Tagesordnungspunkt

TOP Ö 11: Selbstverpflichtung des Landkreises Miltenberg: Verzicht auf Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit

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Sitzung:06.12.2007   BA/033/2007 
DokumenttypBezeichnungAktionen

 

Kreisbaumeisterin Schulz führte folgendes aus:

 

Im globalen Kampf um Marktanteile müssen die Produktionskosten laufend gesenkt werden. Der Kostendruck wird nach unten gegeben und in den Produktionsbetrieben werden nicht immer durch legale Mittel die Herstellungskosten gesenkt. Die Leidtragenden heißen Maria, José, Minh, Nayanda, Vinod oder Fatima. Sie sind zwischen acht und 15 Jahren alt, arbeiten in Silberbergwerken, Spielzeugfabriken, Steinbrüchen, Textilfabriken oder auf Orangenplantagen und haben noch nie eine Schule besucht. „Sie sind genau so produktiv wie Erwachsene, verursachen aber nur einen Bruchteil der Kosten“, so ein Fabrikdirektor aus Bangladesh. Sie brauchen das Geld für die Familie und mucken deshalb nicht auf und weil die Kinder so billig sind, werden sie auf dem Arbeitsmarkt zur Konkurrenz ihrer Eltern. So dreht sich die Spirale weiter und weiter. Häufig sind die Arbeitsbedingungen gefährlich. Kinder in Mittelamerika bringen Ernten ein, die mit Giften belastet sind, in Kolumbien quetschen sie sich in Kohlebergwerken durch engste Schächte, in Thailand schuften sie in Fabriken ohne Belüftung mit Glas, das auf 1500 Grad Celsius erhitzt wird, in Indien atmen sie große Mengen Schwefel und Kaliumchlorid ein, wenn sie mit brennbarem Pulver Streichhölzer herstellen, in China atmen sie giftige Dämpfe beim Zusammenlöten von Elektrospielzeug ein, in der Regel immer für den Export in die reichen Länder.

 

Das internationale Arbeitsamt in Genf schätzt, dass weltweit rd. 250 Mio. Kinder illegal arbeiten. Besonders schlimm ist die Situation der rd. 171 Mio. Kinder, die schädliche oder gefährliche Arbeit verrichten und der rd. 8 Mio. Kinder, die als Sklaven oder in Zwangsarbeit arbeiten.

 

Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Artikel 32 „Kinderarbeit ist verboten“.

 

ILO Konvention 138: Mindestalter für Arbeit 14 Jahre.

ILO Konvention 182: Definition von Kinderausbeutung

Diese ist in keinem Land erlaubt, jedoch gibt es nach wie vor Länder, die diese Konvention nicht ratifiziert haben.

 

Ausbeuterische Kinderarbeit wird im Sinne von Art. 3 des durch die Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Übereinkommens 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verstanden, d.h. insbesondere

-    alle Formen der Sklaverei oder alle sklavereiähnlichen Praktiken, wie der Verkauf von Kindern und der Kinderhandel, Schuldknechtschaft und Leibeigenschaft sowie Zwangs- oder Pflichtarbeit;

-    Arbeit, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet wird, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich ist.

Die Ratifizierung ist in Deutschland am 18.04.2003 in Kraft getreten.

 

In einer Vielzahl von Staaten ist ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der Konvention Nr. 182, Art. 3 der ILO zwar verboten, jedoch wird das Verbot vielerorts missachtet und Kinder u.a. zur Produktion von international gehandelten Waren eingesetzt. Auch Behörden in Bayern beschaffen unter Umständen Produkte, in denen ausbeuterische Kinderarbeit eingeflossen ist.

 

Zum Schutz der ausgebeuteten Kinderarbeiter bedarf es auf allen politischen Ebenen Maßnahmen, um diesen Missständen zu begegnen. Dabei stehen die Verbesserung der Lebenssituation der betroffenen Bevölkerungsgruppen und die Einhaltung der internationalen Arbeitsschutzrechte im Vordergrund.

 

Besonders betroffen von Kinderarbeit sind Sportartikel (Bälle, Kleidung) und Spielwaren, Teppiche, Wohn- und Kleidungstextilien, Lederwaren, Natursteine (insbesondere Grabsteine), Pflastersteine, Diamanten, Produkte aus Holz, Agrarprodukte wie Kakao, Orangensaft, Südfrüchte, Tee, Kaffee, Fischereiprodukte wie Garnelen, Shrimps, Feuerwerkskörper, Zündhölzer, elektronische Produkte die in Asien, Afrika oder Lateinamerika hergestellt werden. Nähere Informationen geben Menschenrechtsorganisationen:

- Eine Welt Netzwerk Bayern e.V.

- EarthLink e.V. in München

Internet: www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de

 

Gerade beim Thema Kinderarbeit ist es durch die Vielschichtigkeit von Produktionsabläufen und Handelswegen nur schwer nachvollziehbar, ob bestimmte Produkte unter ethisch verwerflichen sozialen Bedingungen geschaffen wurden. Die Frage des Nachweises der Einhaltung bestimmter sozialer Kriterien ist im Einzelfall nicht nur schwierig für den Auftraggeber, sondern auch vom Anbieter nur schwerlich zu beantworten, beispielsweise kann dies durch eine Zertifizierung einer unabhängigen Organisation oder eine entsprechende Selbstverpflichtungserklärung nachgewiesen werden. Es gibt zwar verschiedene Siegel, allerdings sind hierdurch längst nicht alle Bereiche abgedeckt und teilweise unterziehen sich nur wenige Anbieter der Zertifizierung. Anerkannte Siegel sind z.B.

- das Rugmark-Siegel für Teppiche ohne Kinderarbeit

- Produkte mit dem TransFair-Siegel (Orangensaft, Tee, Kaffee, Bälle).

 

Orangensaft ist eines der beliebtesten Fruchtsaftgetränke in Deutschland. Doch wenn man an die Bedingungen denkt, unter denen Kinder auf den riesigen Orangenplantagen schuften, kann einem der Genuss schnell vergehen. In Brasilien, von wo Deutschland 90 % des Orangensafts bezieht, sind inzwischen mehr als ein Viertel aller Orangenpflücker minderjährig. Neben der Tatsache, dass sie billiger und gefügiger sind, werden sie auch deshalb gerne eingestellt, da sie mit ihrem geringeren Körpergewicht leichter auf die Orangensträucher klettern können.

 

Fußbälle: Ob Fußballeuropameisterschaft 2004 in Portugal oder Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland: Tausende von Lederbällen gehen an die begeisterten Fußballfans über den Ladentisch. 80 % aller weltweit hergestellten Lederfußbälle stammen aus der pakistanischen Stadt Sialkot - egal ob Billig- oder Markenprodukt. Verglichen mit anderen Beschäftigungsmöglichkeiten ist das Nähen von Fußbällen in der Sportartikelindustrie eine relativ unsichere und schlecht bezahlte Arbeit. Das Monatseinkommen eines erwachsenen Nähers reicht bei weitem nicht aus, um eine Familie von durchschnittlich sechs bis acht Personen zu ernähren. Deshalb wundert es nicht, dass vor allem Frauen und auch Kinder in Heimarbeit die Lederwaben zusammennähen. Dazu sind 650 Stiche nötig, rund zwei Bälle schafft ein Kind in zehn Stunden Arbeit und erhält dafür umgerechnet ca. 1 Euro.

 

Immer mehr Natursteine, vor allem Granitsteine, kommen über den Seeweg aus Asien zu uns. Rd. zwei Drittel aller Grabsteine in Deutschland kommen aus Indien. Neben geringen Transportkosten macht vor allem die Arbeit von Kinderhänden dieses Geschäft rentabel. Eigentlich ist die Arbeit in Steinbrüchen für Kinder unter 16 Jahren nach indischem Gesetz verboten. Deshalb sind die meisten Kinder auch illegal beschäftigt, oft lebt gar die ganze Familie in Schuldknechtschaft. Einmal verschuldet, kommt sie nie mehr aus der Abhängigkeit heraus. Eltern wie Kinder arbeiten zwölf Stunden täglich für einen sehr kargen Lebensunterhalt. Die Arbeit in den Steinbrüchen ist außerordentlich gefährlich: Es kommt zu Verletzungen durch Abstürze, Steinschlag, splitternde Steine und den ungeschützten Einsatz von Schlagwerkzeugen. Unfälle beim Gebrauch von Sprengstoff stehen auf der Tagesordnung. Darüber hinaus verursacht der Steinstaub chronische Lungenkrankheiten. Unabhängige Kontrollen, ob die Steine mit Hilfe von Kinderarbeit produziert wurden, gibt es z.Z. nicht. Dennoch streben einige Hilfsorganisationen, wie Misereor in Zusammenarbeit mit engagierten Steinmetzen die Einführung eines Kontrollsiegels an, ähnlich dem Rugmark-Siegel für Teppiche. Das Siegel XertifiX (Verein seit 2005 zertifiziert)- gestützt durch örtliche Kontrollen in indischen Steinbrüchen – z.Z. drei Handelspartner, die Steine aus Indien liefern, die garantiert ohne Kinder- und Sklavenarbeit hergestellt sind. Einige Gemeinden und auch z.B. die nordelbische Landeskirche haben bereits (über die Friedhofssatzung) beschlossen, nur noch zertifizierte Grabsteine zuzulassen.

 

In immer mehr Ländern, Städten und Kommunen fassen die Gremien Beschlüsse, wonach bei der Vergabe öffentlicher Aufträge keine Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit mehr zugelassen werden sollen. Eine Richtlinie der Europäischen Union zum öffentlichen Beschaffungswesen bestärkt diese Initiativen, da nun auch vergabefremde Kriterien bei öffentlichen Aufträgen berücksichtigt werden sollen. Artikel 26 der Richtlinie 2004/18/EG: „Die öffentlichen Auftraggeber können zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrages vorschreiben, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden. Die Bedingungen für die Ausführung eines Auftrage können insbesondere soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen.“ Bisher wurde diese Richtlinie in Deutschland nicht umgesetzt.

 

Die Bundesregierung berät seit einiger Zeit über eine Reform des Vergabewesens. Aus dem Gutachten zur öffentlichen Beschaffung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (12.05.2007) werden jedoch klare Vorschläge genannt, in welche Richtung der Weg gehen soll: Wirtschaftlichkeit der Vergabe wird weiter der Berücksichtigung von sozialen und umweltpolitischen Aspekten vorgezogen. Zwar sieht das Gutachten vor, mit einer Preispräferenzenpolitik die Berücksichtigung von vergabefremden Kriterien zu belohnen, indem ein Unternehmen, welches die Kriterien erfüllt, einen Preisvorsprung vor den Mitbewerbern eingeräumt wird; damit wird der sozial-ökologischen und fairen Beschaffung weiterhin eine untergeordnete Rolle zugeschrieben und es ist nicht beabsichtigt eine Ausschlussmöglichkeit von Produktangeboten, die unter menschenunwürdige Arbeitsbedingungen wie ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt wurden, einzuführen.

 

Das deutsche Vergaberecht eröffnet daher bisher noch keine Möglichkeit, diese Qualifikation oder Voraussetzung bei der Produktherstellung zu fordern oder solche Produkte rechtssicher ausschließen zu können; unabhängig von der geschilderten Schwierigkeit der lückenlosen Überprüfung der Produktionsbedingungen.

 

Der Bayerische Landtag hat am 18.07.2007 folgendes beschlossen: „Vermeidung des Erwerbs von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens“- Drucksache 15/8713 (www.bayern.landtag.de – Parlamentspapiere).

 

Insbesondere will sich die Bayerische Staatsregierung gegenüber der Bundesregierung dafür einsetzen, dass im Zuge der Neugestaltung des öffentlichen Vergaberechts öffentlichen Auftraggebern unstrittig die Möglichkeit gegeben wird, bei Ausschreibungen ökologische und soziale Kriterien zu berücksichtigen. Z.Z. prüft auch das Bayerische Wirtschaftsministerium zusammen mit Vertretern der Obersten Baubehörde die Grundlagen, auf denen der Freistaat Bayern Rechtssicherheit schaffen könnte. Wesentlich ist jedoch auch die Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung von Verbrauchern und Unternehmen.

 

Die Bayerische Staatsregierung wird zusammen mit den im Eine Welt Netzwerk Bayern e.V. zusammengeschlossenen Eine-Welt-Initiativen über die Problematik der ausbeuterischen Kinderarbeit informieren und zu weiterem Engagement auffordern.

 

Der Landkreis Miltenberg sollte sich daher verpflichten, wenn möglich zertifizierte Produkte einzukaufen, mit Öffentlichkeitsarbeit auf dieses Thema und die Möglichkeiten für Verbraucher und Unternehmen hinzuweisen und sobald die vergaberechtlichen Voraussetzungen geschaffen sind, diese auch in die entsprechenden Ausschreibungsunterlagen (Qualifikations-/Zertifikationsnachweise) mit aufzunehmen.

 

Landrat Schwing bemerkte, dass der Bauausschuss heute nur für das Thema „Kinderarbeit“ sensibilisiert werden solle. Sobald die Oberste Baubehörde „Grünes Licht“ gebe, werde der Landkreis Miltenberg bei Ausschreibungen Qualifikations-/Zertifikationsnachweise fordern.

 

Kreisrätin Becker dankte Kreisbaumeisterin Schulz für ihre Ausführungen und erinnerte daran, dass Ursache für Kinderarbeit die „Geiz ist geil“-Mentalität vieler Bürgerinnen und Bürger sei. Jede/r sollte daher über faire Preise nachdenken.

 

Der Bauausschuss erklärte sich einstimmig damit einverstanden, dass sich der Landkreis Miltenberg, sobald die vergaberechtlichen Voraussetzungen vorliegen, verpflichtet, in seinen Ausschreibungen Qualifikations-/Zertifikationsnachweise fordert und so auf Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit verzichtet.

 

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