Tagesordnungspunkt
TOP Ö 5: Sachstand: Umsetzung Sozialgesetzbuch (SGB) II, Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
Bezeichnung | Inhalt |
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Sitzung: | 17.05.2004 KA/009/2004 |
Dokumenttyp | Bezeichnung | Aktionen |
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Landrat Schwing wies darauf hin, dass im Rahmen des
Vermittlungsverfahrens Ende Dezember 2003 das “4. Gesetz für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”, genannt: “Hartz IV”, beschlossen worden sei,
mit welchem in einem neu geschaffenen SGB II Arbeitslosen- und Sozialhilfe
zusammengeführt werden sollen. Das Gesetz trete, sofern keine Änderung mehr
erfolge, am 01.01.2005 in Kraft. Im Landkreis Miltenberg müssen daraufhin
künftig ca. 2.800 Bedarfsgemeinschaften nach diesem Gesetz betreut werden.
Das Hartz IV-Gesetz
weise in seinem Grundsatz der Agentur für Arbeit die Aufgabe der Eingliederung
der Arbeitslosen zu, daneben die Zahlung der Regelsätze. Aufgabe der Kommunen
wäre die Bewilligung und Zahlung von Unterkunfts- und Heizkosten sowie die
Erbringung begleitender Betreuungshilfen. Entgegen ursprünglicher Zusagen der
Bundesregierung, wonach dieses Gesetz eine Entlastung der Kommunen in Höhe von
2,5 Mrd € jährlich hätte bewirken sollen, müsse man nun nach aktuellen
Berechnungen mit einer deutlichen Mehrbelastung der Kommunen rechnen.
Grundsätzlich sollen nach dem Gesetz Arbeitsagentur und Kommunen die Umsetzung
des SGB II in Arbeitsgemeinschaften ab 01.01.2005 gemeinsam gewährleisten.
Alternativ sei es den Kommunen in einer “Optionsregelung” freigestellt, sämtliche
Aufgaben nach dem SGB II, also auch die der Arbeitsagentur, zu übernehmen.
Näheres soll in einem Bundesgesetz geregelt werden.
Dieses
“Optionsgesetz” sei mit der Regierungsmehrheit zwischenzeitlich vom Bundestag
beschlossen, am 14.05.2004 jedoch vom Bundesrat abgelehnt worden. Der Inhalt
des Optionsgesetzes sei nämlich für die Kommunen unter keinen Umständen
akzeptabel, weil die Aufgabenübernahme nicht im Rahmen einer echten kommunalen
Trägerschaft vorgesehen sei, sondern im Wege einer "Organleihe", bei
der die Kommunen in der Ausführung des Gesetzes an die Weisungen und Vorgaben
der Bundesagentur für Arbeit gebunden wären. Darüber hinaus sichere der
Gesetzeswortlaut nicht ausreichend die Finanzierung der anfallenden Kosten
durch den Bund.
Das Präsidium des
Bayer. Landkreistages habe am 21.04.2004 festgestellt, dass eine sinnvolle
Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nur über eine
einheitliche Zuständigkeit eines Verwaltungsbereichs erreicht werden könne,
nämlich entweder eine Gesamtzuständigkeit der Kommunen oder der
Arbeitsverwaltung. Deshalb sei eine Änderung des SGB II unumgänglich.
Jedenfalls müsse im Rahmen des Konnexitätsprinzips die gesicherte und
auskömmliche Finanzierung der Aufgabe folgen. Der Bayer. Landkreistag könne im Hinblick
auf die Unzulänglichkeiten des Optionsgesetzes gegenwärtig keinem Landkreis
empfehlen, von der Option Gebrauch zu machen.
Angesichts der
Unzulänglichkeiten des gesamten Gesetzeswerks habe es bereits Ende März 2004
der Deutsche Landkreistag abgelehnt, auch nur in den Arbeitsgemeinschaften
mitzuwirken, damit nicht die Kommunen für die Ausführung dieses Gesetzes,
welches in hohem Maße Mängel und Risiken aufweise und auf der Ebene der
Bundesagentur für Arbeit nicht fristgerecht umgesetzt werden könne, in die
Verantwortung genommen werden. Der Deutsche Landkreistag habe den Gesetzgeber
aufgefordert, umgehend eine Korrektur des Finanztableaus dahingehend zu
beschließen, dass im Jahr 2005 eine Entlastung der Kommunen von mindestens 3
Mrd € entstehe und ab 2006 gewährleistet sei, dass die ursprünglich zugesagte
Gesamtentlastung der Kommunen von jährlich 2,5 Mrd € nachweislich entstehe. Dem
Vernehmen nach will Bundesminister Clement ein solches Gesetz noch im Mai 2004
vorlegen. Man vermute, dass sowohl dieses Entlastungsgesetz, als auch das
Optionsgesetz dann letztendlich zusammengefasst Ende Juni 2004 im
Vermittlungsausschuss verhandelt werden.
Für den Landkreis
Miltenberg würden sich lt. Umfrage des Bayer. Sozialministeriums durch die
Regelungen des SGB II jährliche Mehrkosten von ca. 6,6 Mio € ergeben. Der
Landkreis Miltenberg sei dabei voraussichtlich ungleich härter betroffen als
viele andere Landkreise. Beim Landkreis Aschaffenburg werden die Mehrkosten
beispielsweise nur mit etwa 5 Mio € berechnet. Dies liege daran, dass im
Landkreis Miltenberg im Vergleich die wenigsten Sozialhilfeempfänger, aber die
meisten Arbeitslosenhilfeempfänger in der Region leben, für die dann die
Unterkunftskosten getragen werden müssten. Hinzu komme, dass der Landkreis Miltenberg
mit knapp 10 % eine relativ hohe Ausländerquote habe. Dies sei deshalb mit
ausschlaggebend, weil im Gegensatz zur seitherigen Sozialhilfe beim zukünftigen
SGB II die Zuständigkeit für Ausländer auch beim Landkreis liegen würde.
Der Bayer. Landkreistag
bereite für klagewillige Landkreise gegen das SGB II einen Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung sowie eine Kommunalverfassungsbeschwerde beim
Bundesverfassungsgericht Karlsruhe vor. Im
Hinblick auf die für den Landkreis Miltenberg zu erwartende Kostenbelastung
durch das SGB II sei beabsichtigt, diesem Verfahren beizutreten bzw. sich an
den Kosten zu beteiligen, sofern sich dies angesichts der weiteren
Sachentwicklung als sinnvoll erweise.
Verwaltungsamtmann
Vill gab sodann folgende Zahlen bekannt:
HLU-Stichtagsfälle
bis Ende 2003
Landkreis
Miltenberg: 936 (
21,59 %)
Landkreis
Aschaffenburg: 1.400 ( 32,29 %)
Stadt
Aschaffenburg: 2.000
( 46,13 %)
Summe: 4.336
(100,00 %)
Arbeitslosenhilfeempfänger im September 2004 (Schätzung der Agentur für Arbeit)
Landkreis
Miltenberg: 2.071
( 38,45 %)
Landkreis
Aschaffenburg: 1.799 ( 33,40 %)
Stadt
Aschaffenburg: 1.516
( 28,15 %)
Summe: 5.386
(100,00 %)
Kreisrat
Dr. Schüren bat um folgende Klarstellungen: Landrat Schwing habe gesagt, auch
wenn der Bund die Kommunen finanziell ausreichend ausstatten würde, sei er
gegen das Optionsmodell, weil das die Kommunen entmachten würde.
Landrat
Schwing wies darauf hin, dass er mehrere Jahre an einem Papier bezüglich
Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe mitgewirkt habe. Dies wäre
jedoch nur sinnvoll, wenn die künftigen Aufgaben den Kommunen übertragen
würden. Dann sei die Diskussion über “Hartz IV” aufgekommen. Der Bund habe
nichts abtreten wollen und die Kommunen hätten gesagt, sie würden die Aufgabe
übernehmen, aber nur mit grundsätzlich abgesicherter Finanzierung. Das
Optionsmodell halte er (Landrat Schwing) für unsinnig. Seinerzeit sei davon
ausgegangen worden, dass für die Kommunen eine jährliche Entlastung von 2,5 Mrd
€ komme, jetzt stelle sich heraus, dass milliardenschwere Belastungen kommen
werden. Bezüglich des “Hartz IV”-Gesetzes, welches zum 01.01.2005 in Kraft
treten soll, müsse nun gemeinsam erreicht werden, dass dieses ausgesetzt werde,
bis die finanzielle Absicherung feststehe und entschieden sei, dass sämtliche
Aufgaben nach dem SGB II den Kommunen übertragen werden. Hinzu komme, dass die
Kommunen künftig kein Wohngeld, aber die kompletten Unterkunfts- und Heizkosten
zahlen, dafür aber keine Entlastung erhalten sollen. Durch den Wegfall von
Wohngeldzahlung spare der Bund jährlich 1,9 Mrd €. Denselben Betrag sparen die
Länder.
Unter
Hinweis darauf, dass der Landkreis Miltenberg keine Mehrbelastungen von jährlich
6,6 Mio € tragen könne, sprach sich Kreisrat Dr. Fahn für eine
Verfassungsbeschwerde aus und fragte, ob weitere Kommunen dazu bereit seien.
Landrat
Schwing teilte daraufhin mit, dass alle Kommunen zur Klage bereit seien. Der
Deutsche Landkreistag habe bereits mitgeteilt, dass er für seine Mitglieder die
Klage vorbereite. Ziel sei eine
einstweilige Anordnung sowie eine Kommunalverfassungsbeschwerde, um den
Zeitdruck aus der angestrebten Reform herauszubekommen. Landrat Schwing bat
auch die Vertreter der einzelnen Fraktionen, ihre Abgeordneten zu bitten, sich
dafür einzusetzen, dass der Zeitdruck entfalle.
Kreisrat
Stappel berichtete, dass er anlässlich einer Kreishandwerker-Sitzung mit
Direktor Maidhof von der Arbeitsagentur Aschaffenburg über die beabsichtigte
Zusammenführung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe gesprochen habe. Direktor
Maidhof habe geäußert, dass es im Moment noch kein Optionsmodell gebe. Aus
seiner Sicht wäre es sinnvoll, wenn künftig die Arbeitsagentur alles bearbeiten
würde. Schließlich habe der Landkreis Miltenberg eine hohe Arbeitslosenquote
und innerhalb der Region 1 zeichne sich keine Aufwärtsentwicklung der
Wirtschaft ab, wodurch die Arbeitslosenquote abgebaut werden könnte. Kreisrat
Stappel warnte vor einer zu frühen Entscheidung, weil sich dies nachteilig für
den Landkreis Miltenberg auswirken könnte. Jährliche Mehrkosten von 6,6 Mio €
geben bereits zu denken.
Kreisrat
Dotzel dankte Landrat Schwing dafür, dass er den Kreisausschuss darüber
informiert habe, welche Auswirkungen für die Kommunen zu erwarten seien. 6,6
Mio € Mehrbelastungen wären der finanzielle Absturz mit der Folge, dass
Investitionen zurückgefahren werden müssten. Eine Zusammenlegung von Sozial-
und Arbeitslosenhilfe sei absolut sinnvoll. Unter Hinweis darauf, dass im Juli
2004 die FAG-Finanzausgleich-Verhandlungen mit dem Freistaat Bayern
stattfinden, bat Kreisrat Dotzel um Ermittlung, welche Auswirkungen die
Zahlungen an Ausländer haben. Für die Bezirke werde es keine Entlastung geben.
Kreisrat
Andre bemerkte, dass Hauptgrund für die Zusammenlegung von Sozial- und
Arbeitslosenhilfe gewesen sei, dass die Landkreise besser in der Lage seien,
mehr Menschen in Arbeit und Brot zu bringen und zu vermitteln. Außerdem sei die
in den Landkreisen vorhandene Anzahl von Fällen nicht so groß. Mit dem ein paar
Jahre gut gelaufenen Projekt “Hilfe zur Arbeit” sei man leider nicht
weitergekommen, weil die Kompetenz für Vermittlung bei der Arbeitsagentur
gelegen habe. Mittlerweile sei man von der ursprünglichen Absicht abgekommen,
indem über Software, Personaleinstellungen usw. gesprochen werde. Nach Meinung
von Kreisrat Andre wäre es sinnvoll, auf die ursprüngliche Idee zurückzukommen.
Die rd. 3.000 Fälle von Sozial- und Arbeitslosenhilfe, die es im Landkreis
Miltenberg gebe, könnten vom Sozialamt bearbeitete werden. Jährliche Mehrkosten
in Höhe von 6,6 Mio € könne der Landkreis Miltenberg jedoch nicht schultern.
Kreisrat
Dr. Schüren sagte, er denke, dass eine partnerschaftliche Kooperation zwischen
Arbeitsagentur und Landkreis Miltenberg sinnvoll wäre und fragte, wieviel
Personal beim Landkreis Miltenberg eingestellt werden müsste, wenn es zur
Übernahme der Aufgaben durch den Landkreis oder in Kooperation mit der
Arbeitsagentur käme. Er befürchte nämlich, dass, wenn der Bund Finanzmittel zur
Verfügung stelle, Personalkosten nicht erstattet werden.
Landrat
Schwing bemerkte dazu, es sei richtig, die Personalkosten in die Berechnungen
einzubeziehen. Diese seien jedoch nicht das einzige Problem. Für die Übernahme
der Aufgaben wäre auch die entsprechende Infrastruktur sowie die Ausstattung
der Arbeitsplätze erforderlich. Bei der ganzen Diskussion total in den
Hintergrund getreten seien bisher die Hilfebezieher bzw. -bezieherinnen. Diese
werden, wenn bis 01.01.2005 keine saubere Entscheidung getroffen sei, weder vom
Landkreis Miltenberg, noch von der Arbeitsagentur finanzielle Hilfe erhalten.
Es sollte bedacht werden, dass hinter fast jedem dieser Fälle eine Familie
stehe.
Kreisrat
Stappel schloss sich der Meinung der Kreisräte Andre und Dr. Schüren, dass die
Zusammenführung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe sinnvoll sei, an. Bezüglich
der zusätzlich entstehenden Kosten bat er, zu prüfen, welcher Personalaufwand
erforderlich sei und mit welchen Kosten für Investitionen, Ausstattung der Arbeitsplätze
usw. gerechnet werden müsse. Nach Meinung von Kreisrat Stappel könne zur
beabsichtigten Zusammenführung nur Ja gesagt werden, wenn der finanzielle
Bereich abgesichert sei, denn der Landkreis Miltenberg könne sich keinen Cent
weitere Schulden erlauben.
Kreisrat
Oberle hielt es ebenfalls für sinnvoll, die Entscheidung wegen zu vieler
ungeklärter Fragen zu verschieben, denn sonst sei zu erwarten, dass am
01.01.2005 Sozialhilfeempfänger vor der Tür des Landratsamtes Miltenberg stehen
und der Landkreis ihnen keine Leistungen gewähren könne.
Landrat
Schwing sprach abschließend die Hoffnung aus, dass die Verantwortlichen die
richtige Entscheidung treffen.