Tagesordnungspunkt
TOP Ö 5: Zukünftige Aufgabenwahrnehmung im SGB II
Bezeichnung | Inhalt |
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Sitzung: | 10.12.2009 KA/005/2009 |
Dokumenttyp | Bezeichnung | Aktionen |
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Landrat Schwing führte aus, dass er diese
Angelegenheit deshalb auf die Tagesordnungen von Kreisausschuss und Kreistag
gesetzt habe, weil es die vorausgegangene Bundesregierung während ihrer
Amtszeit nicht geschafft habe, eine Lösung nach dem Karlsruher Urteil zu
finden. Nach den Plänen der erzeitigen Koalitionsparteien sollen die 69
bestehenden Optionen bestehen bleiben. In den übrigen Landkreisen und
kreisfreien Städten sollen die Aufgaben nach dem SGB II künftig getrennt
wahrgenommen werden. Die Aufregung darüber sei bei den Landkreisen und Städten,
die diese Aufgaben wahrnehmen, riesengroß. Alle Beteiligten seien der Meinung,
dass die bestehenden ARGEn im Sinne der Kunden weitergeführt werden sollten.
Man wolle jedoch keine Grundgesetzänderung.
Verwaltungsamtsrat Vill trug sodann vor, dass das
Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom
„Getrennte Aufgabenwahrnehmung“ schlechteste
Alternative
Die vorgesehene „getrennte Aufgabenwahrnehmung“ sei
als schlechteste Alternative zur Bearbeitung der Aufgaben nach dem
Sozialgesetzbuch (SGB) II anzusehen und könne auch durch vertragliche
Kooperationsvereinbarungen zwischen BA und Kommune in ihrer Auswirkung nur
abgemildert werden, was die unglückliche Grundkonstruktion und ihre Folgen aber
niemals völlig beseitigen könne. Die „getrennte Aufgabenwahrnehmung“ beende die
„Hilfegewährung aus einer Hand“. Sie bedeute, dass die BA zunächst in einem
eigenen Verfahren über die Erwerbsfähigkeit und die Bedürftigkeit der
Antragsteller entscheide und einen Bescheid hierüber erlasse, ohne allerdings
die Unterkunftskosten zu berücksichtigen. Aufgrund dieses Bescheids müsse
sodann in einem zweiten Verfahren der Landkreis über die anzuerkennenden
Unterkunftskosten entscheiden und hierüber einen gesonderten Bescheid erlassen.
Für Eingliederungsmaßnahmen ins Arbeitsleben sei zwar
weitgehend die BA allein zuständig. Selbst hier bestehe aber eine getrennte
Betreuung, nämlich hinsichtlich der flankierenden Eingliederungsaufgaben
(Kinderbetreuung, Schuldnerberatung, psychosoziale Betreuung und Suchtberatung),
für die wiederum die Kommune zuständig sei. Der/die Antragsteller/in müsse sich
also in allen Belangen wieder an zwei unterschiedliche Behörden wenden. Sei er
mit der Höhe der bewilligten Hilfe nicht einverstanden, müsse er u.U. gegen
zwei Bescheide Widerspruch einlegen und Klage erheben. Der Deutsche
Sozialgerichtstag habe angesichts der drohenden Verdoppelung der Klageflut
deshalb bereits dringend vor der „getrennten Aufgabenwahrnehmung“ gewarnt.
Seitens der Behörden müssten zwei Verwaltungsapparate
mit zwei Datenverarbeitungssystemen vorgehalten werden, die auch insgesamt
höhere Sach- und Personalkosten verursachen würden, weil zusätzliche
komplizierte Abstimmungsverfahren notwendig würden, bei denen die Vorgaben des
Datenschutzes beachtet werden müssen. Schlimmstenfalls müsse auch damit
gerechnet werden, dass verwaltungsaufwändige Streitigkeiten zwischen den beiden
neuen Verwaltungseinheiten über Dinge entstehen, die bislang im kollegialen
Miteinander einvernehmlich gelöst werden. Dies binde zusätzliche
Personalkapazitäten.
Nach den derzeitigen Vorstellungen der BA sollen die
dortigen Entscheidungen über Erwerbsfähigkeit und Bedürftigkeit, Bedarfe und
Sanktionen Bindungswirkung für die Kommune haben. Es sollen zwar Kooperationsausschüsse
und Beiräte eingerichtet werden, die Kommune soll dort aber nur beratend tätig
sein. Die Kommune würde damit in der getrennten Aufgabenwahrnehmung zum reinen
„Zahlmeister“ degradiert und hätte auf die Gestaltung der Hilfe und grundlegende
Entscheidungen keinen Einfluss mehr.
Mit der „getrennten Aufgabenwahrnehmung“ würden
Kommunen und Leistungsbezieher in eine Situation gerate, die noch schlechter zu
beurteilen sei als vor der Hartz IV-Reform im Jahr 2005, denn es würde nicht
nur der Gedanke der Leistungserbringung aus einer Hand für bedürftige
arbeitsfähige Menschen wieder rückgängig gemacht. Die Kommunen, die bis 2004
noch mit der „Hilfe zur Arbeit“ hätten versuchen können, arbeitslose
Sozialhilfeempfänger ins Erwerbsleben zu bringen, hätten nun so gut wie gar
keine Steuerungsmöglichkeit hinsichtlich ihrer Ausgaben für die Unterkunftskosten
mehr.
Auf diese Probleme der „getrennten
Aufgabenwahrnehmung“ habe neben den kommunalen Spitzenverbänden auch das Bundesnetzwerk
der ARGE-Geschäftsführer hingewiesen. Nach Auffassung des Verwaltungswissenschaftlers
Prof. Dr. Wieland sei die „getrennte Aufgabenwahrnehmung kompliziert, kostspielig,
ineffizient und intransparent“.
Option ohne Zweifel die bessere Lösung
Bei der Option nehme die Kommune auch die Aufgaben der
BA nach dem SGB II wahr und entscheide darüber im Rahmen der gesetzlichen
Vorschriften selbständig. Die anfallenden Ausgaben für Transferleistungen des
Bundes sowie die anteiligen Personal- und Sachausgaben, soweit sie auf
BA-Aufgaben entfallen, werden (wie in der ARGE) vom Bund getragen. Das
derzeitige Recht begrenze die Zahl der Optionskommunen noch auf 69 bundesweit.
Eine Option für den Landkreis Miltenberg wäre daher nur möglich, wenn diese
Zahl per Gesetz erhöht oder die Option völlig freigegeben würde.
Diese Forderung hätten zwischenzeitlich zahlreiche
Kommunen erhoben, darunter Großstädte wie Hamburg oder Stuttgart. Für den
Landkreis Miltenberg wäre die Option, wenn sie ermöglicht würde, zweifellos
ebenfalls die bessere Lösung. Die Voraussetzungen dafür wären jetzt nach fünf
Jahren ARGE-Erfahrung deutlich besser als Anfang 2005. Das jetzige gut
funktionierende ARGE-Team könnte im Wesentlichen auf der Arbeit und den Eingliederungserfolgen
der letzten Jahre aufbauen. Die Voraussetzungen für eine Übernahme des erforderlichen
Personals wären zu schaffen, wobei verschiedene Modelle denkbar wären. Aufgrund
der Personal- und Sachkostenerstattung durch den Bund wären Personalmehrkosten
nicht zu erwarten.
Mit einer Befürwortung der Optionsalternative durch
den Kreistag würden die derzeitigen Mitarbeiter der ARGE auch das deutliche
Signal erhalten, dass eine Fortsetzung der bisherigen guten Zusammenarbeit im
Landkreis Miltenberg gewünscht sei und unterstützt werde. Eine solche Motivation
sei gerade in der aktuell schwierigen Arbeitsmarktsituation besonders wichtig.
Der entsprechende Beschluss sollte daher schon jetzt
gefasst werden, um im Fall der Öffnung der Optionsmöglichkeiten schnell handeln
zu können und nicht erst die nächste Sitzungsrunde abwarten zu müssen.
Landrat Schwing teilte weiter mit, dass der Deutsche
Landkreistag gesagt habe, es müsse „Druck auf die Politik ausgeübt werden“.
Dazu seien alle Landkreise gefragt worden, ob sie die Option wollen. Der
Landkreis Miltenberg hätte seinerzeit gern mit Aschaffenburg optioniert, was
von der Stadt Aschaffenburg abgelehnt worden sei. Der Landkreis Miltenberg habe
daraufhin notgedrungen eine Arge errichten müssen und sei einer der ersten
Landkreise gewesen, die die dazu erforderlichen Verträge abgeschlossen habe.
Der Landkreis Miltenberg habe nun angemeldet, dass er die Option wolle. Nach
der Tagung des Deutschen Landkreistages in Berlin sehe er (Landrat Schwing)
dies nicht mehr so aussichtslos, denn es könne damit gerechnet werden, dass evtl.
die doppelte Anzahl von Optionen genehmigt werde. Von 301 Landkreisen in
Deutschland hätten bereits 63 die Option und von den übrigen Landkreisen hätten
sich 165 zur Option angemeldet.
Interessant sei, dass im Koalitionsvertrag stehe, die
BA solle den Kommunen attraktive Angebote unterbreiten. Die BA habe dazu ein
Eckpunktepapier herausgegeben. Darüber sei auch anlässlich der Tagung in Berlin
gesprochen und die Meinung vertreten worden, dass, selbst wenn die getrennte
Aufgabenwahrnehmung komme, eine Lösung unter Einschluss der Kommunen diskutiert
werden müsse. Grund dafür sei, dass die Bundespolitik zwischenzeitlich erkannt
habe, dass das, was im Koalitionsvertrag stehe, so nicht umgesetzt werden
könne. Von den 2,5 Mrd. € Entlastung, die seinerzeit versprochen worden seien,
rede heute niemand mehr.
In der heutigen Kreisausschusssitzung gehe es nicht um
eine Grundsatzdiskussion, sondern um die Fassung eines Empfehlungsbeschlusses
an den Kreistag, damit sich der Landkreis Miltenberg ohne eine zusätzlich
einzuberufende Kreistagssitzung um eine Option bewerben könne.
Kreisrat Schötterl sprach sich für die Zustimmung zu
der vorgetragenen sinnvollen Lösung aus. Dazu müssten alle Politiker ins Boot
geholt werden, denn gegen diese Pläne der Bundesregierung müsse mit aller Macht
vorgegangen werden.
Kreisrat Scherf bemerkte, dass getrennte
Aufgabewahrnehmung Zuständigkeitschaos bedeute. Daher sollte dem vorliegenden
Empfehlungsbeschluss und dem Erlass einer Resolution zugestimmt werden, zumal
dies auch die Meinung von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag sei. Die
Kommunen hätten nämlich die größere Kompetenz dafür, Langzeitarbeitslosen zu
helfen und sie in eine Beschäftigung zu bringen. Und CDU-Ministerpräsident
Wulff aus Nordrhein-Westfalen habe gesagt, es werde nur eine Lösung geben, wenn
die Option ausgeweitet werde.
Landrat Schwing sagte weiter, er setze große Hoffnung
auf Staatssekretär Hofe, der im Deutschen Innovationsring maßgeblich an der
Ausarbeitung des Konzeptes beteiligt gewesen sei.
Kreisrat Dr. Schüren erklärte, dass er den
Empfehlungsbeschluss sowie die Resolution für vernünftig halte und zustimmen
werde. Allerdings die Frage: Wer habe ein Urteil von Karlsruhe gefordert? Hätte
Landrat Schwing seinerzeit nicht mit einer Klage vor Gericht gegangen, wären
heute alle zufrieden. Seinerzeit habe niemand sagen können, dass die getrennte
Aufgabenwahrnehmung komme. Jetzt werde versucht und gehofft, dass mehr als 69
Optionen genehmigt werden und der Landkreis Miltenberg eine Option erhalte. Es
sei fraglich, ob eine Resolution hilfreich sei.
Landrat Schwing sagte dazu, Kreisrat Dr. Schüren liege
falsch mit seiner Meinung. Tatsache sei, dass der Bund immer weniger zahle und
die Kommunen immer mehr zahlen müssen, weil eine Festlegung auf die Anzahl der
Bedarfsgemeinschaften und nicht auf die Höhe der Kosten bestehe. Die Kommunen
hätten zum Karlsruher Urteil gesagt, dass der Bund sie überfordere, denn von
den 2,5 Mrd. € Entlastung, die versprochen gewesen seien, sei bei den Kommunen
nichts angekommen. In Großstädten sehe es zwar etwas anders aus, aber die
Landkreise hätten viel Geld verloren. In Bayern hätten die Landkreise nur
deshalb nicht so viel Geld verloren, weil der Freistaat Bayern ein 100 Millionen-Programm
aufgelegt habe. Wenn allerdings der Freistaat Bayern nicht mehr zahle, werde
man an den Kosten hängen bleiben. Der Bundesgerichtshof sage, es müsse eine
Änderung erfolgen. Leider habe die große Koalition noch keine Lösung gefunden.
Grundproblem sei die Finanzausstattung. Kreisrat Dr. Schüren könne daher nicht
sagen, dass diejenigen, die geklagt hätten, schuld seien. Schuld seien vielmehr
diejenigen, die es nicht fertig gebracht hätten, dass die Kommunen nicht
überfordert werden. Mit gutem Willen hätte man diesbezüglich eine Lösung finden
können.
Kreisrat Bieber wies darauf hin, dass Kreisrat Dr.
Schüren gesagt habe, er sage nur vernünftige Dinge. Was er jedoch zu diesem
Tagesordnungspunkt gesagt habe, sei unvernünftig. Es stelle sich daraufhin die
Frage, wie verhalte es sich mit seinem Verfassungsverständnis. Landrat Schwing
habe auf die Finanzierung hingewiesen, es müsse aber auch die
verfassungsrechtliche Seite bedacht werden. Die Bundespolitik habe zwei Dinge
zusammengelegt, die nicht zusammen gehören, was verfassungsrechtlich
grundgesetzwidrig sei. Das bestehende Problem habe die Bundespolitik zu
verantworten, sie müsste dafür sorgen, dass grundgesetzkonforme Lösungen
geschaffen werden. Kreisrat Bieber bat Kreisrat Dr. Schüren, seine Angriffe auf
Landrat Schwing einzustellen.
Weiter teilte Kreisrat Bieber mit, dass der Deutsche
Städtetag noch keine Hoffnung habe, dass es aufgrund einer Resolution zu einer
Änderung komme. Bei allen Bürgermeistern herrsche Entsetzen darüber, dass jetzt
eine Auflösung der ARGEn ins Haus stehe.
Landrat Schwing sagte dazu, bis jetzt sei noch nichts
beschlossen. Er habe bei der Tagung Berlin, an der Vertreter der beiden
Regierungsparteien teilgenommen hätten, gemerkt, dass die ARGE Landkreis
Miltenberg nicht typisch sei. Er glaube, dass die Chancen für Veränderungen
jetzt besser als vor drei bzw. vier Wochen seien.
Kreisrat Dr. Schüren bemerkte, dass sich Kreisrat
Bieber mit seiner Aussage schützend vor Landrat Schwing gestellt habe. Er habe
allerdings nicht gesagt, dass Landrat Schwing am Karlsruher Urteil schuld sei,
sondern dass Landrat Schwing Auslöser für dieses Urteil gewesen sei. Der
Landkreis Miltenberg habe geklagt, um das Finanzierungsproblem und nicht um verfassungsrechtliche
Grundfragen zu klären.
Landrat Schwing erklärte, dass, wenn man gewusst
hätte, wie das Karlsruher Urteil ausfalle, anders argumentiert hätte. Man sei
optimistisch gewesen, Recht zu bekommen, was sich leider nur zum Teil bewahrheitet
habe. Recht bekommen habe man jedoch bezüglich der Aufgabenverteilung. Damit
sei der Landkreis Miltenberg bzw. der Deutsche Landkreistag weitestgehend
bestätigt.
Der Kreisausschuss empfahl dem Kreistag sodann einstimmig,
folgenden
B
e s c h l u s s
zu fassen:
Sofern die rechtlichen Voraussetzungen dafür
geschaffen werden, macht der Landkreis Miltenberg von der Möglichkeit der
Option Gebrauch.