Tagesordnungspunkt
TOP Ö 7: Grundsicherungsgesetz: Antrag der Freien Wähler, Verfassungsbeschwerde zu erheben
Bezeichnung | Inhalt |
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Sitzung: | 17.07.2003 KA/004/2003 |
Dokumenttyp | Bezeichnung | Aktionen |
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Landrat Schwing teilte mit, daß Kreisrat
Dr. Fahn für die Fraktion Freie Wähler mit Schreiben vom 06.07.2003 gebeten
habe, folgenden Antrag auf die Tagesordnung der nächsten Kreistagssitzung zu
setzen: “Der Kreistag ermächtigt den Landrat, für den Landkreis Miltenberg
Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz über eine
bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) zu
erheben bzw. sich an einem vom Deutschen Landkreistag betriebenen Verfahren zu
beteiligen.”
Zur Begründung des Antrages werde
ausgeführt, daß der Deutsche Landkreistag ein Gutachten in Auftrag gegeben
habe, das bestätige, daß das Grundsicherungsgesetz verfassungswidrig sei.
Ferner sei es wichtig, daß möglichst genaue Daten aus möglichst vielen
Landkreisen gesammelt werden. Der Sozialhilfeausschuß des Landkreises Fürstenfeldbruck
habe z.B. am 24.03.2003 analog verfahren.
Ergänzend teilte Landrat Schwing mit, daß,
nachdem er diesen Antrag auf die Tagesordnung der heutigen Kreisausschußsitzung
gesetzt habe, Kreisrat Dr. Fahn gebeten habe, den Antrag im Kreistag am 21.07.2003
zu behandeln, weil er an der Kreisausschußsitzung nicht teilnehmen könne. Nach
Überprüfung durch Oberregierungsrat Fieger stehe jedoch fest, daß der Antrag
nicht vom Kreistag, sondern vom Kreisausschuß zu behandeln sei. Er (Landrat
Schwing) schlage daraufhin vor, den Antrag entweder heute zu behandeln oder die
Behandlung bis zur nächsten Kreisausschußsitzung im Herbst 2003
zurückzustellen. Die derzeitige Situation sei so, daß die Präsidien des
Deutschen und des Bayerischen Landkreistages beschlossen hätten, zu klagen. Man
habe sich allerdings darauf verständigt, nicht sofort, sondern erst nach
Vorliegen von belastbarem Material zu klagen. Fakt sei, daß der Landkreis
Miltenberg erheblichen Zuschußbedarf haben werde.
Oberregierungsrat Fieger führte aus, daß
nach den Zuständigkeitsregelungen der Geschäftsordnung für den Kreistag, den
Kreisausschuß und weitere Ausschüsse des Landkreises Miltenberg (§§ 29, 31 Abs.
1, 34) für die abschließende Behandlung des vorliegenden Antrages der Freien
Wähler der Kreisausschuß zuständig sei. Eine Verfassungsbeschwerde des
Landkreises Miltenberg gegen das Grundsicherungsgesetz wäre auf Art. 93 Abs. 1
Ziffer 4 a GG zu stützen, wonach das Bundesverfassungsgericht über
Verfassungsbeschwerden von Gemeinden oder Gemeindeverbänden wegen Verletzung
des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 28 durch ein Gesetz entscheide (sog.
Kommunalverfassungsbeschwerde). Der Deutsche Landkreistag (DLT) selbst könne
kein solches Verfahren betreiben, da er nicht Inhaber des Rechts auf kommunale
Selbstverwaltung und damit nicht beschwerdebefugt sei. Allerdings könnte er
Beschwerden von einzelnen Landkreisen koordinieren und ein einheitliches
Vorgehen gewährleisten.
Am 13.08.2002 habe der DLT ein
Rechtsgutachten der Professoren Schoch und Wieland vorgestellt. Diese kommen zu
dem Ergebnis, daß die unmittelbare Bestimmung der Kreise und kreisfreien Städte
zu Aufgaben- und Finanzierungsträgern verfassungswidrig sei. Der DLT halte das
Gesetz wegen des Verstoßes gegen Art. 28 i.V.m. 84 GG daher ebenfalls für
verfassungswidrig. Das Präsidium des DLT halte es für erforderlich, daß
Landkreise, deren finanzielle Belastungssituation besonders hoch sei bzw. die
durch das Grundsicherungsgesetz in besonderem Maß belastet werden, im Rahmen
eines durch die Hauptgeschäftsstelle koordinierten Vorgehens exemplarisch beim
Bundesverfassungsgericht Beschwerde erheben. Um die Geeignetheit der
potentiellen Beschwerdeführer zu ermitteln, führe der DLT eine Erhebung zu den
finanziellen Folgen des GSiG und anderer erheblicher finanziellen Belastungen
im sozialen Bereich durch. Die abschließende Auswahl nehme die
Hauptgeschäftsstelle aufgrund der vorgenannten Erhebung in Abstimmung mit ihren
Landesverbänden vor. Im Interesse der Gesamtheit der Kommunen warne der DLT vor
einem unabgestimmten prozessualen Vorgehen einzelner Landkreise.
Ein Anruf der
Hauptgeschäftsstelle des DLT in Berlin am 11.07.03 habe ergeben, daß sich
bisher 12 Landkreise (darunter der bayerische Landkreis Fürstenfeldbruck) und
eine Stadt als potentielle Beschwerdeführer gemeldet hätten. Bisher habe noch
kein Landkreis Klage erhoben. Mit dem Deutschen Städtetag habe man sich
verständigt, daß der DLT die Federführung übernehme. Der DLT würde die
entsprechenden Erfassungsbögen zusenden und auch bei der Abfassung von
Schriftsätzen unterstützend tätig werden. Die Vertretung in der mündlichen
Verhandlung würden die Professoren Schoch und Wieland übernehmen. Als
exemplarische Kläger reichten letztendlich zwei bis drei Kreise aus.
Kreisrätin Becker-Scharrer berichtete, daß
ihr aktuelle Informationen vorliegen, wonach Staatsministerin Stewens
mitgeteilt habe, daß am 02.07.2003 die erste Abschlagszahlung erfolgt sei.
Nachdem das Ausführungsgesetz zum Grundsicherungsgesetz (GSiG) sowie die
Rechtsverordnung überhaupt noch nicht erlassen seien, wäre es nach Meinung von
Kreisrätin Becker-Scharrer zu früh, schon jetzt den Klageweg zu beschreiten.
Desweitern sei noch nicht entschieden, wie die Nachschlagszahlung berechnet
werden soll.
Kreisrätin Becker-Scharrer bat zu bedenken,
daß das GSiG als Gesetz gegen Altersarmut verabschiedet worden sei. Sie finde
es schlimm, daß die CSU mit einer Aktion Stimmung gegen dieses Gesetz mache.
Sie frage sich, warum in der Vergangenheit nicht gegen des Konnexitätsprinzip
geklagt worden sei.
Landrat Schwing sagte dazu, das
Konnexitätsprinzip habe mit dem GSiG nichts zu tun. Er erinnerte daran, daß der
Landkreis Miltenberg bezüglich des Konnexitätsprinzips vor ca. drei Jahren eine
einstimmige Resolution erlassen habe. Im übrigen sei es absurd, zu behaupten,
die CSU mache mit einer Aktion Stimmung gegen das GSiG. Im Präsidium des Bayer.
Landkreistages gebe es nicht nur CSU-Vertreter. Trotzdem sei beschlossen
worden, Klage gegen dieses Gesetz (nicht gegen die Verordnung) zu erheben.
Diesbezüglich seien sich alle Politiker einig. Die Klage sei jedoch
zurückgestellt worden, bis geeignetes Material vorliege.
Es stimme, daß die erste Abschlagszahlung
heute beim Landkreis Miltenberg eingetroffen sei. Nach welchem Schlüssel die
Auszahlung erfolge, entscheiden die Länder. Bayern habe als eines der ersten
Bundesländer entschieden, daß ausgezahlt werde. Nachdem keine Einigung erzielt
worden sei, erfolge die Auszahlung vorläufig nach Einwohnerzahlen. Mit diesem
Auszahlungsmodus werden Großstädte bevorzugt. Voraussichtlich werden für die
Mittelverteilung noch andere Kriterien (evtl. nach Anträgen, Aufwand in der
Sozialhilfe usw.) kommen und dann eine Verrechnung von Überzahlungen erfolgen.
Kreisrat Dr. Schüren sprach sich dafür
aus, den vorliegenden Antrag der Freien Wähler heute nicht zu behandeln. Er
spreche ungern über einen Antrag, wenn der Antragsteller nicht anwesend sei.
Was Oberregierungsrat Fieger gesagt habe, halte er für richtig, er sei aber der
Meinung, daß der Kreisausschuß den Antrag an den Kreistag weitergeben könne. Er
(Kreisrat Dr. Schüren) wolle das, was die rot/grüne Bundesregierung beschließe,
nicht verteidigen. Was jedoch die Frage der Grundsicherung betreffe, sei dieses
Gesetz richtig und notwendig. Lt. Landrat Schwing sei eine Entscheidung
bezüglich Klageerhebung zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, weil noch keine
verläßliche Zahlen vorliegen. Ob der Landkreis Miltenberg für eine Klage
geeignet sei, werde bezweifelt. In Bayern und in der Bundesrepublik Deutschland
gebe es dafür vermutlich geeignetere Gebietskörperschaften.
Kreisrat Dr. Schüren bat sodann, über den
Antrag der Freien Wähler heute nicht zu entscheiden, sondern den Antrag in der
nächsten Kreisausschußsitzung und anschließend im Kreistag zu behandeln.
Landrat Schwing sagte dazu, ob der
Landkreis Miltenberg geeignet sei, sei noch nicht bekannt. Es sei aber nicht
von der Hand zu weisen, daß er dazugehöre, denn gerade in Franken gebe es viele
alte Menschen, die von Armut betroffen seien. Der Landkreis Miltenberg werde sich daher nicht verschließen, wenn er
vom Deutschen Landkreistag als für eine Klage geeigneter Landkreis ausgewählt
werde.
Was die Behandlung des Antrages der Freien
Wähler betreffe, habe die Verwaltung zu prüfen gehabt, in welchem Gremium der
Antrag lt. Geschäftsordnung für den Kreistag zu behandeln sei. Diese Prüfung
habe Behandlung im Kreisausschuß ergeben. Selbstverständlich könne der
Kreisausschuß entscheiden, daß der Antrag auch im Kreistag behandelt werde.
Kreisrat Bieber schlug vor, über den
Antrag heute zu entscheiden und die Entscheidung nicht “auf die lange Bank zu
schieben”. Wenn der Bund meine, ein Gesetz beschließen zu müssen, müsse er auch
die Mittel zur Verfügung stellen. Kreisrat Dr. Fahn habe den Antrag vom
Fürstenfeldbrucker Antrag abgeschrieben. Die Sachlage sei in der von
Oberregierungsrat Fieger ausgearbeiteten Beschlußvorlage richtig dargestellt.
Nach Meinung von Kreisrat Bieber sollte so vorgegangen werden, wie vom
Deutschen Landkreistag beschlossen.
Verw.Oberamtsrat Straub gab sodann
folgendes bekannt: Der Landkreis Miltenberg habe aufgrund des GSiG bis Juli
2003 rd. 470.000,00 € ausgegeben. Weitere fünf Monate kommen dazu, so daß im
Jahr 2003 mit rd. 700.000,00 € gerechnet werden müsse. Vom Freistaat Bayern
habe der Landkreis Miltenberg heute 330.000,00 € erhalten. Dieser Betrag sei
nach der Einwohnerzahl festgelegt worden. Es sei aber auch klar gesagt worden,
daß keine Pro Kopf-Zahlung erfolgen werde. Der Landkreis Miltenberg werde daher
künftig erheblich weniger erhalten. Um im Jahr 2004 keine Deckungslücke zu
haben, werden von den 330.000,00 € 200.000,00 € im Jahr 2003 als Einnahme
gebucht und der Restbetrag im Jahr 2004 vereinnahmt.
Kreisrat Andre erklärt, die CSU-Fraktion
stelle das GSiG nicht in Frage. Wenn der gesamte Kreisausschuß der Meinung sei,
daß der Deutsche Landkreistag als potentieller Kläger auftreten soll, sollte
heute der entsprechende Beschluß gefaßt werden.
Kreisrätin Becker-Scharrer stellte den
Geschäftsordnungsantrag, den Tagesordnungspunkt zu vertagen. Es wäre kein guter
Stil, über den Antrag bei Abwesenheit des Antragstellers zu entscheiden.
Kreisrat Dr. Fahn sollte vielmehr die Möglichkeit haben, den Antrag zu
begründen. Im übrigen hätte seinerzeit auch gegen die Einführung der R 6
geklagt werden können.
Kreisrat Dr. Schüren hielt es für
politisch nicht klug, über den Antrag der Freien Wähler mit dünner Mehrheit zu
entscheiden. Er könne sich vorstellen, daß die SPD-Fraktion, wenn aktuelle
Zahlen vorliegen, zustimmen werde.
Landrat Schwing bemerkte dazu, es gehe
nicht um Parteipolitik, sondern um die Kommunen.
Kreisrat Trützler meinte, der
Kreisausschuß vergebe sich nichts, wenn er die Entscheidung über den
vorliegenden Antrag vertrage. Er sollte vielmehr auf den Vorschlag von Kreisrat
Dr. Schüren, nicht mit dünner Mehrheit zu entscheiden, eingehen.
Um zu verhindern, daß über den Antrag der
Freien Wähler mit knapper Mehrheit entscheiden werde, schlug Landrat Schwing
eine kurze Unterbrechung der Sitzung vor.
Nach Wiederaufnahme der Sitzung bemerkte
Kreisrat Andre, wenn der dringende Wunsch bestehe, werde die Entscheidung der
Sache wegen freigegeben. Der Kreisausschuß sollte jedoch Landrat Schwing
ermächtigen, dem Präsidium des Deutschen Landkreistages zu signalisieren, daß
der Landkreis Miltenberg zur Klage bereitstehe.
Landrat Schwing stellte fest, daß folgende
Anträge vorliegen:
1. Vertagung
des Antrages der Freien Wähler auf die nächste Kreisausschußsitzung.
2. Den
Landrat zu ermächtigen, dem Präsidium des Deutschen Landkreistages zu signalsieren,
daß der Landkreis Miltenberg, sollte er ausgewählt werden, zur Klage bereit
sei.
Kreisrat Bieber sprach sich nochmals dafür
aus, über den vorliegenden Antrag der Freien Wähler nicht erst in vier oder
sechs Wochen, sondern heute entsprechend der Beschlußvorlage zu entscheiden.
In der sodann erfolgten Abstimmung wurde
der Antrag auf Vertagung des Antrages der Freien Wähler vom 06.07.2003, gegen
das Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung (GSiG) Verfassungsbeschwerde zu erheben, bei drei Gegenstimmen
abgelehnt.
Einstimmig wurde weiter folgendes
b e s c h l o s s e n :
Der Antrag der Freien Wähler vom
06.07.2003 wird zurückgestellt. Landrat Schwing wird ermächtigt, den Landkreis
Miltenberg als potentiellen Beschwerdeführer beim Deutschen Landkreistag
anzumelden. Die Verwaltung wird beauftragt, mit dem Deutschen Landkreistag die
Erfolgsaussichten einer Kommunalverfassungsbeschwerde sowie die Geeignetheit
des Landkreises Miltenberg als Beschwerdeführer abzuklären und dem Deutschen
Landkreistag die erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen.