Tagesordnungspunkt

TOP Ö 7: Bericht über die geplanten Gesetzesreformen zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (SGB II) sowie BSHG-Reform (SGB XII)

BezeichnungInhalt
Sitzung:24.11.2003   SHA/001/2003 
DokumenttypBezeichnungAktionen

 

Verwaltungsamtmann Vill berichtete folgendes:

 

Während über die Diskussion um die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV - SGB II) in den Medien bereits vielfach berichtet worden sei, werde in der Öffentlichkeit kaum darüber gesprochen, daß sich parallel mit diesem Gesetzesvorhaben z.Z. auch eine grundlegende BSHG-Reform zur Eingliederung des BSHG in das Sozialhilfegesetzbuch im Vermittlungsauschußverfahren befinde (SGB XII). Beide Gesetze seien vom Bundesrat zustimmungspflichtig. Sie seien mit den Stimmen der Regierungskoalition am 17.10.2003 beschlossen und vom Bundesrat am 07.11.2003 abgelehnt worden. Beide Gesetze werden aktuell im Vermittlungsausschuß behandelt, dessen Ergebnis am 17.12.2003 bekanntgegeben werde und dann am 19.12.2003 von Bundestag und Bundesrat beschlossen.

 

Nachstehend die wesentlichen Inhalte der aktuell bekannten Entwürfe. Was im Vermittlungsausschuß beschlossen werde, könne u.U. etwas ganz anderes sein.

 

Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV - SGB II):

 

Konsens zwischen allen Beteiligten bestehe darüber, daß eine Zusammenführung der steuerfinanzierten Leistungen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einem einheitlichen Sozialleistungssystem dringend geboten sei, um Doppelbürokratie mit allen damit verbundenen Nachteilen abzubauen. Der derzeit im Vermittlungsausschuß befindliche Entwurf zum SGB II begründe eine Zuständigkeit des Arbeitsamtes für alle erwerbsfähigen bedürftigen Personen. Die Definition der Erwerbsfähigkeit im derzeit vorliegenden Gesetzesentwurf sei zwischenzeitlich so, daß der-/diejenige, der/die nicht zum Personenkreis der Grundsicherung (Personen über 65 oder dauerhaft Erwerbstätige zwischen 18 und 65) gehöre, automatisch zum Personenkreis des neuen SGB II gehöre. Damit würde die gleichzeitige Notwendigkeit einer Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG gänzlich entfallen. Als Ausgleich dafür, daß der Bund von den Kommunen die Kostenlast für die Fürsorgeleistung an bedürftige Erwerbsfähige übernehme, sehe das Gesetz eine Erhöhung der Umsatzsteuerquote des Bundes vor. Sein Anteil an der Umsatzsteuer soll zulasten der Länder im Jahr 2004 um 2,1 %, im Jahr 2005 um 5,8 %, im Jahr 2006 um 6,2 % und im Jahr 2007 um 7,3 % angehoben werden.

 

Die neue Leistung nach SGB II (AlG II) für den Erwerbsfähigen und Sozialgeld für dessen Angehörige berechne sich ähnlich wie die Sozialhilfe. Vorgesehen sei jedoch anstelle individueller Leistungen für einmalige Bedürfnisse eine im Regelfall 16 %-ige Pauschale für einmaligen Bedarf. Zur Abfederung des Wechsels vom regulären Arbeitslosengeld I in das geringere Arbeitslosengeld II soll ein Jahr lang zwei Drittel des Unterschiedsbetrages der beiden Leistungen gezahlt werden, ein weiteres Jahr dann noch einmal die Hälfte des Zuschlags.

 

Das Regelsatzsystem beim Sozialgeld werde im Vergleich zur seitherigen HLU vereinfacht: Der Haushaltsvorstand bekomme einen Regelsatz (RSHV) von 297,00 € (Sozialhilfe derzeit: 287,00 €) der Regelsatz bis zum 14. Lebensjahr betrage 60 % des RSHV, vom 14. bis zum 18. Lebensjahr 80 % des RSHV. Hinzu kommen die Pauschalzuschläge für einmalige Leistungen. Außerdem würden, wie bei der Sozialhilfe, Mehrbedarfszuschläge für Schwangerschaft, Alleinerziehung, Behinderung und Krankenkost sowie die angemessenen Unterkunfts- und die Heizkosten dazukommen. Desweiteren sei ein bedarfsabhängiger Kindergeldzuschlag von 140,00 € monatlich für längstens 36 Monate vorgesehen, der jedoch auf das AlG II anzurechnen wäre. Für Geringverdiener, die nur ergänzend die Fürsorgeleistung AlG II in Anspruch nehmen, gelten leicht erhöhte Absetzungsbeträge im Vergleich zur jetzigen BSHG-Regelung. Die Regelungen über Kürzung und Streichung der staatlichen Leistung bei Nichtannahme zumutbarer Arbeit seien im Gegensatz zur derzeitigen BSHG-Regelung (§ 25 BSHG) etwas gelockert.

 

Wenn das SGB II im derzeitigen Entwurf beschlossen würde, würde es ab 01.07.2004 in Kraft treten. Nach einer Übergangsregelung wären aber die Sozialämter bis längstens 31.12.2006 dafür zuständig, das AlG II nach der neuen Vorschrift für diejenigen Personen auszuzahlen, die am 30.06.2004 HLU bezogen haben. Der Bund würde dann zwei Drittel der Ausgaben für die Leistungen erstatten, daneben die Verwaltungskosten, letztere ab 01.01.2005 jedoch nur, wenn sie innerhalb der Agentur für Arbeit erbracht werden.

 

Die Union habe bereits angekündigt, daß sie mit diesem Gesetzeswerk nicht einverstanden sei. Parallel habe deshalb der Bundesrat am 17.10.2003 das vom Land Hessen eingebrachte Existenzgrundlagengesetz beschlossen. Dieses Gesetz, welches von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch im Bundestag eingebracht worden sei, sei dort am 17.10.2003 mit der Regierungsmehrheit abgelehnt worden. Es befinde sich jetzt ebenfalls im Vermittlungsausschuß. Auch dieses Gesetz sehe eine Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe vor, allerdings in kommunaler Trägerschaft. Es sehe nur noch eine einzige einheitliche Fürsorgeleistung anstelle von Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe und Grundsicherung vor, wodurch es bei diesem Gesetz letztlich zu einem zweigliedrigen System, bestehend aus regulärem Arbeitslosengeld und einer sog. “Hilfe zur Existenzsicherung” käme. Gleichzeitig mit diesem Gesetz sei eine Grundgesetzänderung eingebracht worden, wonach der Bund verpflichtet werde, den Kommunen die durch die Aufgabenübertragung entstehenden Mehrkosten zu erstatten. Mit Spannung werde deshalb der 19.12.2003, an dem das Ergebnis der Reformgesetze und die grundlegenden Änderungen für die Sozialhilfe ab 2004 feststehen werden, erwartet.

 

Zeitgleich mit diesen umfangreichen Umgestaltungsvorhaben befinde sich im Vermittlungsausschuß ein weiteres Gesetz zur Neugliederung des Bundessozialhilfegesetzes bzw. dessen Einordnung in das Sozialgesetzbuch im Rahmen eines SGB XII. In dieser neuen Vorschrift seien viele alte Regelungen des BSHG enthalten, allerdings anders numeriert und an einem anderem Platz im Gesetz. Das Gesetz enthalte nach wie vor Vorschriften über die Hilfe zum Lebensunterhalt. Damit stehe dieser Entwurf im inhaltlichen Widerspruch zum Entwurf des SGB II, welcher durch seine derzeit eingefügte Erwerbsfähigkeitsdefinition die Hilfe zum Lebensunterhalt grundsätzlich entbehrlich machen würde. Auch die neue HLU würde, wie das Arbeitslosengeld II, den einmaligen Bedarf weitgehend pauschalieren. Geplant sei ein neues Regelsatzsystem, wobei der neue Regelsatz noch nicht feststehe. Die Regelung zur Übernahme von Unterkunftskosten und Mehrbedarfszuschlägen erfolge ähnlich wie bisher. Für Hilfen in besonderen Lebenslagen sehe das Gesetz insbesondere vor, daß künftig der überörtliche Träger für Eingliederungshilfe (incl. Frühförderung), Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, also fast für die gesamte Hilfe in besonderen Lebenslagen außer der Hilfe bei Krankheit zuständig sei. Dies gelte jedoch nur, soweit Landesrecht nichts anderes regle. Abzuwarten wäre auch, inwieweit der überörtliche Sozialhilfeträger evtl. Aufgaben wieder an die örtlichen Träger delegiere. Hinsichtlich der Eingliederungshilfe sei bemerkenswert, daß der Gesetzentwurf für jeden Behinderten ein Reha-Träger-übergreifendes persönliches Budget vorsehe.

 

Der Bundesrat habe die vollständige Aufhebung dieses Gesetzes gefordert. Seine umfangreiche Kritik und die der kommunalen Spitzenverbände habe sich zunächst dagegen gerichtet, daß ein sehr großes Reformwerk sehr überstürzt durchgezogen werden soll. Zuerst würde es sich zumindest empfehlen, die Ergebnisse der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe abzuwarten. Daneben würde im Gesetzentwurf u.a. die prekäre Finanzsituation der Kommunen nur ungenügend berücksichtigt und vieles mehr. Auch hier werde der 19.12.2003 zeigen, ob und inwieweit dieses Reformvorhaben umgesetzt werde.

 

Ein anderes Reformvorhaben sei dagegen beschlossen und werde zum 01.01.2004 wirksam: Die Gesundheitsreform. Es sei bereits vielfach in den Medien darüber berichtet worden, daß  Zuzahlungen erhöht, eine Praxisgebühr eingeführt und Änderungen bezüglich Sterbegeld, Entbindungsgeld oder Zahnersatz kommen werden. Eine für die breite Öffentlichkeit weniger interessante, jedoch für die Sozialhilfe bedeutsame Änderung sei die Übernahme der Leistungen für Empfänger von Hilfe bei Krankheit durch die gesetzliche Krankenversicherung ab 01.01.2004. Seither hätten bedürftige Personen, welche nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert seien, bei Krankheit vom Sozialhilfeträger sog. Hilfe bei Krankheit (früher Krankenhilfe) erhalten. Das Sozialamt habe wie eine gesetzliche Krankenkasse die Leistungen der Krankenbehandlung an die kassenärztliche bzw. kassenzahnärztliche Vereinigung aufgrund der dort abgerechneten Krankenscheine gezahlt. Das gleiche System habe auch für Asylbewerber für Leistungen bei Krankheit nach § 4 AsylBLG gegolten. Die Neuregelung (§ 264 SGB V) sehe vor, daß Empfänger von Hilfe bei Krankheit künftig Leistungen von einer Krankenkasse ihrer Wahl erhalten, welche dann diese Leistungen vom zuständigen Sozialhilfeträger zzgl. eines Verwaltungskostenzuschlages von 5 % zurückerstattet bekomme. Dies gelte nur dann nicht, wenn voraussichtlich für weniger als einen Monat Hilfe zu gewähren sei.

 

In der Vergangenheit sei vielfach kritisiert worden, daß Sozialhilfeempfänger und Asylbewerber deutlich bessere Krankenversorgungsleistungen als Kassenpatienten erhalten. Dieser Vorwurf, ob berechtigt oder nicht, dürfte in Zukunft nicht mehr möglich sein, weil Sozialhilfeempfänger dann durch die Krankenkassen genau die gleiche Behandlung wie Kassenpatienten erfahren. Auch die Regelungen über die Hilfe bei Krankheit (§ 38 BSHG) seien ausnahmslos dem Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung angepaßt worden. Insbesondere die Zuzahlungsregelungen gelten für Sozialhilfeempfänger künftig genauso wie für Kassenpatienten, wobei die jährliche Belastungsgrenze, die sich am Sozialhilferegelsatz orientiere, niedriger sei. Lediglich beim Zahnersatz gelte noch bis Ende 2004 die seitherige 100%-ige Kostenübernahmeregelung.

 

Die Neuregelung habe jedoch auch einen möglichen Nachteil für die Sozialhilfeträger: Vermutlich aus Gründen der Einheitlichkeit der Leistungsabrechnung werden zukünftig auch die Anspruchsberechtigten nach dieser Vorschrift eine Versicherungskarte von ihrer gewählten Krankenkasse erhalten, aufgrund derer die ärztlichen Leistungen abgerufen werden können. Bei Ausscheiden aus dem Sozialhilfebezug müsse das Sozialamt die Karte zurückfordern. Für Kosten, die der Krankenkasse durch mißbräuchliche Inanspruchnahme der Versicherungskarte entstehen, hafte der Sozialhilfeträger. Es werde vermutet, daß das Mißbrauchsrisiko im Sozialhilfebereich im Verhältnis gesehen wesentlich größer sei als bei den Krankenkassen, weil hier die Fluktuation eine deutlich höhere sei.

 

Abschließend sei anzumerken, daß die Anwendung der Neuregelung auf Personen nach dem AsylbLG nur auf Empfänger von Leistungen nach § 2 AsylbLG beschränkt sei. Dies bedeute, daß der Großteil der Asylbewerber vom Sozialamt vorläufig weiter Krankenscheine nach altem Muster erhalten werde.

 

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