entscheide darüber im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften selbständig. Die anfallenden Ausgaben für Transferleistungen des Bundes sowie die anteiligen Personal- und Sachausgaben, soweit sie auf BA-Aufgaben entfallen, werden (wie in der ARGE) vom Bund getragen. Das derzeitige Recht begrenze die Zahl der Optionskommunen noch auf 69 bundesweit. Eine Option für den Landkreis Miltenberg wäre daher nur möglich, wenn diese Zahl per Gesetz erhöht oder die Option völlig freigegeben würde.

 

Diese Forderung hätten zwischenzeitlich zahlreiche Kommunen erhoben, darunter Großstädte wie Hamburg oder Stuttgart. Für den Landkreis Miltenberg wäre die Option, wenn sie ermöglicht würde, zweifellos ebenfalls die bessere Lösung. Die Voraussetzungen dafür wären jetzt nach fünf Jahren ARGE-Erfahrung deutlich besser als Anfang 2005. Das jetzige gut funktionierende ARGE-Team könnte im Wesentlichen auf der Arbeit und den Eingliederungserfolgen der letzten Jahre aufbauen. Die Voraussetzungen für eine Übernahme des erforderlichen Personals wären zu schaffen, wobei verschiedene Modelle denkbar wären. Aufgrund der Personal- und Sachkostenerstattung durch den Bund wären Personalmehrkosten nicht zu erwarten.

 

Mit einer Befürwortung der Optionsalternative durch den Kreistag würden die derzeitigen Mitarbeiter der ARGE auch das deutliche Signal erhalten, dass eine Fortsetzung der bisherigen guten Zusammenarbeit im Landkreis Miltenberg gewünscht sei und unterstützt werde. Eine solche Motivation sei gerade in der aktuell schwierigen Arbeitsmarktsituation besonders wichtig.

Der entsprechende Beschluss sollte daher schon jetzt gefasst werden, um im Fall der Öffnung der Optionsmöglichkeiten schnell handeln zu können und nicht erst die nächste Sitzungsrunde abwarten zu müssen.

 

Landrat Schwing teilte weiter mit, dass der Deutsche Landkreistag gesagt habe, es müsse „Druck auf die Politik ausgeübt werden“. Dazu seien alle Landkreise gefragt worden, ob sie die Option wollen. Der Landkreis Miltenberg hätte seinerzeit gern mit Aschaffenburg optioniert, was von der Stadt Aschaffenburg abgelehnt worden sei. Der Landkreis Miltenberg habe daraufhin notgedrungen eine Arge errichten müssen und sei einer der ersten Landkreise gewesen, die die dazu erforderlichen Verträge abgeschlossen habe. Der Landkreis Miltenberg habe nun angemeldet, dass er die Option wolle. Nach der Tagung des Deutschen Landkreistages in Berlin sehe er (Landrat Schwing) dies nicht mehr so aussichtslos, denn es könne damit gerechnet werden, dass evtl. die doppelte Anzahl von Optionen genehmigt werde. Von 301 Landkreisen in Deutschland hätten bereits 63 die Option und von den übrigen Landkreisen hätten sich 165 zur Option angemeldet.

 

Interessant sei, dass im Koalitionsvertrag stehe, die BA solle den Kommunen attraktive Angebote unterbreiten. Die BA habe dazu ein Eckpunktepapier herausgegeben. Darüber sei auch anlässlich der Tagung in Berlin gesprochen und die Meinung vertreten worden, dass, selbst wenn die getrennte Aufgabenwahrnehmung komme, eine Lösung unter Einschluss der Kommunen diskutiert werden müsse. Grund dafür sei, dass die Bundespolitik zwischenzeitlich erkannt habe, dass das, was im Koalitionsvertrag stehe, so nicht umgesetzt werden könne. Von den 2,5 Mrd. € Entlastung, die seinerzeit versprochen worden seien, rede heute niemand mehr.

 

In der heutigen Kreisausschusssitzung gehe es nicht um eine Grundsatzdiskussion, sondern um die Fassung eines Empfehlungsbeschlusses an den Kreistag, damit sich der Landkreis Miltenberg ohne eine zusätzlich einzuberufende Kreistagssitzung um eine Option bewerben könne.

 

Kreisrat Schötterl sprach sich für die Zustimmung zu der vorgetragenen sinnvollen Lösung aus. Dazu müssten alle Politiker ins Boot geholt werden, denn gegen diese Pläne der Bundesregierung müsse mit aller Macht vorgegangen werden.

 

Kreisrat Scherf bemerkte, dass getrennte Aufgabewahrnehmung Zuständigkeitschaos bedeute. Daher sollte dem vorliegenden Empfehlungsbeschluss und dem Erlass einer Resolution zugestimmt werden, zumal dies auch die Meinung von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag sei. Die Kommunen hätten nämlich die größere Kompetenz dafür, Langzeitarbeitslosen zu helfen und sie in eine Beschäftigung zu bringen. Und CDU-Ministerpräsident Wulff aus Nordrhein-Westfalen habe gesagt, es werde nur eine Lösung geben, wenn die Option ausgeweitet werde.

 

Landrat Schwing sagte weiter, er setze große Hoffnung auf Staatssekretär Hofe, der im Deutschen Innovationsring maßgeblich an der Ausarbeitung des Konzeptes beteiligt gewesen sei.

 

Kreisrat Dr. Schüren erklärte, dass er den Empfehlungsbeschluss sowie die Resolution für vernünftig halte und zustimmen werde. Allerdings die Frage: Wer habe ein Urteil von Karlsruhe gefordert? Hätte Landrat Schwing seinerzeit nicht mit einer Klage vor Gericht gegangen, wären heute alle zufrieden. Seinerzeit habe niemand sagen können, dass die getrennte Aufgabenwahrnehmung komme. Jetzt werde versucht und gehofft, dass mehr als 69 Optionen genehmigt werden und der Landkreis Miltenberg eine Option erhalte. Es sei fraglich, ob eine Resolution hilfreich sei.

 

Landrat Schwing sagte dazu, Kreisrat Dr. Schüren liege falsch mit seiner Meinung. Tatsache sei, dass der Bund immer weniger zahle und die Kommunen immer mehr zahlen müssen, weil eine Festlegung auf die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften und nicht auf die Höhe der Kosten bestehe. Die Kommunen hätten zum Karlsruher Urteil gesagt, dass der Bund sie überfordere, denn von den 2,5 Mrd. € Entlastung, die versprochen gewesen seien, sei bei den Kommunen nichts angekommen. In Großstädten sehe es zwar etwas anders aus, aber die Landkreise hätten viel Geld verloren. In Bayern hätten die Landkreise nur deshalb nicht so viel Geld verloren, weil der Freistaat Bayern ein 100 Millionen-Programm aufgelegt habe. Wenn allerdings der Freistaat Bayern nicht mehr zahle, werde man an den Kosten hängen bleiben. Der Bundesgerichtshof sage, es müsse eine Änderung erfolgen. Leider habe die große Koalition noch keine Lösung gefunden. Grundproblem sei die Finanzausstattung. Kreisrat Dr. Schüren könne daher nicht sagen, dass diejenigen, die geklagt hätten, schuld seien. Schuld seien vielmehr diejenigen, die es nicht fertig gebracht hätten, dass die Kommunen nicht überfordert werden. Mit gutem Willen hätte man diesbezüglich eine Lösung finden können.

 

Kreisrat Bieber wies darauf hin, dass Kreisrat Dr. Schüren gesagt habe, er sage nur vernünftige Dinge. Was er jedoch zu diesem Tagesordnungspunkt gesagt habe, sei unvernünftig. Es stelle sich daraufhin die Frage, wie verhalte es sich mit seinem Verfassungsverständnis. Landrat Schwing habe auf die Finanzierung hingewiesen, es müsse aber auch die verfassungsrechtliche Seite bedacht werden. Die Bundespolitik habe zwei Dinge zusammengelegt, die nicht zusammen gehören, was verfassungsrechtlich grundgesetzwidrig sei. Das bestehende Problem habe die Bundespolitik zu verantworten, sie müsste dafür sorgen, dass grundgesetzkonforme Lösungen geschaffen werden. Kreisrat Bieber bat Kreisrat Dr. Schüren, seine Angriffe auf Landrat Schwing einzustellen.

 

Weiter teilte Kreisrat Bieber mit, dass der Deutsche Städtetag noch keine Hoffnung habe, dass es aufgrund einer Resolution zu einer Änderung komme. Bei allen Bürgermeistern herrsche Entsetzen darüber, dass jetzt eine Auflösung der ARGEn ins Haus stehe.

 

Landrat Schwing sagte dazu, bis jetzt sei noch nichts beschlossen. Er habe bei der Tagung Berlin, an der Vertreter der beiden Regierungsparteien teilgenommen hätten, gemerkt, dass die ARGE Landkreis Miltenberg nicht typisch sei. Er glaube, dass die Chancen für Veränderungen jetzt besser als vor drei bzw. vier Wochen seien.

 

Kreisrat Dr. Schüren bemerkte, dass sich Kreisrat Bieber mit seiner Aussage schützend vor Landrat Schwing gestellt habe. Er habe allerdings nicht gesagt, dass Landrat Schwing am Karlsruher Urteil schuld sei, sondern dass Landrat Schwing Auslöser für dieses Urteil gewesen sei. Der Landkreis Miltenberg habe geklagt, um das Finanzierungsproblem und nicht um verfassungsrechtliche Grundfragen zu klären.

 

Landrat Schwing erklärte, dass, wenn man gewusst hätte, wie das Karlsruher Urteil ausfalle, anders argumentiert hätte. Man sei optimistisch gewesen, Recht zu bekommen, was sich leider nur zum Teil bewahrheitet habe. Recht bekommen habe man jedoch bezüglich der Aufgabenverteilung. Damit sei der Landkreis Miltenberg bzw. der Deutsche Landkreistag weitestgehend bestätigt.

 

Der Kreisausschuss empfahl dem Kreistag sodann einstimmig, folgenden

 

B e s c h l u s s

zu fassen:

 

Sofern die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, macht der Landkreis Miltenberg von der Möglichkeit der Option Gebrauch.

 

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