Tagesordnungspunkt
TOP Ö 6: Notwendige Angebotserweiterung Heilpädagogische Tagesstätten (HPT)
Bezeichnung | Inhalt |
---|---|
Sitzung: | 28.11.2022 JHA/004/2022 |
Beschluss: | einstimmig beschlossen |
Dokumenttyp | Bezeichnung | Aktionen |
---|
Folgender Beschluss wurde einstimmig gefasst:
Die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses nehmen die gestiegenen realen Notwendigkeiten/Bedarfe zur Hilfegewährung zur Kenntnis und empfehlen dem Kreistag, die benötigten Mittel auch im kommenden Haushaltsjahr im Budget bereit zu stellen.
Herr Rätz führt zu diesem Thema anhand der
Sitzungsvorlage aus:
Was ist HPT?
Tagesgruppen gemäß § 32 SGB VIII sind ein
Angebot teilstationärer,
institutioneller Erziehung, das Erziehung in der Familie nicht ersetzt, sondern
erhält, entlastet, ergänzt und fördert. Die Erziehung in einer Tagesgruppe
unterstützt die Entwicklung von Mädchen und Jungen durch soziales Lernen in der
Gruppe, Begleitung der schulischen Förderung und Arbeit mit der Familie und sichert dadurch den Verbleib des Kindes oder Jugendlichen in seiner Familie.
Die enge Zusammenarbeit der Fachkräfte der Tagesgruppe mit Elternhaus und
Schule ist konstitutiv für diese Hilfeart. Die Notwendigkeit und Geeignetheit
hierfür haben u.a. in Folge der Corona-Maßnahmen stark zugenommen. Während in
den letzten Jahren die Plätze im Landkreis Miltenberg maximal um ein Kind
überbelegt waren und benötigt wurden, sind sie im aktuellen Jahr um eine ganze
Gruppengröße angewachsen. Aus diesem Grund wurden hierfür seitens des
Jugendamtes mit dem Träger EAL eine Angebotserweiterung vorgenommen und eine
vierte teilstationäre Einrichtung im Landkreis Miltenberg an die aktuelle Lage
angepasst.
Welche
HPTs gibt es im Landkreis Miltenberg?
Im Augenblick gibt es drei Standorte im
Landkreis:
-
HPT an
der BBS Himmelthal (20 Plätze – aktuell belegt 15 – 2023: 20)
-
HPT
Elsenfeld (9 Plätze – aktuell belegt 9 – 2023: 9)
-
HPT
Miltenberg (9 Plätze – aktuell belegt 9 – 2023: 9)
Neu und geplant:
-
HPT
Wörth (geplant zum 01.12.2022: 9 Plätze – aktuell beschlossen 7 – 2023: 9)
Haushaltsposition:
Das Budget im Jugendhilfehaushalt wird im Produktkonto 363360 „Erziehung
in einer Tagesgruppe“ abgebildet. Der bewilligte Haushaltsansatz für 2022 beträgt
962.700,- Euro (inkl. ca. 90 T€ Fahrtkosten). Im kommenden Haushaltsjahr
2023 ist durch die Eröffnung der vierten Gruppe mit einer Erhöhung um ca. 300
T€ zu rechnen. Eine Eröffnung noch in diesem Jahr ist durch den bewilligten Gesamthaushalt
gedeckt. Rein rechnerisch kostet ein Platz pro Kind durchschnittlich ca.
2.400,- Euro / Monat. Durch die teilstationäre Unterbringung wird aber einer
stationären (Heim-)Unterbringung i.H.v. mind. 6.000,- Euro pro Kind und Monat
erfolgreich und rechtzeitig entgegengewirkt.
Anschließend tritt Herr Professor Gunter Adams von der Diakonie
nach vorne und berichtet zu heilpädagogischen Tagesstätten.
Das Angebot von Tagesgruppen sei in das neue SGB VIII aufgenommen worden.
Tatsächlich gebe es sie seit 1990/1991, um die Lücke zwischen ambulanten und
stationären Hilfen zu schließen. Mit diesem Instrument sei eine Hilfeform
geschaffen worden, bei denen die Kinder zuhause bleiben und trotzdem eine
intensivere Hilfe bekommen können als bei einer ambulanten, stundenweisen Hilfe
in der Woche. Die Tagesgruppen beginnen i.d.R. mit Schulende. D.h. die Kinder
kommen direkt von der Schule in die TP und gehen um 17 Uhr von dort nachhause. Die
TP ist von Montag – Freitag an allen Schultagen und in den Ferien auch an
Vormittagen geöffnet. Die Hilfe habe in Deutschland von 1991 bis 2019 um 300 %
zugenommen.
Die erste Gruppe in Miltenberg sei am 02.04.2002 eröffnet worden, die
zweite in Elsenfeld (im Bürgerhaus) im Juni 2002. Bisher würden 18 Kinder
betreut. In den Gruppen seien 9 Kinder. Das sei ein Platz mehr als i.d.R. in
Tagesstätten ist. Normalerweise befänden sich in der Gruppe 6-8 Kinder. Da der
Bedarf jedoch größer sei, sei man mit neun Kindern pro Gruppe gestartet. Jetzt werde
eine weitere Gruppe benötigt. In Wörth sei ein geeignetes Gebäude gefunden
worden. Dort könnte zeitnah mit einer weiteren Gruppe begonnen werden.
Welche Kinder benötigen die Tagesgruppe?
- schwer erziehbare
Kinder, die häufig auch in der Förderschule seien.
- Kinder, die eine
seelische Behinderung hätten. (Hier könne die Hilfe im Rahmen des § 27 als
Hilfe zur Erziehung aber auch im Rahmen des § 35 a als Eingliederungshilfe
erfolgen)
- Die Kinder seien
i.d.R. zwischen 6 - 13 Jahre alt.
Wann sollten Kinder in einer Tagesstätte aufgenommen werden?
- Wenn ambulante
Maßnahmen nicht ausreichen, aber die familiäre Situation noch intakt sei. Wegen
Letzterem könnten die Kinder jedoch in den Familien bleiben.
- Zur Verkürzung und
zur Fortsetzung stationärer Maßnahmen. Man könne eine stationäre Maßnahme eher
beenden, wenn im Anschluss eine teilstationäre angeboten werde. Zudem werde bei
Zwischenschaltung einer teilstationären Hilfe auch ein vernünftiger Übergang in
die Familie geschaffen.
- Eine
teilstationäre Hilfe sei auch geeignet, wenn Eltern stationäre Hilfen ablehnen.
Da es sich um eine freiwillige Maßnahme handele, sei es allerdings nicht so
einfach sie zu motivieren.
Welche Problemlagen werden behandelt bzw. bedingen eine Aufnahme?
- bei Kindern das
gesamte Störungsspektrum, wie z.B. Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität,
Störung des Sozialverhaltens, Ängste, Phobien, Leistungsverweigerung
- Bei den Eltern;
o unzureichende
Kontrolle und Anleitung durch die Eltern,
o Lücken in der Fähigkeit,
Kinder zu erziehen, oder
o Konflikte im
Elternhaus, die eine Erziehung deutlich beeinträchtigen.
Die Tagesgruppe seien jedoch nicht dafür da, die Betreuung der Eltern zu
ersetzen, weil beide Elternteile berufstätig sind.
Die Tagesstätten hätten vier Zielrichtungen:
- Sie wollen Kinder im Allgemeinen fördern.
- Sie versuchen, die individuellen
Problematiken der Kinder zu bearbeiten, wie z.B. Sozialisationsdefizite,
Entwicklungsrückstände, Verhaltensproblematiken
- Sie versuchen, Ziele im Hinblick auf das
soziale Umfeld zu realisieren. Sie stützen dabei die Familiensituation,
sie beraten die Eltern, sie entlasten die Eltern und sie helfen auch bei
der Integration in das Gemeindeleben.
- Sie fördern die schulische Leistungsfähigkeit
der Kinder, bauen Arbeitsverhalten auf und versuchen, die schulischen
Perspektiven zu verbessern.
Angebote in der TS:
- Gruppenangebote
und Einzelangebote. D.h. es gibt eine Einzelförderung von Einzelkindern oder
Förderung in kleinen Gruppen.
- Arbeit mit den
Eltern: z.B. Informationsgespräche, Hausbesuche, regelmäßige Telefonate, mit
den Eltern die Lehrersprechstunden besuchen, Elternkreis, Hilfeplangespräch.
- In Einzelfällen
ist Elternberatung und Familientherapie möglich.
- In Einzelfällen
sind Eltern-Kind-Spielstunden möglich, da es in der TS auch einen
psychologischen/pädagogischen Fachdienst gibt.
Herr Prof. Adams führt weiter aus, dass bei der evangelischen Jugendhilfe
(Diakonie) in der Vergangenheit eine 4-jährige Untersuchung durchgeführt wurde.
Hierbei wurden Daten der Tagesklinik der Diakonie in Würzburg mit denen der Tagesstätten
verglichen. Interessant sei gewesen, dass 81 % der Kinder der TS bei der
Aufnahme auch eine psychatrische Diagnose gehabt hätten. Das habe man so nicht
erwartet.
Im Unterschied zur Tagesklinik hätten die Kinder der Tagesstätten
insgesamt mehr psychosoziale Probleme. Die Arbeit in den Tagesstätten wirke
sich mehr auf das Familiensystem aus als die Arbeit in der Tagesklinik. Fünf
Punkte der Ergebnisse der empirischen Wirkungsanalyse möchte er explizit
benennen.
- Je früher diese Hilfe in Anspruch
genommen werde, desto höher seien die Effekte. Es komme somit darauf an,
rechtzeitig mit dieser Hilfe zu starten.
- Die Art und Weise der Betreuung, die
Gestaltung der Beziehung sei im Grunde genommen wirksamer als die
Betreuungszeit insgesamt. Also: es habe mehr Einfluss darauf, wie betreut werde
als der zeitliche Umfang.
- Die Art der Pädagogik und die
Inanspruchnahme der psychologischen Intervention hätten einen maßgeblichen
Einfluss auf den Erfolg. Deshalb sei auch immer ein Fachdienst vorhanden.
- Die wichtigste Voraussetzung für den
Erfolg sei die gelungene Kooperation mit dem Kind und den
Hauptbezugspersonen i.d.R. den Eltern.
- Es bestehe ein Zusammenhang zwischen der
Hilfeform und dem Erfolg. Eine Mindestdauer von 24 Monaten erscheine dabei
sinnvoll.
Zusammenfassend sei festzustellen, dass es sich lohne in Tagesstätten zu
investieren. Die positiven Wirkungen seien belegt. Aus seiner Sicht sei es daher
wichtig und auch richtig, wenn der Landkreis in eine weitere Gruppe investiere.
Herr Scherf bedankt sich bei Herrn Prof. Adams für diesen kompakten
Vortrag.
Er verliest den Beschlussvorschlag und weist explizit darauf hin, dass
bisher 962.700 Euro für drei Tagesgruppen im Haushalt eingestellt waren. Mit
Eröffnung einer weiteren Tagesstätte werde sich die Gesamtsumme auf 1,3 Mio.
Euro für das nächste Haushaltsjahr erhöhen.
Nachdem keine Rückfragen bestehen, erfolgt die Abstimmung.