Tagesordnungspunkt

TOP Ö 9: Antrag der FDP-Fraktion: Keine Abschiebung von AsylbewerberInnen in Ausbildung und/oder in einem Beschäftigungsverhältnis bei erfolgreicher Integration

BezeichnungInhalt
Sitzung:08.10.2018   KA/004/2018 
Beschluss:einstimmig beschlossen
DokumenttypBezeichnungAktionen

Der Kreisausschuss empfiehlt dem Kreistag einstimmig folgenden

 

B e s c h l u s s:

 

Der Kreistag Miltenberg unterstützt nachdrücklich die Bestrebungen, die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerber*innen und abgelehnten Flüchtlingen, die sich in einer Ausbildung befinden und/oder nachweislich gut integriert sind, zu verhindern und so den direkt betroffenen Menschen eine mittel- und langfristige Perspektive für ihr Leben zu bieten, aber auch für die Arbeitgeber Anreiz und Rechtssicherheit für die Ausbildung und die Beschäftigung dringend benötigter Arbeitskräfte zu sichern.


Landrat Scherf trägt vor, dass mit Datum des 20.8.2018 die Kreistagsfraktion der FDP den Antrag „Keine Abschiebung von AsylbewerberInnen in Ausbildung und/oder in einem Beschäftigungsverhältnis bei erfolgreicher Integration“ gestellt hat.

 

Der Kreistag Miltenberg unterstützt nachdrücklich die Bestrebungen, die Abschiebung von  Asylbewerbern, die sich in einer Ausbildung befinden und/oder nachweislich gut integriert sind, zu verhindern und so den direkt betroffenen Menschen eine mittel- und langfristige Perspektive für ihr Leben zu bieten, aber auch für die Arbeitgeber Anreiz und Rechtssicherheit für die Ausbildung und die Beschäftigung dringend benötigter Arbeitskräfte zu sichern.

 

Begründung des Antrags:

 

Wir wissen natürlich, dass in dieser Frage letztlich der Bundesgesetzgeber gefragt ist. Es geht um ein Einwanderungsgesetz, es geht aber auch um konkrete, praxisnahe Vorschläge wie die des „Spurwechsels“ vom schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther oder um die Forderung des Würzburger Oberbürgermeisters Christian Schuchardt, dass gut integrierte Flüchtlinge auch bei Ablehnung ihres Asylantrags dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen. Solche Vorschläge durch Politiker jenseits parteipolitischer Schranken machen klar, dass die aktuelle Regelung nicht länger tragbar ist – nicht für die Flüchtlinge, die sich intensiv um die Integration bemühen, und auch nicht für die regionale Wirtschaft, die ebenfalls ihren Beitrag dazu leisten will und auf der Suche nach dringend benötigten Arbeitskräften ist. Konkrete Fälle vor Ort – genannt soll hier nur der beispielhafte Fall des 19-jährigen Afghanen Hasib Mirzada werden, der seit März 2017 zur allgemeinen Zufriedenheit in der Elsenfelder Bäckerei Weigand die Praxis der Ausbildung durchläuft und nun abgeschoben werden soll – belegen die Dringlichkeit unseres Antrags auf für die Lage vor Ort. Weitere Fälle ähnlicher Art können auch in unserer Region genannt werden.

Unserer Ansicht nach ist es eine Aufgabe verantwortungsvoller und weitsichtiger Kommunalpolitik, auf Missstände zu reagieren, die vor Ort sicht- und spürbar sind. Verantwortliche Landes- und Bundespolitiker sind auf solche konkreten Rückmeldungen von der „Basis“ angewiesen, wenn sie sachgerecht und praxisnah und ohne ideologische Scheuklappen entscheiden wollen. Deshalb sollte der Kreistag Miltenberg unmissverständlich seine Position zum diesem Thema formulieren. Bei Bedarf könnte über die Landkreisverwaltung eine konkretere und umfassendere Bestandsaufnahme vorgenommen werden, allerdings scheinen uns auch die bereits bekannten Fälle und die nicht zufriedenstellende Rechtslage Grund genug für eine klare Stellungnahme des Kreistags zu sein.

 

Stellungnahme der Verwaltung:

 

Aktuelle Rechtslage:

  1. Staatsangehörige eines Nicht-EU-Landes können mit einem Visum/einer Aufenthaltsgenehmigung unter den Voraussetzungen des § 17 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zum Zweck einer qualifizierten Berufsausbildung nach Deutschland kommen. Auch anerkannte Asylbewerber*innen können einer Berufsausbildung nachgehen.

 

  1. Asylsuchende kommen i.d.R. allerdings ohne ein Visum/Aufenthaltsgenehmigung sowie ohne Pass bzw. sonstiger Dokumente zum Nachweis ihrer Herkunft nach Deutschland.

a.    Bereits während des Asylverfahrens kann  die Aufnahme einer Berufsausbildung/Beschäftigung zugelassen werden. Diese ist bei der zuständigen Ausländerbehörde zu beantragen, welche auch die Bundesagentur für Arbeit bei einer beabsichtigten Beschäftigungsaufnahme einschaltet. Keiner Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedarf die Aufnahme einer Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf. Bei Herkunftsländern mit hoher Bleibeperspektive ist dies i.d.R. kein Problem. Dies sind Länder mit einer Schutzquote von über 50%, dies wird vom BAMF halbjährig festgelegt (Eritrea, Irak, Iran, Syrien und Somalia).

b.    Ein Beschäftigungsverbot gilt allerdings für Asylsuchende die in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen müssen (bis zu 6 Monate) und für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern mit Asylantragsstellung nach dem 31.08.2015 (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien).

 

  1. Wenn das Asylgesuch abgelehnt wird, erlischt grundsätzlich auch eine Genehmigung zur Beschäftigung, da dann die Aufenthaltsbeendigung im Vordergrund steht und der abgelehnte Asylbewerber das Land verlassen muss.

a.    In diesem Fall ist die aufgenommene Tätigkeit unverzüglich abzubrechen. Die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit kann bei der zuständigen Ausländerbehörde erneut beantragt werden. Eine Genehmigung darf nicht mehr erteilt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen nicht möglich sind, die der Ausländer selbst zu vertreten hat (z. B. fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Reisedokumenten) und bereits konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet wurden.

b.    Eine besondere Regelung für ein Bleiberecht zu Ausbildungszwecken ist die sog. 3+2 Regelung nach § 60a Abs 2 Satz 4ff AufenthG. Voraussetzung dafür ist ein abgeschlossenes Asylverfahren und der Ablehnungsbescheid des BAMF. Danach kann ein Flüchtling, der eine Ausbildung in Deutschland während des Asylverfahrens begonnen hat auch dann die Ausbildung abschließen und eine zweijährige Anschlussbeschäftigung ausüben, wenn sein Asylantrag abgelehnt wird. Rechtliche Voraussetzung dafür ist, dass der Asylbewerber beispielsweise nicht über die Identität getäuscht hat (somit die Identität geklärt ist), widersprüchliche Angaben gemacht hat, seine Mitwirkungspflichten im Asylverfahren gröblich verletzt hat und keine vorsätzlichen Straftaten begangen hat. Zudem muss es eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf sein.

Weiter dürfen bereits keine konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung durch die Ausländerbehörde, i.d.R. die Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) eingeleitet worden sein.

Für den Zeitraum der Ausbildung würde dem Ausländer ein sog. „Ausbildungsduldung“ erteilt werden.

 

Die derzeit gültige Rechtslage zeigt, dass die Frage der Integration in unsere Gesellschaft keine entscheidende Rolle spielt.

 

Eine wie von der FDP gewünschte konkretere und umfassende Bestandsaufnahme durch die Landkreisverwaltung ist nicht möglich. Die Zuständigkeit für die allermeisten Fälle liegt nicht beim Landratsamt Miltenberg, sondern bei der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB), wenngleich die Menschen in unserem Landkreis wohnen. Mangels Zuständigkeit und Erfassung können die entsprechenden Daten nicht ermittelt werden.

 

Von insgesamt 3 Fällen mit einer hier erteilten Ausbildungsduldung hat die ZAB zwischenzeitlich bei 2 Personen wieder die Zuständigkeit an sich gezogen.

 

Angekündigte Abschiebungen von im Landkreis Miltenberg lebenden abgelehnten Asylbewerber*innen wurden in den vergangenen Monaten durch Einzelfallentscheidungen der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) ausgesetzt, um eine Fortsetzung der Ausbildung im Rahmen der 3+2 Regelung nach § 60a Abs 2 Satz 4ff Aufenthalt ermöglicht.

 

 

Kreisrat Dr. Linduschka plädiert dafür, den Beschlussvorschlag der Verwaltung zu übernehmen. Die FDP sei damit vollständig einverstanden. Er halte dennoch ein politisches Signal für sinnvoll, weil selbst in Bayern die oberen Gremien auf den Sachverstand und das Basiswissen der unteren Gremien wie eines Landkreises durchaus angewiesen seien. Das Dilemma werde in der juristischen Begründung in folgendem Satz gebündelt, der zeigt, dass dieses Vorgehen sinnvoll sei: „Die derzeit gültige Rechtslage zeigt, dass die Frage der Integration in unsere Gesellschaft keine entscheidende Rolle spielt.“ Deswegen dürfe man als gewählte Politiker nicht mit der Rechtslage allein zufrieden sein, sondern müsse daran arbeiten, dass es sachgerecht weiterbearbeitet und verfolgt werde. Genau darauf ziele der Antrag der FDP ab.

 

Kreisrat Dr. Fahn findet den Antrag richtig, weil die Kommunen eine Schlüsselstellung bei der Integration haben, und Integration finde in erster Linie in den Städten und Gemeinden statt. Deswegen sei es gut, ein politisches Signal zu setzen.

 

Kreisrat Fieger tue sich aufgrund der Nicht-Zuständigkeit schwer, sich damit zu befassen. Da es hier aber darum gehe, ein politisches Signal zu setzen und zu verstärken, was in der jüngeren Vergangenheit bereits auf den Weg gebracht worden sei, sehe er sich in dem Fall in der Lage, die Beschlussfassung zu unterstützen.

 

Landrat Scherf stimmt zu, dass man mit diesem Instrument, politisch in Form von Resolutionen Stellung zu nehmen, wenn man nicht zuständig sei, sehr behutsam umgehen müsse, damit es auch noch wirkungsvoll sei. Von daher kann er den Überlegungen von Kreisrat Fieger, dass man das in diesem Fall tun sollte, zustimmen, weil es politisch wie gesellschaftlich ein sehr wichtiges Signal sei.

 

Kreisrat Reinhard betont, das Ziel der ganzen Maßnahme sei, dass diese Personen letztendlich auskömmlich leben können und aus dem Sozialsystem herauskämen. Von der Seite ist der Konsens da.

Inhaltlich sei das Thema etwas überholt, weil die entsprechenden Ausnahmeregelungen bereits getroffen seien.

Der Vorschlag sei eine schwammige und allgemeine Formulierung, den man so nicht stehenlassen könne. Es wäre schön, wenn man den Zusatz „zum Zweck der Selbstfinanzierung“

mit aufnehmen könne.

 

Landrat Scherf widerspricht in zwei Punkten. Zum einen halte er die Formulierung für klar, nämlich dass es um Ausbildung und Beschäftigung dringend benötigter Arbeitskräfte gehe.

Wenn man diese Formulierung noch konkretisieren müsste, würde man damit einräumen, dass in Deutschland dringend benötigte Arbeitskräfte, die als Fachkräfte hier arbeiten, nicht auskömmlich beschäftigt wären. Er gehe davon aus, dass die Beschäftigung umfänglich sei und sich die Leute davon selbst versorgen könnten.

 

Zweitens halte er das Thema bedauerlicherweise nicht für überholt, denn in den vergangenen Monaten habe man gemerkt, dass die 3+2-Regelung leider nicht konsequent angewendet werde. Er halte es menschlich und auch rechtlich für nicht dauerhaft tragbar, dass nur über Einzelfälle entschieden werde. Man müsse schnellstens handeln, sowohl menschlich als auch im Sinne der Gesellschaft und volkswirtschaftlich.

 

Kreisrat Dr. Kaiser sagt seitens der SPD die Unterstützung zu. Er freue sich sehr darüber, dass entgegen der Auffassung der Landesgruppe der CSU und der FDP im deutschen Bundestag, hier an der Basis eine einheitliche Haltung gezeigt werde. Er stimmt Landrat Scherf zu, dass eine Einzelfalllösung nicht sein könne, sondern dass es einer generellen Regelung über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz bedürfe.

 

Kreisrat Dr. Linduschka ist gegen das Ansinnen von Kreisrat Reinhard, den Vorschlag zu ergänzen. Dies sei ein Minimalvorschlag, auf den man sich einigen könne.

 

Kreisrat Reinhard nimmt die Bitte um Ergänzung zurück.

 

Kreisrat Stich stimmt für die Fraktion Bündnis90/Die Grünen zu, findet allerdings, dass der Vorschlag einen leicht ökologischen Einschlag habe. Man dürfe bei einer solchen Debatte nicht die Personen vergessen, die nicht so offensichtlich nützlich seien wie z.B. Kinder und Behinderte.

 

Kreisrat Dr. Fahn schließt sich dem Beschlussvorschlag an. Zum Thema Einzelfallentscheidung merkt er an, dass sich auch IHK und HWK eine Gesamtlösung wünschen würden.

 

Auf Anregung von Kreisrat Fieger wird in den Beschlussvorschlag „und von abgelehnten Flüchtlingen“ aufgenommen.

© 2011 Landratsamt Miltenberg | Brückenstr. 2 | 63897 Miltenberg | Tel: 09371 501-0
Fernwartung