Tagesordnungspunkt

TOP Ö 10: Klagen des Marktes Weilbach gegen Kreishaushalt 2015 und 2016

BezeichnungInhalt
Sitzung:19.07.2021   KT/003/2021 
Beschluss:mehrheitlich beschlossen
Abstimmung: Ja: 34, Nein: 20
DokumenttypBezeichnungAktionen

Beschluss:

 

Der Kreistag beschließt mehrheitlich, die Verwaltung zu beauftragen, die Datenbasis für den rückwirkenden Beschluss der Haushaltssatzungen der Jahre 2015 und 2016 vorzubereiten und den Kreisgremien zur Beschlussfassung vorzulegen.


Herr Scherf verweist auf den Empfehlungsbeschluss des Kreisausschusses und berichtet aus der Diskussion im Kreisausschuss zu folgenden zwei Aspekten: das Verwaltungsgericht Würzburg geht in seinem Urteil gegen den Landkreis Miltenberg nicht auf die inhaltliche In-Frage-Stellung, also die inhaltliche Klagebegründung ein, sondern verweist auf einen Verfahrensfehler bei der Berücksichtigung der Situation der gemeindlichen Finanzen in ihrer Gesamtheit. Hierbei bezieht sich das Verwaltungsgericht auf ein entsprechendes Urteil des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom Dezember 2018. In diesem Urteil des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes wurden erstmals definierte formale Vorgaben zur Berücksichtigung der Situation der gemeindlichen Finanzen in ihrer Gesamtheit gemacht. Seit 2019 werden diese beim Erlass des Haushaltes formal berücksichtigt. Vorher erfolgte dies informell im Austausch mit den Gemeindetagen und in der Erörterung im Kreistag. Er betont, dass ohne den Blick auf die Leistungsfähigkeit der 32 Gemeinden des Landkreises noch kein Kreishaushalt – mindestens seit dem Jahr 2002, seit Herr Scherf dem Kreistag angehört – beschlossen wurde. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Urteil aus, dass bei einem Verfahrensfehler die Haushaltssitzung insgesamt nichtig wird, jedoch ein rückwirkender Neuerlass der Haushaltssatzung zulässig ist, weshalb ein Klageerfolg nicht zwangsläufig zu einer Rückzahlungsverpflichtung führt. Ausdrücklich wird dies auch für Haushaltssatzungen mit der Folge betont, dass darauf beruhende fehlerhafte Kreisumlagebescheide geheilt werden können. Die Nachholung des Satzungserlasses erscheint auch nach Ablauf des Haushaltsjahres vor allem dann möglich und geboten, wenn ein großer Verfahrensfehler vorliegt. Aus diesem Grund sieht eine der beiden, von der Verwaltung erarbeiteten Handlungsoptionen, welche in der Kreisausschusssitzung vorgestellt wurden und in der Sitzungsvorlage aufgezeigt sind, vor, dass der Kreistag die Verwaltung beauftragt, die rückwirkende Beschlussfassung über die Haushaltssatzung der Jahre 2015/2016 vorzubereiten. Diese Handlungsoption wird seitens des Kreisausschusses dem Kreistag mehrheitlich zur Beschlussfassung empfohlen. Wichtige Aspekte in der Diskussion waren unter anderem der Grundsatz der Gleichbehandlung aller 32 Gemeinden, schließlich würden die klagegegenständlichen ca. 258.000 Euro aus dem Kreishaushalt beglichen werden. Es lag die Überzeugung vor, dass in den Jahren 2015 und 2016 inklusive des Nachtragshaushaltes 2016 gute Haushalte aufgestellt wurden. Bezüglich der im Kreisausschuss geäußerten Sorge, es könnten andere Gemeinden ebenfalls den Klageweg wählen, sollte die Haushaltssatzung neu erlassen werden, gibt Herr Scherf zu bedenken, dass der Klageweg immer offensteht. Der Umstand, dass sich in den beiden Jahren 2015 und 2016 keine andere Gemeinde der Klage angeschlossen hat, ist Ausdruck des breiten Konsens, dass die Aufstellung eines Haushaltes und die Festlegung einer notwendigen Kreisumlage für den nichtgedeckten Finanzbedarf eine kritische Aufgabenstellung sind, die im Kreistag zu bewerkstelligen ist und nicht stellvertretend von der Verwaltungsgerichtsbarkeit gelöst werden kann. Herr Scherf stellt den Empfehlungsbeschluss aus dem Kreisausschuss zur Diskussion, die rückwirkende Beschlussfassung über die Haushaltssatzung der Jahre 2015/2016 vorzubereiten.

 

Herr Bohnhoff führt aus, dass mit den von Weilbach angestrengten Diskussionen juristisches Neuland betreten wurde. Es gibt hierfür keine Blaupause. Die Einschätzung der Verwaltung in der Vergangenheit war, dass kein Prozessrisiko besteht, sondern dass man einen Vergleich getroffen hat, der einen geringeren Schaden zur Folge hat als die 258.00 Euro. Man hatte den Eindruck, es kann eigentlich nichts passieren. Der jetzige Gerichtsbeschluss hat alle Beteiligten eines Besseren belehrt. Die Handlungsoption 1 verursacht Arbeit in der Verwaltung und beinhaltet ein weiteres Prozessrisiko. Er befürwortet daher die Option 2 als beziffertes und absehbares Risiko. Die Fraktion der CSU beurteilt das Vorgehen nicht einheitlich. Im Nachgang muss der Grundsatz diskutiert werden, der der doppischen und kameralistischen Haushaltsführung zu Grunde liegt, und ob die Erhebung und der gewichte Umgang mit den Gemeinden gerecht erfolgt. Mittlerweile haben 30 Prozent der Gemeinden des Landkreises Miltenbergs eine angespannte Haushaltslage. Hier wäre zu prüfen, ob die Änderungen der Vorgehensweise im Vergleich zu 2015 und 2016 ausreichend sind. Dieser grundsätzliche Diskussionsbedarf ist unabhängig von der heutigen Abstimmung zu sehen.

Herr Scherf stimmt dem Begriff des rechtlichen Neulandes zu, das mit dem Vorschlag des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes betreten wird. Er weist daraufhin, dass Herr Feil eine juristische Einschätzung abgegeben hat. Bei der Erörterung des Vergleichsabschlusses wurde ein Prozessrisiko nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Herr Bohnhoff insistiert, dass es eine eindeutige Empfehlung gab.

Herr Scherf lobt, dass Herr Feil eine juristische Empfehlung abgegeben hat und nicht nur eine abwägende Einschätzung ohne tendenzielle Empfehlung. Es liegt nicht im Gesamtkonstrukt der Landkreise, dass der ungedeckte Bedarf über die Gemeinden finanziert muss. Wenn sich grundsätzlich insgesamt die Leistungsfähigkeit der Gemeinden nicht mehr darstellt, ist es eine Frage des Finanzausgleiches. Dem kann der gesamte Kreistag relativ gelassen entgegensehen. Wenn man sich die Gesamtkreisumlage des Landkreises Miltenberg anschaut, sowohl in Prozentpunkten als auch vor allem in Eurobeträgen in der Belastung pro Kopf und Einwohner, dann muss der Landkreis Miltenberg den Vergleich nicht scheuen. Alle Aufstellungen des Kreishaushaltes erfolgen stets sehr sorgsam. Der Aspekt der freiwilligen Leistungen umfasst vor allem Leistungen, die den Gemeinden und Städten vor Ort zu Gute kommen. Diesen grundsätzlichen Bemerkungen muss sich bei jeder Haushaltsaufstellung gestellt werden.

 

Herr Schwing merkt an, dass die bisherigen Diskussionen nur den reinen Streitwert von 258.000 Euro beinhalten. Ihn interessieren die bisher entstandenen Kosten für die Gerichtsverhandlungen, externen Berater, für den Rechtsbeistand, für die interne Aufbereitung der Thematik. Daher fragt er, ob auch zu diesen Kostenpositionen eine Gesamtzahl vorliegt. Ebenfalls fragt er nach, welcher Kostenanteil durch die Rechtschutzversicherung abgedeckt ist und welche Kosten der Landkreis zu tragen hat. Er teilt die Auffassung, dass juristisches Neuland betreten wird. Daher fragt er, ob eine Stellungnahme des gewählten Rechtsbeistandes vorliegt und diese eine worst-case-Betrachtung beinhaltet, was passiert, wenn der Landkreis Miltenberg bei Neufassung der Haushaltssatzung evtl. mehrere Klagen zu erwarten hätte. Ebenfalls möchte er wissen, ob hierfür eine Kostenschätzung vorliegt, um eine adäquate Risiko-Nutzen-Abwägung vornehmen zu können. All diese Aspekte sind zu beziffern und dem Streitwert hinzuzurechnen. Dessen sollte man sich bei der Entscheidungsfindung bewusst sein.

Frau Erfurth führt aus, dass die Stellungnahme des Rechtsanwaltes in Form des Aktenvermerkes vorliegt. Dieser wurde den Ausschussmitgliedern zur Verfügung gestellt. Eine Gesamtkostenbetrachtung liegt noch nicht vor. Eine Abdeckung durch die Rechtsschutzversicherung ist noch zu klären.

Herr Scherf weist daraufhin, dass bei jedem Erlass einer Haushaltssitzung und den Versand der Bescheide an die Gemeinden das Risiko zur Klage besteht. Durch den Hinweis des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei Verfahrensfehlern eine Korrekturmöglichkeit gegeben ist, muss der Landkreis das Prozessrisiko nicht scheuen.

 

 

Sachverhaltsdarstellung gemäß Sitzungsvorlage:

 

Die Kreisumlagebescheide des Landkreises Miltenberg der Jahre 2015 und 2016 werden ausschließlich wegen mangelnder Berücksichtigung der finanziellen Lage der kreisangehörigen Gemeinden aufgehoben, soweit die darin gegenüber dem Markt Weilbach festgesetzte Kreisumlage für das Haushaltsjahr 2015 den Betrag von 912.918 € (= 171.300 €) und für das Haushaltsjahr 2016 den Betrag von 843.289 € (= 86.698 €) übersteigt. Eine Aussage zur inhaltlichen Berechnung wurde nicht getroffen.

 

Für den Landkreis Miltenberg haben sich aus den Urteilen drei Handlungsoptionen ergeben:

  1. Rückwirkende Beschlussfassung über die streitgegenständlichen Haushaltssatzungen der Jahre 2015 und 2016.
  2. Zahlung der streitgegenständlichen Beträge an den Markt Weilbach (171.300 € und 86.698 €)
  3. Antrag auf Zulassung der Berufung

Prof. Dr. Schwarz hat in seinem Vermerk die drei Handlungsoptionen ausführlich erläutert, sie sind Basis dieser Beschlussvorlage.

 

In einer Sitzung der Fraktionsvorsitzenden am 07.06.2021 im Landratsamt Miltenberg wurde einvernehmlich festgelegt, keinen Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen. Somit hat der Landkreis Miltenberg die beiden folgenden Handlungsoptionen:

 

Handlungsoption 1:

Rückwirkende Beschlussfassung über die streitgegenständlichen Haushaltssatzungen der Jahre 2015 und 2016.

 

Die Haushaltssatzungen der Jahre 2015 und 2016 würden unter der Berücksichtigung der finanziellen Lage der kreisangehörigen Gemeinden erneut beschlossen. Auf der Grundlage dieser Satzungen würden dann gegenüber dem Markt Weilbach erneute Kreisumlagebescheide erlassen. Es müssten voraussichtlich ausschließlich im Verhältnis zum Markt Weilbach neue Kreisumlagebescheide in der Höhe der Rückforderungen ergehen, da alle anderen Bescheide bestandskräftig sind und nicht mehr angefochten werden können.

Diese Handlungsoption würde, so Prof. Dr. Schwarz, das Verfahren formal einwandfrei beenden, allerdings mit der Möglichkeit, dass der Markt Weilbach hiergegen Klage erhebt.

 

Für die Festlegung der konkreten Vorgehensweise beim Neuerlass der Haushaltssatzungen und insbesondere die Frage der Datenbasis wird die Regierung von Unterfranken als Genehmigungsbehörde um Begleitung gebeten, da die Umsetzung dieser Handlungsoption für alle Beteiligten ein Novum darstellt. Ebenso wären der Bayerische Kommunale Prüfungsverband sowie der Bayerische Landkreistag einzubinden.

Grundlage für den Neuerlass der Haushaltssatzungen ist der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14.12.2018. Wir verweisen hier vor allem auf die Randziffern 11 und 14, die wir als Anlage beigefügt haben.

 

Der Kreisausschuss empfiehlt dem Kreistag, die Verwaltung zu beauftragen, die rückwirkende Beschlussfassung über die Haushaltssatzungen der Jahre 2015 und 2016 (Handlungsoption 1) vorzubereiten.

 

Handlungsoption 2:

Der Landkreis leistet zur Beilegung des Rechtsstreits einmalige Zahlungen in der streitgegenständlichen Höhe von 171.300 € und 86.698 €.

 

Anlage:

Auszüge aus dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14.12.2018:

 

Randziffer 11

2. Aus den vorgenannten Gründen dürfte hier zwar ein absoluter Verfahrensfehler vorliegen, der zur Nichtigkeit der Haushaltssatzung insgesamt führt und damit dem klägerischen Anfechtungsbegehren im Falle einer streitigen Entscheidung zum Erfolg verhelfen würde (dazu a). Der Senat erachtet jedoch einen rückwirkenden Neuerlass der Haushaltssatzung als zulässig, sodass ein Klageerfolg im vorliegenden Verfahren nicht zwangsläufig zu einer Rückzahlungsverpflichtung führt (dazu b).

 

Randziffer 14

b) Der gerichtliche Vergleichsvorschlag kann allerdings nicht unberücksichtigt lassen, dass nach der in der mündlichen Verhandlung geäußerten vorläufigen Rechtsauffassung des Senats ein rückwirkender Neuerlass der Haushaltssatzung zulässig wäre (bejahend auch ThürOVG, U.v. 18.12.2008 – 2 KO 994/06 – ThürVBl 2009, 179 = juris Rn. 37; verneinend OVG MV, U.v. 18.7.2018 – 2 L 463/16 – UA S. 7 ff.). Nach allgemeinen Grundsätzen kann eine Satzung rückwirkend erlassen werden, wenn sie eine ungültige bzw. rechtlich zweifelhafte Satzung ersetzen soll und keine Vertrauensschutzgründe entgegenstehen. Dies muss auch für Haushaltssatzungen gelten mit der Folge, dass darauf beruhende fehlerhafte Kreisumlagebescheide geheilt werden können (vgl. BayVGH, U.v. 2.8.1996 – 4 B 94.1200 – juris Rn. 28 zum rückwirkenden Inkrafttreten einer verspätet erlassenen Haushaltssatzung). Die Nachholung des Satzungserlasses erscheint auch nach Ablauf des Haushaltsjahres vor allem dann möglich und geboten, wenn ein bloßer Verfahrensfehler vorliegt und noch nicht alle für das betreffende Jahr ergangenen Kreisumlagebescheide in Bestandskraft erwachsen sind. In diesem Fall besteht ein unabweisbares Bedürfnis nach einem Neuerlass der Satzung mit rechtswirksamer Festsetzung des Umlagesatzes, zumal der Landkreis nach Art. 56 Abs. 2 Nr. 2 LKrO i. V. m. Art. 18 Abs. 1 BayFAG verpflichtet ist, seinen durch die sonstigen Einnahmen nicht gedeckten Finanzbedarf auf die kreisangehörigen Gemeinden umzulegen. Durch die nachträgliche Neufestsetzung des Umlagesatzes kann dem Gebot der interkommunalen Gleichbehandlung bei der Heranziehung zur Kreisumlage im Ergebnis Rechnung getragen werden. Haushaltsrechtliche Vorgaben, insbesondere das Jährlichkeitsprinzip des Art. 62 Abs. 1 Satz 1 LKrO, stehen einem solchen rückwirkenden Satzungserlass jedenfalls 13 14 - 9 - nach bayerischem Landesrecht nicht entgegen (vgl. auch ThürOVG, U.v. 18.12.2008 – 2 KO 994/06 – ThürVBl 2009, 179 = juris Rn. 38).

 

Hinweis:

Die beiden Urteile und ein Beschluss zu den Klagen Weilbach liegen schriftlich vor. Diese sowie der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14.12.2018 und ein Vermerk des Rechtsbeistands des Landkreises Miltenberg Prof. Dr. Schwarz stehen im KIS zur Verfügung.

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