Tagesordnungspunkt
TOP Ö 5: Antrag: Evaluation bestehender Projekte für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder
Bezeichnung | Inhalt |
---|---|
Sitzung: | 14.03.2022 BKS/005/2022 |
Beschluss: | zur Kenntnis genommen |
Dokumenttyp | Bezeichnung | Aktionen |
---|
Beschluss:
Die Mitglieder des Ausschusses nehmen die Ausführungen zur Kenntnis.
Frau Grote, Gleichstellungsbeauftragte,
berichtet aufgrund des Antrages von Herrn Adrian zu bestehenden First- und
Second-Stage Projekten für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder gemäß
Präsentation. Hierbei wird auf die jeweiligen Fragestellungen eingegangen.
Frage 1: Wie viele Plätze
für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder gibt es derzeit in den
Einrichtungen im Landkreis Miltenberg bzw. am Bayerischen Untermain?
Im Frauen- und Kinderschutzhaus der AWO
Aschaffenburg gibt es für den Bayerischen Untermain 11 (Schutz-)Plätze für
Frauen und 11 (Schutz-)Plätze für Kinder. Hiervon entfallen 2 Plätze auf die
Stadt Aschaffenburg, 5 Plätze auf den Landkreis Aschaffenburg und 4 Plätze auf
den Landkreis Miltenberg. Die Anzahl der Schutzplätze orientiert sich dabei an
der Einwohnerzahl von Frauen im Alter zwischen 18 und 60 Jahren, wobei
entsprechend der Empfehlung des Bayerischen Staatsministeriums pro 10.000
Einwohnerinnen in der genannten Altersspanne ein Frauenhausplatz bereitgestellt
werden soll.
Frage 2: Wie war die Auslastung der
Plätze seit Beginn 2020 (nach Monaten gestaffelt)?
Die Auslastung betrug:
Monat |
Auslastung Frauen in % |
Auslastung Kinder in % |
Auslastung gesamt in % |
Januar 2020 |
82,40 |
98,24 |
90,32 |
Februar |
88,09 |
102,19 |
95,14 |
März |
90,62 |
94,43 |
92,52 |
April |
99,09 |
108,18 |
103,64 |
Mai |
96,48 |
103,81 |
100,15 |
Juni |
95,76 |
109,70 |
102,73 |
Juli |
96,48 |
106,74 |
101,61 |
August |
97,07 |
91,20 |
94,13 |
September |
93,89 |
88,18 |
90,91 |
Oktober |
95,89 |
73,02 |
84,46 |
November |
96,36 |
62,42 |
79,39 |
Dezember |
99,12 |
77,13 |
88,12 |
|
|
|
|
Januar 2021 |
100 |
90,91 |
95,45 |
Februar |
99,68 |
95,45 |
97,56 |
März |
96,48 |
85,63 |
91,06 |
April |
98,18 |
83,03 |
90,61 |
Mai |
94,43 |
87,10 |
90,76 |
Juni |
93,33 |
87,58 |
90,45 |
Juli |
85,92 |
83,58 |
84,75 |
August |
80,35 |
86,80 |
83,58 |
September |
73,64 |
85,15 |
79,39 |
Oktober |
82,99 |
81,82 |
82,40 |
November |
79,70 |
69,09 |
74,39 |
Dezember |
78,30 |
88,58 |
85,84 |
2020:
6,35% aller belegten Frauenplätze und 5,94% aller Kinderplätze waren von Frauen
und Kindern aus dem Landkreis Miltenberg belegt.
2021: 21,05% aller belegten
Frauenplätze und 10,95% aller Kinderplätze waren von Frauen und Kindern aus dem
Landkreis Miltenberg belegt.
Frage 3: Gibt es Plätze für Frauen mit
besonderen Bedürfnissen (z.B. Behinderung, Fluchthintergrund, Suchterkrankung,
Obdachlosigkeit etc.) und wenn ja, wie viele? Wie viele Frauen mussten aufgrund
eines bestimmten Bedürfnisses abgewiesen werden?
Im Frauen- und Kinderschutzhaus für den
Bayerischen Untermain gibt es keine gesondert ausgewiesenen Plätze für
besondere Bedürfnisse. Frauen mit unterschiedlichsten Problemlagen werden
aufgenommen (Fluchterfahrungen, kognitiven Beeinträchtigungen, körperlichen
Beeinträchtigungen, psychischen Auffälligkeiten oder Erkrankungen,
Suchterkrankte Frauen, Frauen ohne Deutschkenntnisse, von Obdachlosigkeit
bedrohte Frauen).
Vorrangig
muss die Betroffenheit von häuslicher Gewalt vorliegen.
Nicht
aufgenommen werden können
- aufgrund
der Richtlinien zur Finanzierung von Frauenhäusern:
- Frauen die „nur“ obdachlos
sind
- aufgrund
der Wohnsituation als Wohngemeinschaft und fehlendem Fachpersonal:
- Frauen/Kinder mit akutem
psychiatrischen Behandlungsbedarf
- Frauen/Kinder mit einem
akuten Suchtproblem
- Frauen/Kinder die keine Treppe
gehen können
- Männliche Jugendliche über
15 Jahre
- Haustiere
Auf Nachfrage erläutert Frau Grote, dass Frauen,
denen die Aufnahme aus den vorgenannten Gründen verweigert werde, an Frauen-
und Kinderschutzhäuser in ganz Bayern verwiesen werden können. Über die
Online-Plattform www.frauenhaus-suche.de sei auch herauszufinden, welches
Frauenhaus bei den vorgenannten Problematiken in ganz Deutschland verfügbar
sei.
Frage 4: Wie viele Anfragen nach einem
Platz gab es, und wie viele gewaltbetroffene Frauen mussten seit Beginn 2020
(nach Monaten gestaffelt) insgesamt abgewiesen werden?
Hierzu stellt Frau
Grote folgende Übersicht vor:
2020 |
Jan |
Feb |
Mär |
Apr |
Mai |
Jun |
Jul |
Aug |
Sep |
Okt |
Nov |
Dez |
ges |
Anfragen |
14 |
27 |
11 |
10 |
12 |
11 |
14 |
17 |
19 |
19 |
13 |
14 |
181 |
Ablehnung wegen voll |
0 |
2 |
2 |
5 |
5 |
4 |
7 |
10 |
11 |
11 |
8 |
8 |
73 |
Ablehnung, da nicht aus
Bayern (20%) |
2 |
6 |
1 |
0 |
0 |
3 |
2 |
2 |
0 |
0 |
0 |
0 |
16 |
Ablehnung, da zu viele/zu
wenig Kinder |
1 |
4 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
2 |
1 |
0 |
0 |
8 |
andere Gründe |
1 |
0 |
0 |
0 |
0 |
1 |
1 |
0 |
1 |
0 |
0 |
0 |
4 |
Vermittlung in ambulante
Angebote |
0 |
3 |
2 |
1 |
3 |
1 |
0 |
1 |
3 |
2 |
3 |
1 |
20 |
Vermittlung in stationäre
Angebote |
1 |
8 |
2 |
3 |
2 |
3 |
5 |
4 |
8 |
6 |
3 |
2 |
47 |
Ablehnung, da keine
Gewalt erkennbar ist |
4 |
0 |
1 |
2 |
2 |
0 |
2 |
1 |
0 |
3 |
1 |
3 |
19 |
Psychische Krankheit im
Vordergrund |
3 |
2 |
0 |
0 |
2 |
1 |
0 |
0 |
1 |
0 |
0 |
1 |
10 |
Ablehnung von Frau/kommt
nicht |
1 |
1 |
1 |
0 |
1 |
0 |
0 |
2 |
0 |
0 |
0 |
0 |
6 |
22 Anfragen kamen im Jahr 2020 aus dem Landkreis Miltenberg.
Frau Grote erläutert für den Fall, dass
Frauen wegen vollständiger Belegung des Frauenhauses (2020: 73 Personen) Vorort
abgelehnt werden müssten, dennoch eine intensive Beratung mit dem Ziel erfolge,
den betroffenen Frauen aufgrund ihrer persönlichen, evtl. risikobehafteten
Begleitumstände die bestmögliche Unterstützung zukommen zu lassen (Polizei,
Krisendienst o.ä.). Gegebenenfalls ergebe sich auch eine Vermittlung in andere
Frauenhäuser.
Für 2021 stellt sich die Situation wie
folgt dar:
2021 |
Jan |
Feb |
Mär |
Apr |
Mai |
Jun |
Jul |
Aug |
Sep |
Okt |
Nov |
Dez |
ges |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Erstanfragen |
10 |
19 |
18 |
6 |
16 |
20 |
13 |
23 |
15 |
20 |
12 |
13 |
185 |
alle Ablehnungen Wegen voll |
8 |
4 |
1 |
2 |
2 |
5 |
0 |
0 |
1 |
9 |
3 |
1 |
36 |
Ablehnung, da nicht aus Bayern (20%) |
0 |
0 |
1 |
0 |
2 |
1 |
4 |
6 |
4 |
2 |
1 |
2 |
23 |
Ablehnung, da zu viele/zu wenig Kinder |
0 |
1 |
1 |
0 |
2 |
4 |
2 |
7 |
5 |
1 |
0 |
0 |
23 |
andere Gründe |
0 |
4 |
5 |
0 |
1 |
0 |
1 |
0 |
1 |
1 |
1 |
0 |
14 |
Ablehnung, da keine Gewalt erkennbar ist |
0 |
1 |
2 |
1 |
1 |
3 |
1 |
3 |
0 |
1 |
0 |
0 |
13 |
Psychische Krankheit im Vordergrund |
0 |
1 |
0 |
0 |
1 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
1 |
3 |
Ablehnung von Frau/kommt nicht |
0 |
0 |
3 |
0 |
3 |
0 |
0 |
0 |
1 |
1 |
1 |
5 |
14 |
30 Anfragen
kamen im Jahr 2021 aus dem Landkreis Miltenberg.
Frage 5: Wie lange war die Verweildauer
der Frauen und ihrer Kinder im Frauenhaus?
Im Jahr 2002 betrug die
durchschnittliche Verweildauer 100 Tage; 2021 betrug diese 74 Tage. Hierbei
handelt es sich um Durchschnittswerte.
Es gab Frauen, die nur wenige Tage
blieben und Frauen, die über 1 Jahr im Haus wohnten.
Frage 6: Besteht ein Zusammenhang
zwischen der Verweildauer im Frauenhaus und der (fehlenden) Möglichkeit, nach
dem Aufenthalt eine Wohnung ohne den Ex-Partner zu beziehen?
Die Verweildauer im Frauenhaus hängt
von mehreren Faktoren ab. Bevor eine Frau eine neue eigene Wohnung beziehen
kann, sollte sie psychisch stabil sein.
Destabilisierende Faktoren können sein
-
Kontakte zum Täter durch
Umgangskontakte von Vater und Kinder
-
Weitere Bedrohungen durch den
Täter
-
Unsichere finanzielle Lage
-
Unsichere Aufenthaltstitel
-
Körperliche oder psychische
Probleme
-
Erziehungsschwierigkeiten
-
Gerichtsverhandlungen
Zusätzliche Problematik
-
angespannte Lage am Wohnungsmarkt,
wenig bezahlbarer Wohnraum
-
geringe Bereitschaft bei privaten
Vermietern (z. B. Frauen ohne Arbeit, mit Kindern, geringen Deutschkenntnissen)
-
Sofern keine Schulden vorhanden
sind, bleiben in der Regel nur große Wohnungsbaugesellschaften als
Wohnungsgeber
Frage 7: In wie vielen
Fällen gab es die Möglichkeit, eine sogenannte Second-Stage-Wohnung zu beziehen
und welcher Bedarf besteht an solchen Wohnungen im Vergleich zum Angebot?
Welche Wohnungsbaugesellschaften oder Sozialträger bieten
Second-Stage-Wohnungen an und wie viele? Wie viele Anträge von Frauen mussten
seit Beginn 2020 abgelehnt werden (gestaffelt nach Monaten)?
Second-Stage-Angebote sollen
der Entlastung herkömmlicher Schutzhäuser dienen. Dort sollen weniger
gefährdete Frauen und Kinder untergebracht werden, oder Frauen die
„auszugsfähig“ sind, aber noch keine Wohnung gefunden haben.
Problematisch aus Sicht der Frauenhäuser
- ... lediglich eine
Auslagerung und zeitliche Verschiebung der Grundproblematik – Mangel an
bezahlbarem Wohnraum
- ... ebenfalls nur eine
weitere „Zwischenlösung“
Am Bayerischen Untermain gibt es keine
Second-Stage-Wohnungen. Der Bedarf an Second-Stage-Angeboten wird am
Bayerischen Untermain als eher gering eingestuft.
Frage 8: Wie viele Frauen,
die einen Platz im Frauenhaus beantragen, sind zunächst auf Sozialleistungen
angewiesen, um ein Leben unabhängig vom Ex-Partner führen zu können?
Nahezu alle Frauen sind
zunächst auf Sozialleistungen angewiesen. Häufig können nur Frauen mit einem
Arbeitsplatz in der Stadt Aschaffenburg oder einem eigenen Pkw ihren
Arbeitsplatz halten. Viele Frauen haben bereits vor der Aufnahme ins Schutzhaus
keinen Arbeitsplatz. Neben Leistungen des Jobcenters können auch Leistungen
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Grundsicherung (Sozialamt), Renten, ALG
I, Kindergeld, Elterngeld, Unterhalt oder Leistungen nach dem
Unterhaltsvorschussgesetz in Frage kommen.
Frage 9: Bietet das
Jobcenter in Miltenberg speziell auf die Bedürfnisse von gewaltbetroffenen
Frauen ausgerichtete, barrierearme Beratung und Unterstützungsmöglichkeiten an?
Gibt es diesbezüglich geschulte Mitarbeiter*innen?
Das Schutzhaus befindet sich
im Stadtgebiet Aschaffenburg, somit ist es für alle Bewohnerinnen das Jobcenter
der Stadt zuständig. Da die beantragten Leistungen zum Teil Bundesleistungen und
kommunale Leistungen sind, erfolgt bei den kommunalen Leistungen ein Ausgleich
der Geldleistungen, insofern die Frauen ihren Wohnsitz im Landkreis Miltenberg
haben.
Bei den Vermittlern und
Sachbearbeitern gibt es ein angemessenes Grundverständnis für die Situation der
gewaltbetroffenen Frauen. Es gibt keine gesondert abgestellten Mitarbeiter für
die Bewohnerinnen des Frauenhauses weder im Jobcenter Aschaffenburg noch im
Jobcenter Miltenberg.
Das Jobcenter Miltenberg ist wie folgt
aufgestellt:
Zwei Teams mit 17 Beratungsfachkräfte
„Markt und Integration“ (verschiedene Spezialisierungen und Zuständigkeitsbereiche).
Es kommt in Beratungssituationen vor, dass Frauen, die von Gewalt betroffen
sind, sich dahingehend äußern bzw. Signale darauf hinweisen. Die
Berater*innen sind vertraut mit Problemlagen, die ihre Arbeit betreffend daraus
hervorgehen (Kindeswohlgefährdung/ASD, Gewalterfahrung/Frauenhaus und/oder
Polizei, Generieren eines eigenen Anspruchs auf ALG II).
Bei einem der beiden Teamleiter ist die
Querschnittsaufgabe BCA (Beauftragter für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt)
angegliedert. Aufgaben des BCA sind u.a.
·
Kenntnis der
Strukturen des Frauenhauses AB (Jahresberichte)
·
Informiert über
Dienstbesprechungen die Berater*innen, kommuniziert chancengleichheitsrelevante
Themen
·
Rückversicherung der
Berater*innen über BCA, wie auch Beratungsangebot durch BCA bei Bedarf
·
Jährlich zwei Termine
Bayernnetzwerk BCA (Info/Austausch)
·
Ansprechpartner der
JVA
Frage 10: Welche konkreten Planungen
gibt es für die nächsten vier Jahre zur Verbesserung der Situation?
- Bei den jährlichen
Gesprächen der Gebietskörperschaften mit dem Leitungsteam des Frauen- und
Kinderschutzhauses, wurde bislang kein weitergehender Bedarf an Schutzplätzen
festgestellt.
- Während der Pandemie
gab es keinen Anstieg hinsichtlich der Nachfrage nach Schutzplätzen im
Frauen- und Kinderschutzhaus.
- Aktuell gibt es am
Bayerischen Untermain eine Fachberatungsstelle (SEFRA e.V.) und ein
Schutzhaus für Frauen und deren Kinder.
- Proaktive Beratung
wird angeboten (AWO Aschaffenburg), ist aber an die Vermittlung durch die
Polizei gebunden.
- IN VIA Aschaffenburg
bietet betreutes Wohnen für Frauen an.
- Zum
Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen gehören auch Angebote für
gewalttätige Täter/Männer. Unterfrankenweit gibt es eine Fachstelle mit
zwei Teilzeitkräften. Aufgrund der Stellenausstattung können derzeit nur
in Würzburg Beratungen angeboten und Gruppenangebote gemacht werden.
Herr Härtel merkt an, dass in den gesamten
Statistiken keine Fälle erfasst sind, in welchen die Männer durch das Gericht
der Wohnung verwiesen werden und die Frauen mit ihren Kindern bleiben können.
Diese Situation sei für die Kinder manchmal besser, da sie aus ihrem gewohnten
Umfeld nicht herausgerissen werden. Allerdings komme dies nur in Einzelfällen
wie z.B. einer Bedrohung oder Gefährdung durch den Partner oder Kindsvater vor.
Herr Scherf weist abschließend darauf hin, dass die
ausführliche Behandlung des vorliegenden Antrags dem hochinteressanten
Themenkomplex Frauenhaus und den möglichen Verzahnungen geschuldet sei, über
welche bislang selten im Ausschuss gesprochen worden sei. In diesem
Zusammenhang sei grundsätzlich festzuhalten, dass viele Fragestellungen in Anträgen
zwar schnell zu Papier gebracht sind, aber mit einer enormen Recherche durch
die Verwaltung verbunden sein können und diese damit sogar blockiert werden
könnte. Sie sollten daher in diesem Umfang nicht zur Regel werden.