Tagesordnungspunkt

TOP Ö 2: ASD - Aktuelle Herausforderungen

BezeichnungInhalt
Sitzung:28.11.2022   JHA/004/2022 
Beschluss:zur Kenntnis genommen
DokumenttypBezeichnungAktionen

Beschluss:

 

Die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses nehmen die Ausführungen zur Kenntnis.

 


 

Frau Adler erläutert zu diesem TOP.

 

Ein zentraler und wichtiger Tätigkeitsbereich im Jugendamt sei der Allgemeine Soziale Dienst (ASD). Dieser untergliedere sich im Landkreis Miltenberg in zwei Teams und habe seine Dienststelle seit 11/2021 in Obernburg.

 

Die Kernaufgaben des ASD ließen sich im Wesentlichen in vier Bereiche gliedern:

·         Beratung und Betreuung von Kindern, Jugendlichen und Familien

·         Bewilligung und Steuerung der Jugendhilfeleistungen

·         Eingreifende Tätigkeiten

·         Mitwirkung in Verfahren vor dem Familiengericht

Größte Herausforderung im Arbeitsalltag des ASD sei die Doppelfunktion zwischen Hilfen und Begleitung von Familien auf der einen Seite und Kontrolle und Eingriff (Ausübung des staatlichen Wächteramtes) auf der anderen Seite.

 

Im Rahmen der Hilfen zur Erziehung (HzE, §§ 27ff SGB VIII) mit all seinen Angeboten hätten die Erziehungsberechtigten einen subjektiven Rechtsanspruch auf Unterstützung bei der Erziehung. Im Rahmen der Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII) liege dieser Anspruch bei den Kindern und Jugendlichen selbst, um ihnen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Bei allen vorgenannten Pflichtleistungen zur Bereitstellung durch das Jugendamt seien diese dennoch nur als Angebote zu verstehen und oblägen der freiwilligen Annahme und Mitwirkung durch die Anspruchsberechtigten.

Bei der Ausübung des staatlichen Wächteramtes befände sich der ASD dagegen im Zwangskontext als staatshoheitlicher Aufgabe des Jugendamtes zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung. Hier werde mit den Familien beispielweise auf die Inanspruchnahme von Hilfen hingearbeitet und ein Schutzkonzept mit Familie und Sozialem Netzwerk erstellt, um weitere Eingriffe (Herausnahme des Kindes oder des Jugendlichen aus der Familie) zu vermeiden. Sei eine Inobhutnahme gegen den Willen der Personensorgeberechtigen durchzuführen, rufe der ASD das Familiengericht an.

 

Die Jugendhilfe leiste gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag einen Beitrag zur demokratischen Weiterentwicklung der Gesellschaft und sei in Aufgabe und Struktur historisch gewachsen. Ihr Auftrag sei es, den jungen Menschen bei der Verwirklichung seines Rechtes auf Förderung seiner Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu unterstützen. Damit die Jugendhilfe dies leisten könne, bedürfe es einer ausreichenden finanziellen Ausstattung sowie eines angemessenen Instrumentariums für eine ziel- und umsetzungsbezogene Steuerung.

Aktuell stehe der ASD / die Jugendhilfe vor neuen „alten“ Herausforderungen, teilweise bedingt durch externe Einflüsse (z.B.Coronanachwirkungen), wie die Novellierung des SGB VIII, ein erneuter erhöhter Zulauf von umA`s und Veränderung der Bedarfe der Familien. Bei allen Herausforderungen stehe jedoch der Schutz des Kindeswohls im Vordergrund.

 

Zur Optimierung der Steuerung und Ablaufqualität seien im Jugendamt im August 2022 die nach zweijähriger Überarbeitung in einer fachdienstübergreifenden AG überarbeiteten Richtlinien für den Hilfeprozess nach § 27 ff SGB VIII eingeführt worden. Damit gehe auch die verbindliche Verwendung der Fachsoftware OK.JUS für diese Prozesse auf Seiten des ASD und der Zuständigkeitsprüfung auf Seiten der Wirtschaftlichen Jugendhilfe einher. Die fachliche Entscheidung über die Bedarfe und Notwendigkeit von Hilfen und die weitere Steuerung des Hilfeprozesses obliege einzig dem ASD, die Prüfung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit sowie rechtliche Sicherstellung der getroffenen Entscheidungen durch Bescheiderstellung der Verwaltung.

 

Das Arbeitsfeld des ASD sei aber nicht nur durch tägliche Umplanung und Anpassung an Kriseneinschätzungen und Notsituationen gekennzeichnet. Auch gesellschaftliche Entwicklungen wie Fachkräftemangel hinterließen in der Jugendhilfe ihre Spuren. Um hier entgegenzuwirken, würden bereits eigene Nachwuchskräfte im Rahmen des Dualen Studiums ausgebildet.

 

Auch stünden bei den Kooperationspartnern (Freien Trägern) im ganzen Bundesgebiet immer weniger Plätze zur Unterbringung für Kinder und Jugendliche bereit. Insbesondere wenn es um Plätze für die Inobhutnahme zum Schutz des Kindes/Jugendlichen gehe. Hier bedürfe es oft sehr vieler Zeit- und Mitarbeiterressourcen, bis ein Platz gefunden werde. Eine geschlossene Unterbringung sei fast unmöglich. Bei 20 Anfragen für einen Platz bekomme der ASD teilweise 20 Absagen.

 

Ziel sei es, die Standards und Qualität, sowie Quantität weiterhin voranzubringen. Um hierbei auch den notwendigen Personalbedarf transparent steuern zu können, empfehle es sich, hierfür PeB einzusetzen. Gleichzeitig seien mit der Reform des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes weitere gesetzliche Aufgaben auf die Fachdienste des Jugendamtes, insbesondere auch den ASD, zugekommen. Um diesen gerecht zu werden und gleichzeitig Qualität, Rechtssicherheit und Steuerungsimpulse richtig setzen zu können, sei es wichtig gewesen, im ASD eine Teamleitung zu etablieren.

 

Herr Scherf bedankt sich für den Überblick der vielschichtigen Arbeit im ASD und betont die Wichtigkeit einer professionellen Begleitung der Arbeit durch die Teamleitung in einem Spannungsfeld von einerseits Beraten und Begleiten auf Vertrauensbasis und andererseits von Kontrolle und Eingriffen zum Schutz des Kindes.

 

Im Rahmen der anschließenden Diskussion wird der Fachkräftemangel weiter erörtert. Während im ASD aktuell nur eine Stelle unbesetzt sei, treffe dies, wie Herr Rätz erläutert, die freien Träger viel stärker als die amtlichen, die keine Schichtarbeit hätten. Bundesweit führe dies dazu, dass die Träger Gruppen zu machen bzw. keine neuen aufmachen, sodass Kinder, die in Obhut zu nehmen seien, nicht untergebracht werden können. Dies bedinge, dass bundesweit zig Einrichtungen (mit zig Absagen) angefragt werden müssten, bis eine Unterbringung realisiert werden könne. Bei einem Fall in München habe die Suche eine Woche gedauert. Er betrachte diese allgemein zunehmende Entwicklung mit großer Sorge: denn was passiere, wenn die Herausnahme eines Kindes zum Kindeswohl erforderlich, aber keine Unterbringungsmöglichkeit mehr vorhanden sei? Im Landkreis Miltenberg seien diese Auswirkungen spürbar, würden aber derzeit noch durch eine hohe Anzahl an Pflegefamilien abgefedert.

Hinzu kämen wieder die steigenden Zahlen an regulären unbegleiteten minderjährigen Ausländer:innen auf der Flucht. Innerhalb Bayerns sei der Landkreis Miltenberg hinsichtlich der Aufnahme von umA´s am 30.08.2022 auf Platz 70 gelegen. Dies bedeutete damals, dass noch 496 umA´s nach Bayern hätten einreisen können, bevor der Landkreis Miltenberg zur Aufnahme verpflichtet gewesen wäre. Einen Monat später habe der Landkreis am 30.09.2022 auf Platz 47 und wieder einen Monat später am 31.10.2022 aufgrund ansteigender umA-Zahlen plötzlich auf Platz 1 gelegen. Zudem sei Bayern entgegen den noch Mitte Oktober mitgeteilten Absichten des Freistaates, zum 01.11.2022 hinsichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen 100 % Versorgung zu erreichen und damit Abgeberland zu werden, aufgrund des Zugrundelegens von unterschiedlichen Zahlen zwischen Bund und Ländern bei entsprechenden Abfragen zur Berechnung der Flüchtlingsverteilung aber weiterhin Aufnehmerland gewesen. Somit habe der Landkreis Miltenberg diesen Monat 7 umA´s aufnehmen müssen, deren Unterbringung dank guter Zusammenarbeit und sehr viel Entgegenkommen organisiert werden konnte. Bei den umA´s handele es sich aktuell nicht mehr nur um junge männliche Heranwachsende, sondern zunehmend um 11-14-Jährige, die allein einreisen und aufgrund während der Flucht bzw. vorher in ihrem Herkunftsland belastende Erfahrungen gemacht haben.

Aufgrund der allgemeinen Entwicklungen (Fachkräftemangel, Schließung von Gruppen, Zumachen von Einrichtungen nach der Flüchtlingskrise 2015) sei damit zu rechnen, dass anstelle einer stationären Unterbringung künftig Zimmer/Pensionen angemietet werden müssen, um überhaupt eine Unterbringung zu gewährleisten und als Notmaßname eine ambulante Betreuung angeboten werde.

 

Herr Scherf ergänzt, dass Träger, welche in der Flüchtlingskrise Angebote für umA´s geschaffen hätten, diese später wegen ausbleibender umA´s zurückfahren mussten. Die Bereitstellungskosten hätten nur im Zuge von Abschreibungen bewältigt werden können. Der Landkreis sei daher jedem Träger dankbar, der wieder entsprechende Unterstützung anbiete.

Herr Scherf sagt dem Träger der Diakonie Dank, die nach Bekunden von Herrn Prof. Dr. Adams mittlerweile wieder 100 stationäre Plätze eingerichtet habe. In der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 seien es 300 Plätze gewesen. Es seien noch Strukturen vorhanden, die ausgebaut werden könnten. Auch sei die Diakonie ein zuverlässiger Partner für Vermieter gewesen. Die Miete sei immer direkt geflossen und die Gebäude seien in ordentlichem Zustand zurückgegeben worden, so dass er (Herr Adams) die Hoffnung habe, dass die jetzige Flüchtlingswelle durch einen raschen Ausbau der Strukturen wieder bewältigt werden könne. Auch sehe er eine große Bereitschaft von Arbeitssuchenden – ca. 100 Mitarbeiter werden gesucht -, in diesen Bereich der Betreuung neu oder wieder einzusteigen.

 

Herr Scherf fasst zusammen und appelliert angesichts des Fachkräftemangels, der steigenden psychischen Bedarfe junger Menschen infolge der Pandemie und der zunehmenden Anzahl an flüchtenden Menschen an die Solidarität aller und hofft, dass die Menschen die Problematiken mitanpacken wollen.

 

 

 

 

© 2011 Landratsamt Miltenberg | Brückenstr. 2 | 63897 Miltenberg | Tel: 09371 501-0
Fernwartung