Tagesordnungspunkt

TOP Ö 4: Beschlußfassung über die künftige Struktur der Krankenhaus-GmbH Landkreis Miltenberg

BezeichnungInhalt
Sitzung:09.12.2002   SZ-04T4CHY 
Beschluss:noch nicht festgelegt
Abstimmung:JA-Stimmen:0 NEIN-Stimmen:0 Enthaltungen:0
DokumenttypBezeichnungAktionen

 

Unter Hinweis auf den am 06.12.2002 im “Bote vom Untermain” erschienenen Artikel über das Bezirkskrankenhaus Lohr mit der Überschrift “Weil Pflegestellen in Lohr knapp sind: Patienten werden nachts festgebunden” erklärte Landrat Schwing, daß man mit einer neuen Struktur vermeiden wolle, daß es bei den Krankenhäusern Erlenbach a.Main und Miltenberg zu ähnlichen Verhältnissen komme.

 

Landrat Schwing führte weiter aus, daß die Krankenhauspolitik zwischenzeitlich äußerst kompliziert geworden sei. Für Außenstehende seien die Zusammenhänge oftmals nur schwer nachvollziehbar. Dies liege an der Komplexität der Materie, aber auch am komplizierten Vorgehen des Gesetzgebers und der Kassen. Der Landkreis Miltenberg habe sich nicht erst mit der Gründung der Krankenhaus-GmbH im Jahr 1994, aber danach besonders intensiv mit den Krankenhäusern und ihrem Umfeld beschäftigt und ausgezeichnete Ergebnisse erzielt. Die Krankenhaus-GmbH habe eine Vorreiterrolle in der Krankenhaus-Landschaft (nicht nur wegen der sehr guten Qualität und des Image). Man habe frühzeitig auf Entwicklungen reagiert (z.B. Verweildauer/Fall-pauschalen), Folgerichtig sei bereits im Jahr 2001 der Unternehmensberatung KPMG der Auftrag für das Strukturgutachten erteilt worden. Die Situation der Krankenhäuser werde vom Landrat und von Geschäftsführer Büchler seit Jahren anläßlich der Berichterstattung im Kreistag angesprochen und gesagt: “Die Luft wird immer dünner” (siehe Bericht im “Main-Echo vom Juli 2002 mit der Überschrift: “Jammern auf hohem Niveau”). Was stecke hinter dieser Mahnung? Die Einsicht, daß nur über die Kostenseite Fortschritte zu erreichen seien. Die Erlösseite sei praktisch zementiert durch Deckelung der Budgets, keine Genehmigung für neue Fachabteilungen, bei Fallsteigerungen werden nur 15 % der zusätzlichen Erlöse für die Krankenhäuser gezahlt. Problem sei die Kostenseite, wo die Personalkosten mit 70 % zu Buche schlagen. Die restlichen 30 % der Kosten seien in den letzten Jahren intensiv durchforstet worden. Hier sei die Luft weitgehend heraus.

 

Landrat Schwing verwies weiter auf eine Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Danach werden in Deutschland künftig nur noch 830 Krankenhäuser benötigt, derzeit gebe es 1.190 Krankenhäuser. Das bedeute 360 (ca. 30 %) Krankenhäuser weniger. Diese Entwicklung sei politisch gewollt. Trotz gleichbleibender Einwohnerzahlen im Altlandkreis Miltenberg sei die genehmigte Bettenzahl für das Krankenhaus Miltenberg nur um 22 verringert worden. Entscheidend sei, daß dennoch nur eine Auslastung von knapp 70 % erreicht werde. Beim Krankenhaus Erlenbach a.Main seien trotz gestiegener Einwohnerzahlen im Altlandkreis Obernburg a.Main (1994: 76.702 Einwohner, 2002: 80.734 Einwohner) 70 Betten abgebaut worden. Die Auslastung betrage auch hier nur ca. 70 %. Die Folge sei, daß mit weiteren Kürzungen gerechnet werden müsse. Für den Verwaltungsrat der Krankenhaus-GmbH sei entscheidend gewesen, daß beide Einrichtungen in Erlenbach a.Main und Miltenberg bestehen bleiben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen allerdings Veränderungen vorgenommen werden. Dabei sei klar, daß kleine Häuser nur dann überleben können, wenn sie nicht mehr alles anbieten. Es gebe keine Alternative zu der vorgesehenen Strukturänderung. Sie bleibe deutlich hinter den Optionen des Strukturgutachtens zurück. Die Entscheidung habe man sich nicht leicht gemacht; die Angelegenheit sei mit allen erforderlichen Gremien, Ärzten, Rettungsdienst und MitarbeiterInnen erörtert worden.

 

Landrat Schwing betonte auch, daß es eine nachhaltige Verschlechterung der Versorgung des südlichen Landkreisteiles nicht geben werde. Dies werde von Experten übereinstimmend bestätigt. Die derzeitige Struktur der Krankenhaus-GmbH Landkreis Miltenberg (nahezu identisches Leistungsangebot beider Häuser) müsse jedoch aus folgenden Gründen an die Entwicklungen im Krankenhaus-Bereich angepaßt werden:

 

a)  Fortdauer der Deckelung der Krankenhaus-Budgets (keine Deckelung der Ausgaben möglich)

b)  Verlagerungen von Leistungen vom stationären in den ambulanten Bereich (Katalog stations-ersetzender Maßnahmen § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V)

c)  Abrechnung aller Fälle nur noch nach Fallpauschalen (Fallpauschalengesetz vom 23.04.2002)

d)  Festlegung von Mindestmengen und Qualitätsstandards bei planbaren Eingriffen (§ 137 Abs. 1 Nr. 3 SGB V)

 

Geschäftsführer Büchler gab für die strategische Neuausrichtung der Krankenhaus-GmbH Landkreis Miltenberg folgenden  Zeitplan bekannt:

 

20.01.2001    Präsentation von Beratungsfirmen im Verwaltungsrat der Krankenhaus-GmbH

 

17.12.2001    Auftragsvergabe an die Unternehmensberatung KPMG

 

Phase I:

Datenerhebung und –auswertung, Interviews mit Chefärzten und leitenden Angestellten,

vom 18.02.2002 bis 01.03.2002 Erarbeitung von Optionen

 

Phase II:

21.02.1002    Betriebsversammlung mit Vorstellung der Optionen

20.03.2002    Workshop in Miltenberg

23.03.2002    Workshop in Erlenbach a.Main

08.04.2002    Information des Verwaltungsrates der Krankenhaus-GmbH

 

Phase III:

Entwicklung eines Konzeptes durch die KPMG

 

Phase IV:

19.06.2002    gemeinsamer Workshop beider Krankenhäuser

24.07.2002    Diskussion im Verwaltungsrat der Krankenhaus-GmbH

 

Phase V:

August 2002:Vorlage des Gutachtens

11.09.2002    Betriebsversammlung mit Vorstellung des Gutachtens

 

 

10.10.2002    Gespräch mit dem Bayer. Sozialministerium

17.10.2002    Gespräch mit den Rettungsdiensten

23.10.2002    gemeinsamer Vorschlag

28.10.2002    Beschluß des Verwaltungsrates der Krankenhaus-GmbH

27.11.2002    Gespräch mit den niedergelassenen Ärzten

03.12.2002    Betriebsversammlung mit Vorstellung der Empfehlung

09.12.2002    Behandlung im Kreisausschuß

 

Landrat Schwing betonte, daß es für alle Beteiligten einfacher wäre, neue Krankenhäuser zu eröffnen, als neue Strukturen einzuführen. Alle Beteiligten seien jedoch der Meinung, daß mit der geplanten Neustrukturierung keine Gefährdung der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung zu erwarten sei.

 

Kreisrat Dr. Fahn verwies auf folgende 12 Argumente, die für eine Zustimmung zur Strukturreform der Krankenhaus-GmbH sprechen:

-    Der Landkreis Miltenberg sei nicht zweigeteilt, der Bevölkerungsschwerpunkt liege im nördlichen Teil.

-    Abbau des Defizits der Krankenhaus-GmbH, eine hohe Verschuldung belaste über die Kreisumlage die Städte, Märkte und Gemeinden und damit die BürgerInnen.

-    Schnelle Entscheidung des Kreistages, um die beiden Krankenhäuser in schwieriger Zeit fit zu machen.

-    Rechtzeitigen Einbeziehung von möglichen EU-Vorgaben in die Argumentation (Bezuschussung der Krankenhaus-GmbH evtl. eine unzulässige Subvention).

-    Wirtschaftliche Denkweise: Nachdem die Einnahmenseite “gedeckelt” sei und die Ausgaben steigen, müsse gehandelt werden.

-    Schnelle Umsetzung von gesetzlichen Vorgaben.

-    Noch akzeptable wohnortnahe Versorgung.

-    Weitgehende Beibehaltung der MitarbeiterInnen.

-    Entscheidung des Verwaltungsrates der Krankenhaus-GmbH Landkreis Miltenberg.

-    Akzeptanz der Entscheidung durch den Personalrat.

-    Gesamtablauf der Entscheidungsfindung.

-    Vorgegebener Zeitraum für die Entscheidung.

Fazit: Zum vorliegenden Beschlußvorschlag gebe es keine Alternative. Der Kreistag müsse aufgrund gesetzlicher Vorgaben und zu erwartender Betriebsergebnisse handeln. Die geplante Strukturrreform werde nicht alle zufriedenstellen, sie sei aber die einzige Chance, die medizinische Versorgung in den Krankenhäusern im Landkreis Miltenberg auf weitgehend hohem Niveau zu halten.

 

Kreisrat Bieber (1. Bürgermeister der Stadt Miltenberg) bemerkte unter Hinweis auf die Behandlung des Themas “künftige Struktur der Krankenhaus-GmbH Landkreis Miltenberg” im Stadtrat Miltenberg, daß dieses Thema nicht mit dem diesbezüglichen Pressebericht, sondern erstmals am 03.12.2002 öffentlich geworden sei. Die Anwesenheit von vielen Miltenberger BürgerInnen in der heutigen Kreisausschußsitzung zeige, wie sensibel dieses Thema sei. Nach Meinung von Kreisrat Bieber sei es zu früh, heute zu entscheiden, daß die Geburtshilfeabteilung des Krankenhauses Miltenberg geschlossen werde. Es sei zu befürchten, daß die Krankenhäuser der Nachbarlandkreise gestärkt werden und der südliche Teil des Landkreises Miltenberg Verlierer werde. Er bitte daher zu prüfen, ob es die Möglichkeit gebe, künftig ein Krankenhaus mit zwei Standorten zu betreiben, was das zuständige Ministerium auf seine telefonische Anfrage hin zulassen würde. Diese Option sei seiner Meinung nach bisher nicht ausreichend geprüft worden. Sollte der Beschußvorschlag heute zur Abstimmung kommen, werde er ihm nicht zustimmen.

 

Landrat Schwing bemerkte zum Vorschlag “ein Krankenhaus, zwei Standorte”, selbstverständlich wäre die Unterbringung aller Bereiche in einem Haus die wirtschaftlichste und überzeugendste Lösung. Leider sei dazu momentan kein Haus in der Lage. Was die Behandlung des Themas in der Öffentlichkeit betreffe, sei zu sagen, daß der Landrat gegenüber Bürgermeister Bieber keine Weisung erteilt, sondern daß nur der Verwaltungsrat der Krankenhaus-GmbH den Wunsch geäußert habe, nicht vor dem 01.12.2002 mit Erklärungen an die Öffentlichkeit zu gehen.

 

Geschäftsführer Büchler teilte zum Vorschlag “ein Haus, zwei Standorte” mit, daß auch diese Variante mit dem zuständigen Ministerium besprochen worden sei. Die Möglichkeit dazu sei nur gegeben, wenn das medizinische Angebot beider Häuser sich in jedem Umfang ausschließe. Diese Option würde keine Vorteile bringen. Schließlich werden schon jetzt viele Synergieeffekte genutzt.

 

Kreisrat Dr. Schüren erklärte, die SPD-Fraktion sehe mehrheitlich keine sinnvollere Alternative, als dem Beschlußvorschlag zuzustimmen. Kreisrat Bieber sehe die Neustrukturierung als Bürgermeister von Miltenberg, was als Lokalpatriotismus zu werten sei. Das Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland sei ein marodes System, welches egal von welcher Regierung grundlegend reformiert werden müsse. Leider werden Reformen nicht ohne Verschlechterungen möglich sein. Überlegenswert wäre, ob u.U. mit Großprojekten, die bereits im Fluß seien, noch ein bis zwei Jahre zugewartet werden könnte, um die dadurch freiwerdenden Mittel dafür einzusetzen, daß bei den Krankenhäusern keine Defizite entstehen. Es werde aber auch darauf aufmerksam gemacht, daß heute nicht zum letzten Mal, sondern noch desöfteren über die Krankenhäuser gesprochen werden müsse.

 

Kreisrat Scherf stellte fest, daß die in den letzten Tagen erfolgten Reaktionen aus der Öffentlichkeit verständlich, die Diskussionen auf der politischen Ebene jedoch nicht nachvollziehbar seien. Für die Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen gebe es nur eine ausgewogene Schwerpunktsetzung. Man sei der Meinung, daß eine ausgewogene Reform Spielraum lasse. Das Ziel könne nur lauten: Beide Krankenhäuser für die  Zukunft erhalten. Deshalb müsse überlegt werden, wie das einzelne Krankenhaus sein unverwechselbares Profil erhalten könne. Mit dem vorliegenden Konzept werde auf jeden Fall die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert.

 

Kreisrat Trützler teilte mit, daß er im Stadtrat Miltenberg die Position des Verwaltungsrates der Krankenhaus-GmbH Landkreis Miltenberg vertreten habe, weil die Fraktionsvorsitzenden des Kreistages in ihrer Besprechung zum Ergebnis gekommen seien, daß der vorliegende Beschlußvorschlag unter den gegebenen Umständen die beste Lösung sei. Der Beschlußvorschlag zeuge vom Willen, Miltenberg als Krankenhaus-Standort zu erhalten. Leider sei in der Bevölkerung eine große Verunsicherung eingetreten. Es wäre daher wichtig, anläßlich eines Pressegespräches deutlich zu machen, daß die medizinische Versorgung der Bevölkerung weiterhin gesichert sei. Nach endgültiger Beschlußfassung durch den Kreistag sollte jeder Haushalt im Landkreis Miltenberg, um Ängste abzubauen, mittels Postwurfsendung informiert werden.

 

Landrat Schwing hielt eine entsprechende Information der Bevölkerung ebenfalls für wichtig. Am besten erreiche man alle Haushalte im Landkreis Miltenberg über blickpunkt MIL. Da es für einen entsprechenden Artikel in der Weihnachtsausgabe leider zu spät sei, könnten die gewünschten Informationen in einer Sonderausgabe von blickpunkt MIL erscheinen. Die Verwaltung werde versuchen, alle Informationsmöglichkeiten zu nutzen. Für den guten Ruf der beiden Häuser können aber auch die MitarbeiterInnen der Krankenhäuser sowie die Kreistagsmitglieder etwas tun.

 

Kreisrat Dotzel vertrat die Meinung, daß man aufgrund der Defizite erkennen müsse, daß es keine Alternative gebe. Es wäre nicht richtig, Krankenhausdefizite über die Kreisumlage zu begleichen.

 

Kreisrat Andre betonte, daß der Verwaltungsrat der Krankenhaus-GmbH nachdrücklich für den Erhalt des Krankenhaus-Standortes Miltenberg gekämpft habe.

 

Nach Bekanntgabe des dreiteiligen Beschlußvorschlages des Verwaltungsrates der Krankenhaus-GmbH Landkreis Miltenberg stellte Kreisrat Neuser folgenden Geschäftsordnungsantrag: Getrennte Abstimmung über die sieben Einzelpunkte des Beschlußvorschlages.

 

Kreisrat Dr. Schüren vertrat dazu die Meinung, daß die geplante Reform nur ganzheitlich angenommen werden könne. Der Verwaltungsrat der Krankenhaus-GmbH habe ebenfalls über den gesamten Block abgestimmt.

 

In der daraufhin erfolgten Abstimmung wurde der Geschäftsordnungsantrag von Kreisrat Neuser bei zwei Gegenstimmen abgelehnt.

 

Weiter empfahl der Kreisausschuß auf Vorschlag des Verwaltungsrates der Krankenhaus-GmbH Landkreis Miltenberg vom 28.10.2002 dem Kreistag bei zwei Gegenstimmen folgendes zu

 

b e s c h l i e ß e n :

 

Für die künftige Struktur der Krankenhaus-GmbH Landkreis Miltenberg wird folgende Aufgabenverteilung zwischen den Krankenhäusern Erlenbach a.Main und Miltenberg vorgesehen:

 

1.  Innere Medizin:

 

     a)    Die Innere Medizin bleibt getrennt wie bisher in eine Abteilung in Erlenbach a.Main und eine in Miltenberg.

     b)    Sollten künftig Mindestzahlen für internistische Eingriffe festgelegt werden, die in einem der beiden Häuser nicht erreicht werden, so wird der betreffende Bereich in dem Krankenhaus konzentriert, das im Vorjahr die größere Anzahl dieser Eingriffe aufzuweisen hatte.

 

2.  Chirurgie:

 

     a)    Die Bauch- und Gefäßchirurgie wird im Krankenhaus Erlenbach a.Main konzentriert.

     b)    Die elektiven orthopädischen Eingriffe werden im Krankenhaus Miltenberg konzentriert.

     c)    Die sonstige Unfallchirurgie bleibt getrennt in Miltenberg und Erlenbach a.Main, in Miltenberg allerdings zeitlich beschränkt auf die normale tägliche Arbeitszeit (Montag bis Freitag).

 

3.  Gynäkologie/Geburtshilfe:

 

     a)    Die Geburtshilfe wird im Krankenhaus Erlenbach a.Main konzentriert.

     b)    Die Gynäkologie bleibt wie bisher getrennt in Erlenbach a.Main (Hauptabteilung) und Miltenberg (Belegabteilung).

 

 

Kreisrat Bieber beantragte abschließend, im Protokoll zu vermerken, daß er dagegen gestimmt habe.

 

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