Tagesordnungspunkt
TOP Ö 13: Antrag von Bündnis 90/Die Grünen: Öffentliche Gedenkveranstaltungen am 9. November (Reichspogromnacht) oder am 21. Januar (Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz)
Bezeichnung | Inhalt |
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Sitzung: | 19.07.2007 KA/036/2007 |
Dokumenttyp | Bezeichnung | Aktionen |
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Verwaltungsdirektor Fieger gab folgenden Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen vom 01.06.2007 bekannt: „Der Kreistag möge beschließen:
Der Landrat bzw. die Verwaltung möge eine öffentliche Gedenkveranstaltung z.B.
am 9.11. (Reichspogromnacht) oder am 21.1. (Befreiung von Auschwitz) bzw. an
einem lokal bedeutsamen Termin organisieren, um entscheidend dazu beizutragen,
ein öffentliches Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten gegen
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu geben.“
Zuständig für die Beratung und Beschlussfassung über
den Antrag von Kreisrat Scherf sei der Kreisausschuss (§ 31 Abs. 1 Sätze 1 und
3 der Geschäftsordnung für den Kreistag (GeschO).
In der Antragsbegründung werde auf den Anstieg rechts
motivierter Gewalt im Landkreis Miltenberg in den Jahren von 2004 (zwei
Straftaten) über 2005 (vier Straftaten) bis 2006 (zehn Straftaten), vor allem
im Vergleich zum Regierungsbezirk Unterfranken und zu der/dem benachbarten
Stadt und Landkreis Aschaffenburg hingewiesen. Deshalb erscheine es den
Mitgliedern von Bündnis 90/Die Grünen angebracht, ein öffentliches Bekenntnis
abzugeben.
Eine telefonische Nachfrage bei der Kriminalpolizei
Aschaffenburg (Referat Staatsschutz) habe ergeben, dass die Zahlenangaben im
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zutreffend seien. Zur Vervollständigung des
Sachverhaltes sei jedoch darauf hinzuweisen, dass von den im Jahr 2006 im
Landkreis Miltenberg registrierten 10 Straftaten lediglich eine Straftat in der
realen Öffentlichkeit begangen worden sei. Es habe sich hierbei um eine
Aufsprühung am Bahnhof Wörth a.Main gehandelt, strafbar nach §§ 86 a, 303 StGB.
Bei den übrigen neun Straftaten habe es sich um solche gehandelt, die über das
Internet begangen worden seien (Kauf von Musik-CD´s mit rechtsradikalen Titeln
bei einem Internet-Versand, Einträge auf einer Internetplattform, die wiederum
ausschließlich von Jugendlichen vorgenommen worden seien).
Ohne irgendetwas bagatellisieren oder verharmlosen zu
wollen, lasse sich aus diesem Sachverhalt nicht der Schluss ziehen, dass im
Landkreis Miltenberg das Sicherheitsrisiko durch rechtsradikale Straftäter
erheblich zugenommen habe. Auch lasse sich weder durch die Zahl der Delikte
noch durch ihre Qualität eine verstärkte rechtsradikale Gesinnung im Landkreis
Miltenberg belegen.
Der 9. November und der 21. Januar erinnern an eines
der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Beide Tage ermahnen dazu, dass
eine freiheitliche Demokratie keine Selbstverständlichkeit sei, sondern jeden
Tag aufs Neue verteidigt werden müsse. Die Erinnerung an die Reichspogromnacht
oder an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz verpflichte alle,
nicht tatenlos zuzusehen, wenn Menschenrechte missachtet und Menschen verfolgt
oder vertrieben werden. Vor diesem Hintergrund sei es die Pflicht jedes
einzelnen, sich für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung einzusetzen
und gegen das Vergessen einzutreten. Ein Bekenntnis hierzu können die
Mitglieder des Kreistages jederzeit ablegen. Eine Einzelveranstaltung des
Landkreises Miltenberg wäre jedoch angesichts der gesamtgesellschaftlichen
Bedeutung der Aufgabe wenig geeignet, dem gemeinsamen Ziel des Eintretens gegen
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entscheidend näher zu kommen.
Die Verwaltung schlage vor, den Antrag abzulehnen.
Kreisrat Scherf führte zum vorliegenden Antrag aus,
dass es verschiedene Formen des Gedenkens gebe. Für sehr wichtig halte er es,
den Anfängen zu wehren. Im Antrag seien die offiziell bekannten Straftaten
enthalten. Die tatsächlichen Straftaten liegen jedoch deutlich über diesen
Zahlen. Im Landkreis Miltenberg sowie in Unterfranken sei die Situation zwar
noch stabil, aber Internet-Veröffentlichungen leiten viele Jugendliche in die
Irre und erst vor wenigen Wochen habe sich im Landkreis Miltenberg ein
NPD-Kreisverband gegründet. Es wäre daher gut, wenn rechtzeitig Flagge gezeigt
und der Kreistag über alle Parteigrenzen hinweg mit Landrat Schwing an der
Spitze einmal jährlich eine Gedenkveranstaltung durchführen würde. Dazu könnten
alle Bürgerinnen und Bürgerinnen eingeladen werden, um zu zeigen, dass
Rechtsradikale im Landkreis Miltenberg keinen Boden unter die Füße bekommen.
Kreisrat Dr. Schüren vertrat die Meinung, dass der
Antrag so nicht gestellt sein dürfte. Zunächst sei richtig zu stellen, dass das
Konzentrationslager Auschwitz nicht am 21. Januar, sondern am 27. Januar
befreit worden sei. Auf Bundesebene werde dieses Ereignisses jährlich am 27.
Januar gedacht. Er (Kreisrat Dr. Schüren) sehe ein Problem in der Begründung
des Antrages, wonach aus aktueller Not heraus eine Aktion in Gang gesetzt
werden soll. Es stimme, dass es auch im Landkreis Miltenberg schon
Rechtsradikale gebe, aber der Schluss der daraus gezogen werde, sei falsch. Er
sei der Meinung, dass der 27. Januar ein guter Tag für eine Veranstaltung von
offizieller Seite (des Landkreises) wäre, weil der Tag der Befreiung des
Konzentrationslagers Auschwitz der erste Schritt zur Befreiung vom
Nationalsozialismus sei. Bei dem vorliegenden „verkorksten“ Antrag sei zwar die
Begründung falsch, aber den Antrag abzulehnen wäre falsch. Er könne sich eine
Gedenkveranstaltung vorstellen, jedoch nicht wegen der Vorkommnisse in
Mömlingen, sondern weil der 27. Januar ein historisches Ereignis sei. Dieses
Ereignis sollte entsprechend gewürdigt werden. Kreisrat Dr. Schüren schlug vor,
darüber in Ruhe nachzudenken.
Kreisrat Andre wies darauf hin, dass der 9. November
und der 27. Januar so bedeutsame Ereignisse seien, die mit kleinen
Vorkommnissen nicht in Verbindung gebracht werden können. Zum Glück sei
aufgrund der Vorkommnisse im Landkreis Miltenberg noch nicht eine Gefahr für
die Demokratie zu befürchten. Die Aktion am 22.07.2006 in Miltenberg, als
Pfarrer Boom während einer Veranstaltung der Rechtsradikalen die Glocken habe
läuten lassen, habe gezeigt, dass die Bevölkerung die Situation erkannt habe.
In letzterZeit habe sich im Hinblick auf die Gefahr von Rechts auch schon
einiges getan. Seit Bundespräsident Herzog den 27. Januar zum Gedenktag erklärt
habe, finden an diesem Tag jährlich Veranstaltungen in verschiedenen Schulen
statt und die Presse habe diese Veranstaltungen bisher immer ausführlich
gewürdigt. Kreisrat Andre schlug ebenfalls vor, in Ruhe zu überlegen, in
welcher Form seitens des Kreistages, allerdings nicht aufgrund der Begründung
von Bündnis 90/Die Grünen, eine würdige Veranstaltung durchgeführt werden
könne. Seiner Meinung nach müsse man sich nicht unbedingt auf die beiden Daten
9. November oder 27. Januar festlegen. Es könnte auch der 31. Juli 1932, dem
Tage der „Katastrophenwahl“ in Deutschland, zum Anlass einer Veranstaltung
genommen werden.
Landrat Schwing sagte, er würde sich wünschen, dass
alle Menschen im täglichen Leben für Demokratie eintreten. In der Diskussion
sei von allen Rednern gesagt worden, dass es dafür keines aktuellen Anlasses
bedürfe. Der vorliegende Antrag basiere auf nur 2 %o der Straftaten insgesamt.
Er (Landrat Schwing) sei grundsätzlich dagegen, an den vorgeschlagenen Tagen
Gedenkveranstaltungen seitens des Landkreises zu organisieren, weil diese von
der Bevölkerung nicht wahrgenommen würden. Sinnvoller wäre es, wenn jede/r
persönlich gegen Rechts eintreten und mit gutem Beispiel vorangehen würde. Er
finde es positiv, dass über das Thema gesprochen und sich Schulen auf Weisung
des Bayerischen Kultusministeriums dieses Themas annehmen.
Kreisrat Ritter stellte deutlich klar, dass Mömlingen,
nicht wie von Kreisrat Scherf in der Presse behauptet Hochburg der Rechtsradikalen
sei. An der von Kreisrat Scherf genannten Veranstaltung hätten Jugendlich von
außerhalb und nur ein Mömlinger Jugendlicher, der zugezogen sei, teilgenommen.
Die Gemeinde Mömlingen habe am Veranstaltungsort sofort eine Schranke anbringen
lassen. Es stimme auch, dass aus Mömlingen einmal zwei Republikaner Mitglieder
des Kreistages gewesen seien, die allerdings nicht durch ungutes Betragen
aufgefallen seien. Wenn Kreisrat Scherf versuche, Mömlingen als Nazidorf
hinzustellen, sei das unverschämt.
Kreisrat Scherf erklärte, wenn Kreisrat Ritter seinen
Vorwurf aufrecht halte, behalte er sich rechtliche Schritte vor. Was Kreisrat
Ritter gesagt habe, entbehre jeder Sachlichkeit. Wenn Kreisrat Ritter behaupte,
die beiden Mömlinger Republikaner hätten sich anständig benommen, mache er sich
zum „Steigbügelhalter“.
Landrat Schwing forderte Kreisrat Scherf auf, Vorwürfe
zu unterlassen.
Kreisrat Scherf erklärte, dass der vorliegende Antrag
offen formuliert sei. Es werde kein bestimmter Tag für eine Gedenkveranstaltung
beantragt. Er sei damit einverstanden, dass entsprechend dem Vorschlag der
Kreisräte Dr. Schüren und Andre in Ruhe über einen bestimmten Tag nachgedacht
werde.
Landrat Schwing bemerkte, er wehre sich dagegen, dass
die Landkreisverwaltung für alles Verantwortung übernehmen soll, wofür sie gar
nicht zuständig sei. Vielmehr sollten sich Parteien und Wählergruppen gemeinsam
dieses Themas annehmen.
Kreisrat Stappel hielt eine von Bündnis 90/Die Grünen
beantragte Veranstaltung auf Kreisebene für nicht sinnvoll, weil das nicht der
direkte Schutz gegen Rechst sei. Schutz und Information sollte den Jugendlichen
von ihren Familien und den Schulen geboten werden. Eine Gedenkveranstaltung
biete keinen Schutz und sei für einen kleinen Landkreis sinnlos.
Kreisrat Dr. Fahn sagte, der vorliegende Antrag sei so
wichtig, dass er politisch nicht zerredet werden dürfe. Er schlage vor, dass
Kreisrat Scherf den Antrag zurückziehe und der Kreisausschuss noch einmal
darüber diskutiere, damit er eine Mehrheit bekomme.
Landrat Schwing erklärte daraufhin, der Antrag sei
nicht zerredet worden. Die Diskussion sei gut und lehrreich gewesen. Der
Kreisausschuss sei jedoch nicht das Gremium, das sich mit dem Antrag
beschäftigen müsse. Dafür seien die politischen Parteien zuständig. Er schlage
vor, dass der Antrag von den im Kreistag vertretenen politischen Parteien nach
dem 02.03.2008 gemeinsam beraten und die Initiative ergriffen werde.
Kreisrat Scherf erklärte sich mit dieser
Vorgehensweise einverstanden.