Tagesordnungspunkt
TOP Ö 9: Antrag der FDP-Fraktion: Keine Abschiebung von AsylbewerberInnen in Ausbildung und/oder in einem Beschäftigungsverhältnis bei erfolgreicher Integration
Bezeichnung | Inhalt |
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Sitzung: | 08.10.2018 KA/004/2018 |
Beschluss: | einstimmig beschlossen |
Dokumenttyp | Bezeichnung | Aktionen |
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Der
Kreisausschuss empfiehlt dem Kreistag einstimmig folgenden
B e s c h l u
s s:
Der Kreistag
Miltenberg unterstützt nachdrücklich die Bestrebungen, die Abschiebung von
abgelehnten Asylbewerber*innen und abgelehnten Flüchtlingen, die sich in einer Ausbildung
befinden und/oder nachweislich gut integriert sind, zu verhindern und so den
direkt betroffenen Menschen eine mittel- und langfristige Perspektive für ihr
Leben zu bieten, aber auch für die Arbeitgeber Anreiz und Rechtssicherheit für
die Ausbildung und die Beschäftigung dringend benötigter Arbeitskräfte zu
sichern.
Der Kreistag Miltenberg unterstützt nachdrücklich
die Bestrebungen, die Abschiebung von
Asylbewerbern, die sich in einer Ausbildung befinden und/oder
nachweislich gut integriert sind, zu verhindern und so den direkt betroffenen Menschen
eine mittel- und langfristige Perspektive für ihr Leben zu bieten, aber auch
für die Arbeitgeber Anreiz und Rechtssicherheit für die Ausbildung und die
Beschäftigung dringend benötigter Arbeitskräfte zu sichern.
Begründung des Antrags:
Wir wissen natürlich, dass in dieser Frage letztlich
der Bundesgesetzgeber gefragt ist. Es geht um ein Einwanderungsgesetz, es geht
aber auch um konkrete, praxisnahe Vorschläge wie die des „Spurwechsels“ vom
schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther oder um die
Forderung des Würzburger Oberbürgermeisters Christian Schuchardt, dass gut
integrierte Flüchtlinge auch bei Ablehnung ihres Asylantrags dauerhaft in
Deutschland bleiben dürfen. Solche Vorschläge durch Politiker jenseits
parteipolitischer Schranken machen klar, dass die aktuelle Regelung nicht
länger tragbar ist – nicht für die Flüchtlinge, die sich intensiv um die
Integration bemühen, und auch nicht für die regionale Wirtschaft, die ebenfalls
ihren Beitrag dazu leisten will und auf der Suche nach dringend benötigten
Arbeitskräften ist. Konkrete Fälle vor Ort – genannt soll hier nur der
beispielhafte Fall des 19-jährigen Afghanen Hasib Mirzada werden, der seit März
2017 zur allgemeinen Zufriedenheit in der Elsenfelder Bäckerei Weigand die
Praxis der Ausbildung durchläuft und nun abgeschoben werden soll – belegen die
Dringlichkeit unseres Antrags auf für die Lage vor Ort. Weitere Fälle ähnlicher
Art können auch in unserer Region genannt werden.
Unserer Ansicht nach ist es eine Aufgabe
verantwortungsvoller und weitsichtiger Kommunalpolitik, auf Missstände zu
reagieren, die vor Ort sicht- und spürbar sind. Verantwortliche Landes- und
Bundespolitiker sind auf solche konkreten Rückmeldungen von der „Basis“
angewiesen, wenn sie sachgerecht und praxisnah und ohne ideologische
Scheuklappen entscheiden wollen. Deshalb sollte der Kreistag Miltenberg
unmissverständlich seine Position zum diesem Thema formulieren. Bei Bedarf
könnte über die Landkreisverwaltung eine konkretere und umfassendere
Bestandsaufnahme vorgenommen werden, allerdings scheinen uns auch die bereits
bekannten Fälle und die nicht zufriedenstellende Rechtslage Grund genug für
eine klare Stellungnahme des Kreistags zu sein.
Stellungnahme der Verwaltung:
Aktuelle Rechtslage:
- Staatsangehörige
eines Nicht-EU-Landes können mit einem Visum/einer Aufenthaltsgenehmigung
unter den Voraussetzungen des § 17 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zum
Zweck einer qualifizierten Berufsausbildung nach Deutschland kommen. Auch
anerkannte Asylbewerber*innen können einer Berufsausbildung nachgehen.
- Asylsuchende
kommen i.d.R. allerdings ohne ein Visum/Aufenthaltsgenehmigung sowie ohne
Pass bzw. sonstiger Dokumente zum Nachweis ihrer Herkunft nach
Deutschland.
a.
Bereits während des Asylverfahrens kann die Aufnahme einer
Berufsausbildung/Beschäftigung zugelassen werden. Diese ist bei der zuständigen
Ausländerbehörde zu beantragen, welche auch die Bundesagentur für Arbeit bei
einer beabsichtigten Beschäftigungsaufnahme einschaltet. Keiner Zustimmung der
Bundesagentur für Arbeit bedarf die Aufnahme einer Berufsausbildung in einem
staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf. Bei
Herkunftsländern mit hoher Bleibeperspektive ist dies i.d.R. kein Problem. Dies
sind Länder mit einer Schutzquote von über 50%, dies wird vom BAMF halbjährig festgelegt
(Eritrea, Irak, Iran, Syrien und Somalia).
b.
Ein Beschäftigungsverbot gilt allerdings für
Asylsuchende die in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen müssen (bis zu 6 Monate)
und für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern mit Asylantragsstellung nach
dem 31.08.2015 (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien,
Montenegro, Senegal und Serbien).
- Wenn das
Asylgesuch abgelehnt wird, erlischt grundsätzlich auch eine Genehmigung
zur Beschäftigung, da dann die Aufenthaltsbeendigung im Vordergrund steht
und der abgelehnte Asylbewerber das Land verlassen muss.
a.
In diesem Fall ist die aufgenommene Tätigkeit
unverzüglich abzubrechen. Die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit kann bei
der zuständigen Ausländerbehörde erneut beantragt werden. Eine Genehmigung darf
nicht mehr erteilt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen
nicht möglich sind, die der Ausländer selbst zu vertreten hat (z. B. fehlende
Mitwirkung bei der Beschaffung von Reisedokumenten) und bereits konkrete
Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet wurden.
b.
Eine besondere Regelung für ein Bleiberecht zu
Ausbildungszwecken ist die sog. 3+2 Regelung nach § 60a Abs 2 Satz 4ff
AufenthG. Voraussetzung dafür ist ein abgeschlossenes Asylverfahren und der
Ablehnungsbescheid des BAMF. Danach kann ein Flüchtling, der eine Ausbildung in
Deutschland während des Asylverfahrens begonnen hat auch dann die Ausbildung
abschließen und eine zweijährige Anschlussbeschäftigung ausüben, wenn sein
Asylantrag abgelehnt wird. Rechtliche Voraussetzung dafür ist, dass der
Asylbewerber beispielsweise nicht über die Identität getäuscht hat (somit die
Identität geklärt ist), widersprüchliche Angaben gemacht hat, seine
Mitwirkungspflichten im Asylverfahren gröblich verletzt hat und keine vorsätzlichen
Straftaten begangen hat. Zudem muss es eine Berufsausbildung in einem staatlich
anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf sein.
Weiter dürfen
bereits keine konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung durch die
Ausländerbehörde, i.d.R. die Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) eingeleitet
worden sein.
Für den Zeitraum
der Ausbildung würde dem Ausländer ein sog. „Ausbildungsduldung“ erteilt
werden.
Die derzeit gültige Rechtslage zeigt, dass die
Frage der Integration in unsere Gesellschaft keine entscheidende Rolle spielt.
Eine wie von der FDP gewünschte konkretere und
umfassende Bestandsaufnahme durch die Landkreisverwaltung ist nicht möglich.
Die Zuständigkeit für die allermeisten Fälle liegt nicht beim Landratsamt
Miltenberg, sondern bei der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB), wenngleich die
Menschen in unserem Landkreis wohnen. Mangels Zuständigkeit und Erfassung
können die entsprechenden Daten nicht ermittelt werden.
Von insgesamt 3 Fällen mit einer hier erteilten
Ausbildungsduldung hat die ZAB zwischenzeitlich bei 2 Personen wieder die
Zuständigkeit an sich gezogen.
Angekündigte Abschiebungen von im Landkreis
Miltenberg lebenden abgelehnten Asylbewerber*innen wurden in den vergangenen
Monaten durch Einzelfallentscheidungen der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB)
ausgesetzt, um eine Fortsetzung der Ausbildung im Rahmen der 3+2 Regelung nach
§ 60a Abs 2 Satz 4ff Aufenthalt ermöglicht.
Kreisrat
Dr. Linduschka plädiert dafür, den Beschlussvorschlag der Verwaltung zu
übernehmen. Die FDP sei damit vollständig einverstanden. Er halte dennoch ein
politisches Signal für sinnvoll, weil selbst in Bayern die oberen Gremien auf
den Sachverstand und das Basiswissen der unteren Gremien wie eines Landkreises
durchaus angewiesen seien. Das Dilemma werde in der juristischen Begründung in
folgendem Satz gebündelt, der zeigt, dass dieses Vorgehen sinnvoll sei: „Die derzeit gültige Rechtslage zeigt, dass die
Frage der Integration in unsere Gesellschaft keine entscheidende Rolle spielt.“
Deswegen dürfe man als gewählte Politiker nicht mit der Rechtslage allein
zufrieden sein, sondern müsse daran arbeiten, dass es sachgerecht
weiterbearbeitet und verfolgt werde. Genau darauf ziele der Antrag der FDP ab.
Kreisrat
Dr. Fahn findet den Antrag richtig, weil die Kommunen eine Schlüsselstellung
bei der Integration haben, und Integration finde in erster Linie in den Städten
und Gemeinden statt. Deswegen sei es gut, ein politisches Signal zu setzen.
Kreisrat
Fieger tue sich aufgrund der Nicht-Zuständigkeit schwer, sich damit zu
befassen. Da es hier aber darum gehe, ein politisches Signal zu setzen und zu
verstärken, was in der jüngeren Vergangenheit bereits auf den Weg gebracht
worden sei, sehe er sich in dem Fall in der Lage, die Beschlussfassung zu
unterstützen.
Landrat
Scherf stimmt zu, dass man mit diesem Instrument, politisch in Form von
Resolutionen Stellung zu nehmen, wenn man nicht zuständig sei, sehr behutsam
umgehen müsse, damit es auch noch wirkungsvoll sei. Von daher kann er den
Überlegungen von Kreisrat Fieger, dass man das in diesem Fall tun sollte,
zustimmen, weil es politisch wie gesellschaftlich ein sehr wichtiges Signal
sei.
Kreisrat
Reinhard betont, das Ziel der ganzen Maßnahme sei, dass diese Personen
letztendlich auskömmlich leben können und aus dem Sozialsystem herauskämen. Von
der Seite ist der Konsens da.
Inhaltlich
sei das Thema etwas überholt, weil die entsprechenden Ausnahmeregelungen
bereits getroffen seien.
Der
Vorschlag sei eine schwammige und allgemeine Formulierung, den man so nicht
stehenlassen könne. Es wäre schön, wenn man den Zusatz „zum Zweck der
Selbstfinanzierung“
mit
aufnehmen könne.
Landrat
Scherf widerspricht in zwei Punkten. Zum einen halte er die Formulierung für
klar, nämlich dass es um Ausbildung und Beschäftigung dringend benötigter
Arbeitskräfte gehe.
Wenn
man diese Formulierung noch konkretisieren müsste, würde man damit einräumen,
dass in Deutschland dringend benötigte Arbeitskräfte, die als Fachkräfte hier
arbeiten, nicht auskömmlich beschäftigt wären. Er gehe davon aus, dass die
Beschäftigung umfänglich sei und sich die Leute davon selbst versorgen könnten.
Zweitens
halte er das Thema bedauerlicherweise nicht für überholt, denn in den
vergangenen Monaten habe man gemerkt, dass die 3+2-Regelung leider nicht
konsequent angewendet werde. Er halte es menschlich und auch rechtlich für
nicht dauerhaft tragbar, dass nur über Einzelfälle entschieden werde. Man müsse
schnellstens handeln, sowohl menschlich als auch im Sinne der Gesellschaft und
volkswirtschaftlich.
Kreisrat
Dr. Kaiser sagt seitens der SPD die Unterstützung zu. Er freue sich sehr
darüber, dass entgegen der Auffassung der Landesgruppe der CSU und der FDP im
deutschen Bundestag, hier an der Basis eine einheitliche Haltung gezeigt werde.
Er stimmt Landrat Scherf zu, dass eine Einzelfalllösung nicht sein könne,
sondern dass es einer generellen Regelung über das
Fachkräfteeinwanderungsgesetz bedürfe.
Kreisrat
Dr. Linduschka ist gegen das Ansinnen von Kreisrat Reinhard, den Vorschlag zu
ergänzen. Dies sei ein Minimalvorschlag, auf den man sich einigen könne.
Kreisrat
Reinhard nimmt die Bitte um Ergänzung zurück.
Kreisrat
Stich stimmt für die Fraktion Bündnis90/Die Grünen zu, findet allerdings, dass
der Vorschlag einen leicht ökologischen Einschlag habe. Man dürfe bei einer
solchen Debatte nicht die Personen vergessen, die nicht so offensichtlich
nützlich seien wie z.B. Kinder und Behinderte.
Kreisrat
Dr. Fahn schließt sich dem Beschlussvorschlag an. Zum Thema
Einzelfallentscheidung merkt er an, dass sich auch IHK und HWK eine
Gesamtlösung wünschen würden.
Auf
Anregung von Kreisrat Fieger wird in den Beschlussvorschlag „und von
abgelehnten Flüchtlingen“ aufgenommen.