Tagesordnungspunkt

TOP Ö 1: Allgemeine Situation: Corona-Krise unter wirtschaftlichen Aspekten

BezeichnungInhalt
Sitzung:25.06.2020   WT/001/2020 
DokumenttypBezeichnungAktionen

Die Mitglieder des Ausschusses nehmen die Ausführungen zur Kenntnis.


Landrat Scherf:

 

Sehr geehrte Kreisrätinnen und Kreisräte,

sehr geehrte Damen und Herren,

 

im Jahre 2014 entschied der Kreistag des Landkreises Miltenberg in seiner konstituierenden Sitzung, einen neuen Fachausschuss einzuführen, den Ausschuss für Wirtschaft und Tourismus.

Dieser hat die Aufgabe, unseren Fokus auf die Grundlagen unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu lenken und uns helfen daraus Rückschlüsse für die politischen Weichenstellungen zu ziehen. Warum Wirtschaft und Tourismus? Die Besonderheit des Landkreises Miltenberg liegt u.a. in seiner auf der einen Seite

  • starken industriellen Prägung und auf der anderen Seite
  • in der Beheimatung einer landschaftlich und kulturgeschichtlich einzigartigen Region,

wir sind also eine industriell geprägte Wirtschaftsregion (in MR FRM) in einer Urlaubsregion im Maintal zwischen Spessart & Odenwald. Deshalb Wirtschaft und Tourismus.

In den vergangenen sechs Jahren war dieser Ausschuss unter anderem zu Gast in landwirtschaftlichen, in handwerklichen und in industriell geprägten Unternehmen wie dem Bauernhof Schandel, eine der Säulen der Vermarktung regionaler Produkte wie den neu geschaffenen Käsetaler, bis zu Elektromotoren Oswald, Bundesumweltpreisträger und Innovationstreiber in Sachen Elektrotechnik, er tagte im Ausbildungszentrum der Mainsite oder in der Zentec in Großwallstadt, dem Zentrum für Technologie, Gründung, Innovation und Netzwerke am Bayerischen Untermain.

 

Heute findet eine besondere Sitzung statt, und damit spiele ich nicht alleine auf die besonderen Maßnahmen des Infektionsschutzes hin,

  • vom kontrollierten Zugang zum Haus,
  • zur Erfassung Ihrer Daten und der Sitzordnung bis hin zu
  • den Abstandsregelungen.

Die einzigartige Pandemie, zumindest seit der sogenannten Spanischen Grippe im Jahre 1918 (welche eigentlich eine amerikanische Grippe war), die nicht nur aufgrund der medizinischen Dimensionen seit dem Ende des 2. Weltkrieges ihres Gleichen sucht, machte einschneidende Maßnahmen in Form eines Lock-Downs notwendig, um die drohenden gesundheitlichen Auswirkungen bei einem außer Kontrolle geratenen Ausbruch zu verhindern, wie wir diese leidvoll am Beispiel wirtschaftlich und infrastrukturell hoch entwickelter Regionen wie der Lombardei, dem Großraum Madrid oder dem Elsass miterleben mussten.

Gerade wegen aufkommender Zweifel in (zum Glück) kleinen Teilen der Bevölkerung lassen Sie mich bitte daran erinnern, dass beispielsweise die Kliniken bundesweit sich (zum Glück nur theoretisch) mit den Erfahrungen der französischen Kliniken bei der Priorisierung von an Covid-19 erkrankten Patienten und der Vergabe von Beatmungsplätzen auseinandersetzen mussten. Lassen Sie uns also, gerade wenn wir uns heute mit den Fragen der wirtschaftlichen Folgen und den Weichenstellungen für eine Erholung aus dieser dramatischen Wirtschaftskrise, dankbar sein, dass in den Monaten März und April noch rechtzeitig konsequente Schutzmaßnahmen ergriffen wurden und wir uns nun mit der Revitalisierung unseres wirtschaftlichen Lebens beschäftigen können.

Während wir in Deutschland die Corona-Lage derzeit mit lokalen Ausnahmen derzeit in Göttingen, Berlin und Gütersloh im Griff haben (ca. 193.000 bestätige Infektionen mit knapp 4.500 Neuinfektionen in den vergangenen 7 Tagen sowie über 9.000 Todesfällen und momentan ca. 350 Patienten in Intensivversorgung) erleben wir gerade in Lateinamerika und USA, welch fatale Fehler im Krisenmanagement gemacht werden können und wie tödlich die Folgen für die Menschen sein können. Weltweit haben wir pro Woche eine knappe Million Neuinfektionen, insgesamt etwa 9 Millionen bestätigte Fälle und eine knappe halbe Million Todesopfer.

 

 

Im Landkreis Miltenberg verzeichnen wir bis gestern insgesamt 305 bestätigte Infektionen, davon 296 genesen, 5 verstorben, 23 mussten intensiv stationär behandelt werden. Seit einer Woche eine Neuinfektion – Lage aktuell unauffällig.

Die Strategie im Landratsamt seit Ausrufung des bayernweiten Katastrophenfalls am Montag, den 16. März, welchen wir mit der Sitzung der Kleinen Lage der Führungsgruppe Katastrophenschutz im Landratsamt begannen:

  1. Konsequentes Krisenmanagement unter Leitung der am 16. März eingerichteten Führungsgruppe Katastrophenschutz: Schutz vor Sars-CoV-2 und eine Eindämmung ist Grundlage für jede Form der Lockerung und auch in den kommenden Monaten unerlässlich. Die Abstimmung der wesentlichen Akteure im Landkreis Miltenberg setzen wir auch nach Aufhebung des Katastrophenfalls am 17. Juni fort.

Zum Krisenmanagement gehört eine gute Kommunikation mit der Bevölkerung, hierzu wurden zweitweise drei unterschiedliche Bürger*innentelefone eingerichtet:

Klassisches Bürgertelefon knapp 1400 Stunden

Medizinische Coronahotline, ebenfalls knapp 1400 Stunden

Wirtschaftshotline, 420 Stunden, inzwischen eingestellt

Insgesamt wurden ca. 18.000 Anfragen entgegengenommen und bearbeitet, ohne zusätzliche Personalressourcen zu benötigen (Überstunden, verdichtetes Arbeiten, Verlagern besonders aus dem UB 1 Kultur): Aus den benachbarten Bundesländern (Hessen und BaWü) wurden etliche Anfragen zu bayerischen Vorschriften gestellt, wodurch sich auch die hohe Anrufe-Zahl ergibt.

Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitsamtes und des Nachverfolgens von Infektionsfällen und Infektionsketten.

 

 

  1. Fortführung aller Dienste des Landratsamtes: Es gab keinen Lock-down im Landratsamt, die Arbeit wurde in allen Bereichen fortgesetzt, egal ob im Jugendamt oder in der Bauabteilung, teilweise sogar ein kleiner Innovationsschub durch digitale Terminbuchungen in Bereichen wie der Wertstoffhöfe oder der Kfz-Zulassungsstellen. Dies wird in das Gesamtkonzept „digitales Landratsamt“ integriert, hieran arbeiten derzeit verschiedene Projektgruppen, es entstehen also keine Insellösungen, sondern eine tragfähige Gesamtlösung

 

  1. Festhalten an allen Investitionen und Vorhaben des Landkreises – im Rahmen eines sehr konsequenten Einnahmen- und Ausgaben-Managements gaben wir nicht der angstgesteuerten Krisenreaktion eines haushaltspolitischen Shut-Downs nach und haben keine Maßnahmen „on hold“ gestellt. Wichtiges Signal in der Krise: Öffentliche Verwaltung arbeitet und öffentliche Aufträge und Investitionen laufen weiter, weil wir die Lage im Griff haben. Grundlage war eine enge Kommunikation zwischen den Kommunalen Spitzenverbänden in Bayern und der Bayer. Staatsregierung. München und Berlin haben inzwischen Wort gehalten und eine Erstattung der Gewerbesteuerausfälle und eine Entlastung bei den Sozialausgaben zugesagt – die 2 Milliarden des Bundes für bayerische Kommunen werden um 2 bayerische Milliarden ergänzt für einen hoffentlich wirkungsvollen kommunalen Schutzschirm, damit Investitionen und Leistungen der Gemeinden, Städte und Landkreise nicht gekürzt werden müssen.

 

  1. Einfache, unbürokratische Umsetzung des schrittweisen Abbaus der restriktiven Schutzmaßnahmen – keine Zusatzgenehmigungen bei den Lockerungen, möglichst einfache und eigenverantwortliche Umsetzung, dazu Unterstützung bei staatlichen Soforthilfen durch wirtschaftliches Beratungstelefon, Bürgertelefon und dienstleistendes Ordnungsamt. Bei Hinweisen auf Verstöße handeln wir natürlich konsequent im Sinne der Chancengerechtigkeit aller Akteure am Markt und des Infektionsschutzes.
  2. Enge Absprache und Kooperation mit anderen Akteuren (analog zur Kat-schutz-Kommunikation) in der Region regelmäßiger enger Austausch mit den Wirtschaftskammern, den anderen Gebietskörperschaften und wichtigen Akteuren wie Agentur für Arbeit. Wenn wir eines aus dieser Krise lernen müssen: Nur GEMEINSAM können wir derartige Herausforderungen bewältigen, wir müssen uns aufeinander verlassen können, auch in den kommenden Monaten!

 

Alle fünf Säulen des Corona-Krisenmanagements sind bedeutsam für die wirtschaftliche Stabilisierung im Landkreis Miltenberg in einer einzigartigen Krisensituation.

Durch die regionalen und bayernweiten Medien gingen in den vergangenen Tagen und Wochen einige Berichte bezüglich der zusätzlichen Ausgaben der Landkreise teilweise in siebenstelliger Höhe mit entsprechenden Belastungen für den regulären Kreishaushalt und notwendigen Beschlüssen. Hier in aller gebotenen Kürze die Rückmeldung, dass im Kreisausschuss am Montag, 6. Juli, keine Beschlüsse notwendig sind. Trotz erfolgreichen Krisenmanagements belaufen sich die Kosten z.B. für die Teststrecke in Kooperation mit BRK & Helios-Klinik aktuell auf aktuell knapp 50 T€ (u.a. auch Helferfreistellung), für den Katastrophenschutz sowie für Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen im Landratsamt knapp ca. 80 T€. Damit liegen die Ausgaben im Bereich der Haushaltsansätze (ohne Corona), weshalb wir beruhigt der Erstattungszusage des Freistaates Bayern vertrauen.

Soweit zum öffentlichen Krisenmanagement als Grundlage für die wirtschaftliche Erholung:

 

Möglich wurde dies auch dank des großen Engagements aller Akteure, besonders hervorzuheben unsere Einheiten des Kat.-Schutzes Feuerwehr, THW, BRK und Helios-Kliniken.

 

 

 

Diese Ausführungen zum Hintergrund der heutigen Sitzung. Heute jedoch soll der Fokus auf den wesentlichen Akteuren und Stützen unseres wirtschaftlichen Wohlergehens liegen: Deshalb begrüßen wir:

  • IHK (Herr Dr. Freundt)
  • HWK (Herr Salg)
  • Bundesverband mittelständische Wirtschaft (Fr. Brenner)
  • Hotel- und Gaststättenverband (Hr. Liebe)
  • Tourismusverband Spessart-Mainland (Hr. Seiterle)
  • Tourismusverband Bergstraße-Odenwald (Fr. Horn wird kurzfristig vom 2. Vorsitzenden des Tourismusservice Odenwald-Bergstraße vertreten)
  • Zentec (Herren Gasper & Stürmer)

 

Wir spüren seit dem Lock-Down deutlich die Folgen der wirtschaftlichen Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt, auf den ich zu Beginn den Blick richten will, denn u.a. hier spüren die Menschen unmittelbar die Folgen:

 

  • Am Bayerischen Untermain haben wir mit knapp 9.000 Arbeitslosen einen Rekordwert seit dem im Jahr 2007 begonnenen Aufschwung (im Lkr. MIL 2.842 Menschen, 865 mehr als vor einem Jahr; 3,8% statt 2,7%). Im Mai haben sich 1805 Menschen neu arbeitslos gemeldet, während nur 484 eine Erwerbstätigkeit neu aufnehmen konnten. Im Juni verlangsamt sich der Anstieg, die Zahl der gemeldteten freien Arbeitsstellen steigt wieder.

 

  • Das im vergangenen Jahrzehnt erlebte Rekordwachstum bei der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wird 2020 aber gestoppt.

 

  • Ein wichtiges Instrument in der Krise, u.a. zum Halten des Stammpersonals, ist das Kurzarbeitergeld. Der Anstieg hat sich abgeschwächt, aktuell gibt es am Bayerischen Untermain mit ca. 4.300 Betriebsanzeigen, ein nie erlebtes Niveau, wovon potentiell bis zu 67.000 Personen von Kurzarbeit betroffen sein könnten. Wie die Zahl tatsächlich aussieht, kann erst in drei Monaten festgestellt werden, weil erst dann die tatsächliche Abrechnung erfolgt sein muss (aktuell abgerechnet sind 36.883 abgerechnet, Stand 23.6.2020).

Besonders betroffen sind das Hotel- und Gaststättengewerbe und sowie die auch bereits konjunkturell von der Weltwirtschaft vorbelasteten Branchen wie Metall-, Maschinenbau- und die Elektroindustrie. Spitzenreiter bei der Kurzarbeit sind Gastronomie, Einzelhandel und Gesundheitswesen. Bearbeitungsdauer bei vollständigen Anträgen 5 Tage.

 

  • Für Grundsicherung und ALG II hat sich die Anzahl der Anträge auf einem erhöhten Niveau eingependelt, mit ca. 100 beschiedenen Anträgen pro Woche doppelt so hoch wie vor Corona. Bearbeitungszeit in den Job-Centern bei 5-6 Arbeitstagen.

 

  • Positive Signale sind aber auch die im Mai wieder gestiegene Anzahl offener Stellen sowie die hohe Ausbildungsbereitschaft der Betriebe, weshalb der Ausbildungsmarkt am bayerischen Untermain aktuell intakt ist, Berufsberatung der Agentur für Arbeit und Jugendberufsberatung des Landkreises Miltenberg sind hier sehr aktiv. Gemeldet sind am Bayerischen Untermain 2410 Ausbildungsstellen, aktuell unbesetzt sind 1097 Stellen, unversorgte Bewerber*innen 963.

Dies zur Veranschaulichung, das hinter allem, was wir heute hören werden, das Schicksal von Betrieben und Unternehmen sowie von unzähligen Arbeitnehmer*innen steckt.

 

 

Deswegen schlage ich vor, dass wir bei dem jeweils anschließenden kurzen Austausch uns vor allem darauf konzentrieren, was bedeutet das Gehörte für uns hier im Landkreis Miltenberg und welche konkreten Handlungsmöglichkeiten bzw. –erfordernisse ergeben sich für uns.

Was können wir als Landkreis tun, was können wir als Landratsamt tun, um die Erholung der Wirtschaft zu unterstützen.

Dazu brauchen wir Ihre Berichte aus Sicht der Betroffenen, weshalb ich Ihnen für Ihre Zeit und Ihr Engagement danke!“

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