Tagesordnungspunkt

TOP Ö 3: Energiewende auf kommunaler Ebene

BezeichnungInhalt
Sitzung:04.07.2022   WT/004/2022 
Beschluss:zur Kenntnis genommen
DokumenttypBezeichnungAktionen

Die Mitglieder des Ausschusses nehmen die Ausführungen zur Kenntnis.

 


Herr Scherf begrüßt Herrn Gasper, den Geschäftsführer der ZENTEC GmbH und Leiter der Energieagentur. Von den vielen spannenden Transformationsprozessen hat der der Energiewende aus sehr traurigen Gründen eine viel intensivere Dynamik erhalten. Herr Gasper gibt einen Einblick zur Energiewende auf kommunaler und regionaler Ebene anhand einer Präsentation. Es gilt, die Tendenzen und Entwicklungen der nächsten Jahre sowohl planungsmäßig für die Region in der Hand zu haben als natürlich auch in der Umsetzung. Hierfür ist die Energieagentur der ideale Ansprechpartner. Letzten Herbst/Winter wurden bereits die Weichen für ein neues Klimaschutzkonzept gestellt.

 

Herr Scherf fasst im Anschluss zusammen, was auf Bundes- aber auch regionaler und lokaler Ebene getan werden kann:

Man befindet sich beim Thema Energieversorgung und -wende aktuell in einer Situation, die man von der Art, Intensität und dem Handlungsdruck schon lange nicht mehr erlebt hat. Der Bund verfolgt eine dreiteilige Strategie.

  1. Als Aufgabenstellung bis Mitte des Jahres ist seitens Bundesregierung und Klimaschutzministerium vorgesehen, Rahmenbedingungen für einen maximal möglichen Ausbau regenerativer Energieversorgung in Deutschland zu schaffen.
  2. Für die zweite Jahreshälfte ist geplant, eine belastbare Wasserstoffstrategie zu entwickeln. Über Wasserstoff wird in Deutschland bereits seit Jahren geredet. Wasserstoff muss dort, wo man aufgrund des Ausbaus von Energie, die gerade im Moment nicht nutzbar ist, zum Einsatz kommen. Die Energie ist in Wasserstoff umzuwandeln und neben der Speicher- sollte man natürlich auch eine Verteilungsstrategie haben. Dieser Strom wird regionsweise teils über Bedarf produziert und ist zu verteilen. Optimalerweise soll Ende 2022/Anfang 2023 das Thema der Planungsbeschleunigung angegangen werden. Man ist sich darüber im Klaren, dass bei dem bisherigen Tempo der Planung und Genehmigung von Projekten sowohl bei der Wasserstoffdistribution als auch bei der Energieerzeugung sonst erst eine Umsetzung in 2030 erfolgt.
  3. Er sieht die Äußerung von Minister Habeck positiv, dass dieser die Einsetzung einer Kommission mit Erarbeitung eines Konzeptes zur Planungsbeschleunigung nicht als sinnvoll erachtet. Man will sich der Thematik aus dem Praktischen heraus annähern durch Pilotprojekte. Am Beispielthema LNG erläutert Herr Scherf, dass das aktuelle Tempo nicht kompatibel ist mit dem bestehendem Genehmigungsverfahren. Daher muss man zwingend in eine andere Form der Geschwindigkeit kommen.

 

Den Vortrag von Herrn Gasper bettet Herr Scherf in fünf Säulen ein, was man auf kommunaler Ebene tun kann:

  1. Man hat ein aktuelles und regionales Klimaschutzkonzept in Auftrag gegeben, in dem die Energiebedarfe ermittelt werden. Der Energiemonitor liefert hierfür phantastische Grundlagen. Es muss die maximal mögliche Erzeugung angezeigt werden und wer dies umsetzt.
  2. Regionalplanerisch besteht die Aufgabe – hier ist man im Regionalen Planungsverband bereits aktiv geworden – beispielsweise als Planungshilfe bei der Freiflächen-PV nach Kriterien. Objektiv will man nachvollziehbare Kriterien für die Bevölkerung und die Landwirtschaft aufstellen.

In der nächsten Sitzung soll der Umgang mit den neuen rechtlichen Möglichkeiten bei der Windkraft erörtert werden. Macht man dies regionalplanerisch oder überlässt man es jeder einzelnen Kommune, die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu nutzen. Hier sind schnelle und einfach umsetzbare Ideen gefragt. Es bestehen nun deutlich mehr Möglichkeiten. Der Vorbehalt Landschaftsschutzgebiet entfällt. Damit ist grundsätzlich eine Nutzung der Windkraft auch in Landschaftsschutzgebieten möglich. Nun gilt es zu überlegen, in welchem Umfang und nach welchen Kriterien man es ggf. im Odenwald und auch im Spessart haben möchte, damit man am Ende auch die Vorgabe des Bundes von 1,1 % bis Ende 2027, 1,8 % der Fläche bis Ende 2032 erreicht. Herr Scherf weist daraufhin, dass die Energiewende nicht nur gewünscht, sondern von der Industrie vor Ort auch dringend benötigt wird, sonst ist dieser die Existenzgrundlage entzogen. Wenn man, regionalplanerisch betrachtet, die gesetzliche Flächenvorgabe nicht erfüllt, dann hat man keine kommunale oder regionalplanerische Steuerungsmöglichkeit mehr. Dann ist die Windkraft privilegiert und dann ist sie überall grundsätzlich genehmigungspflichtig.

  1. Die Kommunen können gemäß dem Energienutzungsplan selbst aktiv werden, wie von Herrn Gasper heute vorgestellt.
  2. Als Kommunalpolitik ist dieses Thema offensiv anzugehen. Die erste Sitzung einer Arbeitsgruppe der Fraktionen zum Thema Energieversorgung fand bereits statt. Man hat sich bei einem Workshop in Niedernberg gemeinsam mit den regionalen Energieversorgern und -unternehmen an das Thema herangetastet. Dies soll in Zukunft weiter fortgesetzt werden, zum Beispiel auch beim Thema regionale Vermarktung des Stromes. Daher erfolgt das Engagement und die Kommunikation immer Regionen betont. Man wünscht nicht, dass Investoren der Börse anonym ihre Anlagen hier vor Ort vermarkten. Man möchte möglichst viel der regionalen Energiewende und -erzeugung selbst in der Hand haben. Daher waren auch die Stadtwerke Klingenberg, EZV Wörth und die EMB Miltenberg an dem Termin beteiligt.
  3. Herr Scherf appelliert an die Bevölkerung. Man benötigt dringend und zwingend eine positive Haltung zur Energiewende. Erneute langwierige Diskussionen, welche Potenziale erstmal anderweitig auszuschöpfen sind, zum Beispiel durch PV-Anlagen auf den Dächern oder bei der Freiflächen-PV, kann man sich aus zeitlichen Gründen nicht mehr leisten. Es muss adressatengerecht argumentiert werden – wenn bei der Argumentation der Politiker vor Ort der Klimaschutz als Argument nicht ausreicht, dann muss mit den örtlichen Arbeitsplätzen argumentiert werden. Ohne den Aufbau einer vernünftigen regionalen Energieversorgung in den nächsten Jahren wird man die Industrie vor Ort verlieren und damit auch unzählige Arbeitsplätze.

 

Herr Zöller verweist darauf, dass man bereits in 2011 ein Klimaschutzkonzept hatte. Aber aufgrund des Widerstandes Einzelner ist die Politik umgekippt. Er appelliert, jetzt standhaft zu bleiben.

Herr Scherf stimmt ihm zu. Noch bestehen Handlungsmöglichkeiten. Aber nur, wenn man es jetzt angeht, hat man es noch in regionalplanerischer Hand. Man hat viel Zeit verloren, die Situation ist kritischer geworden. Man hätte schon seit acht Jahren in die Umsetzung gehen können, dafür muss man auch Kompromisse schließen. 

 

Herr Oettinger bemängelt die Bürokratie. Man ist nicht in der Lage, die sogenannten weißen Flecken mit Windkraft zu besetzen. Wenn jemand dagegen ist, dann scheitern die Vorhaben. Damit hat man Jahre verstreichen lassen. Solange es diese Einspruchs- und Klagemöglichkeiten gibt, sieht er für das nächste Jahrzehnt keine Fortschrittsmöglichkeiten. Die Verbandsklagen waren mit positiven Gedanken eingeführt worden, jetzt behindern sie.

Herr Scherf bestätigt, dass die Erfahrungen der letzten Jahre wenig Mut machen. Für eine funktionierende Demokratie muss insgesamt den Menschen die Wahrheit gesagt werden, welche Maßnahmen unerlässlich sind, jeder hat ein Recht darauf, angehört zu werden, aber es gibt nicht den Anspruch, dass jeder erhört wird. Am Ende sind Kompromisse zu schließen. Gute Kompromisse zu schließen, hat man in den vergangenen Jahrzehnten verlernt. Man wollte es allen recht machen. Jeder sollte glücklich sein. Wenn die Politik diese Härte in der Sache nicht zeigt, dann ist er davon überzeugt, dass es ein Jahrzehnt des Scheiterns wird. In den 2030er Jahren hat man diese Handlungsmöglichkeiten nicht mehr. Daher hat man einen aktuellen Handlungsdruck.

 

Gemäß der Meinung von Herrn Grün sind dies alles langfristige Maßnahmen. Er zitiert aus einem Bericht der EMB, bei der er Aufsichtsratsvorsitzender ist: Die Bevölkerung ist sich der aktuellen Lage nicht bewusst und was im kommenden Jahr noch auf sie zukommt. Die EMB erwartet massive Preissteigerungen, die zu gesellschaftlichen Verwerfungen führen werden. Servicepunkte organisieren gerade Sicherheitsdienste, die das Personal schützen sollen vor wütenden Bürger*innen nach Erhalt ihrer Jahresrechnung/neuen Abschlagzahlungen. Der Strompreis ist beispielsweise innerhalb eines Jahres an den Börsen um 266,03 % und das Gas um 388,63 % gestiegen. Dies bedeutet für einen durchschnittlichen Haushaltskunden zum aktuellen Zeitpunkt eine Mehrbelastung von rund 2.000 EUR pro Jahr. Da die Preisentwicklung weiterhin nur in eine Richtung geht, muss man ab 2023 von wesentlichen Mehrbelastungen ausgehen. Aus Sicht der EMB sind die aktuellen Zustände bereits dramatisch, da viele Bürger*innen bereits das aktuelle Preisniveau nicht mehr bezahlen können. Finanzielle Mittel fehlen, da die Lebenshaltungskosten allgemein stark angestiegen sind. Daher plädiert auch Herr Grün dafür, der Bevölkerung klar zu kommunizieren, was auf alle zukommt.  Alle Ressourcen und Möglichkeiten, um die Energiewende aktuell anzugehen, müssen jetzt genutzt werden.

 

Herr Reinmuth spiegelt ein Stimmungsbild aus der Industrie wieder: Kurz vor der heutigen Ausschusssitzung hatte er eine Verbandssitzung. Da herrschte seines Erachtens die nackte Angst. Die Wärmebehandlung funktioniert mit Öfen. Die Gasnutzung war jahrelang die sauberste und wirtschaftlichste Möglichkeit zur Hitzeerzeugung für Härte- und Trocknungsprozesse. Man hatte umgestellt von Öl auf Gas, ist aber aktuell am Überlegen, ob man wieder auf Öl zurückgehen kann. Klimatechnisch ist dies natürlich keine gute Option. Für die Brenner hat man lange Lieferzeiten. Die Öltanks wurden damals zersägt. Es wird eine Bundes- oder Landesgenehmigung für mobile Tankanlagen zur Wärmeerzeugung benötigt. Alternativ ist eine direkte Wärmeerzeugung durch Strom zu überlegen. Bei Betrieben mit 3-Schicht-Betrieb wird man Zeitfenster haben, in denen keine Sonne scheint, regenerative Energie somit nur über Speicher genutzt werden kann. Es sind neue Trafos anzuschaffen. Diese kosten aktuell das Dreifache im Vergleich zu vor zwei Jahren und haben eine Beschaffungszeit von 14-16 Monaten. Die Bundesnetzagentur hat in seinen Augen die Verantwortung aufgebürdet bekommen zu entscheiden, wer von den Gasabnehmern im Herbst ggf. abgeschaltet werden muss und welche Lieferketten damit kollabieren mit all den Auswirkungen auf den jeweiligen Wirtschaftszweig und den Mittelstand.

Man hat die letzten zehn Jahre verstreichen lassen mit all den Einwänden von Bürgerinitiativen und einengenden Regularien. Es muss nun schnellstens eine gesamtpolitische Verantwortung übernommen werden.

Herr Scherf dankt für den Einblick und bekräftigt den Ernst der Lage. Man soll keine Panik schüren. Aber man muss gemeinsam der Bevölkerung im Landkreis sagen, dass ein extrem hoher Handlungsdruck besteht. Und auch wenn die vom Landkreis ergriffenen Maßnahmen noch keinen Effekt auf die kommenden zwei Winter haben werden, so sind dennoch die notwendigen Schritte bereits jetzt zu planen, um von einem Effekt in den nächsten drei bis vier Jahren zu profitieren.

Herr Gasper ergänzt, dass man das Problem nicht diesen Winter lösen kann. Aber das noch zu erstellende Konzept vom klimaneutralen Untermain umfasst unter anderem die Punkte wie Umstellung der Wirtschaft von fossilen Brennstoffen auf regenerativ erzeugten Strom oder Wasserstoff auf Basis regenerativer Energieerzeugung und ist letztendlich Teil dieser Lösung. Das Beispielkonzept ist eine Studie, die es seit ca. drei Jahren gibt. Es fand eine genaue Betrachtung für Deutschland mit allen Wirtschaftsverbänden statt, wie das Energiesystem von Deutschland umgestellt oder umgerechnet werden kann auf Zyklusfähigkeit. Herr Gasper hat den Eindruck, dass sich die Wahrnehmung der Bevölkerung dreht. Aber man muss vor Ort viel präsenter werden. Die Bürger*innen müssen kommunikativ vor Ort abgeholt werden. Es muss in Präsenzterminen Erklärungen geben, wie es funktionieren kann bei den örtlichen Gegebenheiten und welche Zusammenhänge bestehen.

Herr Scherf informiert, dass er für den 14. Juli 2022 die fraktionelle Arbeitsgruppe Energie wieder eingeladen hat. Die heutige Diskussion bestärkt, dass eine parteiübergreifende Resolution vorbereitet werden solle, um dem Ernst der Situation angemessen und den Handlungsbedarf anerkennend sich an die Öffentlichkeit mit einem Bekenntnis zur Umsetzung der Energiewende in regionaler Hand zu wenden.

 

Frau Münzel spricht das Thema Einsparpotenziale bei der Verwaltung und den Kommunen an. Nach ihrem Eindruck fühlt sich die Bevölkerung aktuell als Opfer nach dem Aufruf von Minister Habeck zum Frieren im Winter. Sie regt an, dass die Kommunen vorbildhaft vorangehen und plädiert daher für eine diesbezügliche Ansprache der Kommunen, verbunden mit Tipps zum Energiesparen.

 

Frau Balleier weist auf Probleme, resultierend auf der Verbreitung von Falschinformationen, hin. Diese Personen sind stärker anzusprechen und bloßzustellen.

 

Herr Reichwein hinterfragt, wie autark der Landkreis Miltenberg und auch seine einzelnen Kommunen sind. Die Stadt Klingenberg ist zu 100% autark. Es fehlt ihm in der aktuellen Diskussion die Vielfalt der regenerativen Energien. Es gibt suggeriert nur noch Photovoltaik oder Windkraft. Er wirbt dafür, auch Bioanlagen und wassergetriebene Minikraftwerke in Betracht zu ziehen. Neben dem Energieproblem gilt es auch, dass Problem der Wasserknappheit anzugehen.

Herr Scherf weist daraufhin, dass im Klimaschutzkonzept für die Region sämtliche Potenziale untersucht werden. Den größten Hebel hat man über Windkraft und PV.

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