Tagesordnungspunkt

TOP Ö 1: Bericht der BIGE: Informationen zur Extremismussituation im Landkreis Miltenberg sowie zu den Beratungsangeboten

BezeichnungInhalt
Sitzung:07.03.2022   KT/007/2022 
Beschluss:einstimmig beschlossen
Abstimmung: Ja: 53, Nein: 0
DokumenttypBezeichnungAktionen

Einstimmiger Beschluss

 

Der Kreistag nimmt die Informationen zur Lage des Extremismus und zu den Angeboten der bayerischen Informations- und Beratungsstelle BIGE zur Kenntnis.

Ein Meldeportal bezüglich des Rassismus und Extremismus im Landkreis Miltenberg wird vorerst nicht eingerichtet. Stattdessen wird die Verwaltung beauftragt, in Abstimmung mit der BIGE ein Konzept zu erarbeiten und umzusetzen, um das Angebot der BIGE im Landkreis Miltenberg niedrigschwellig zu kommunizieren.


Vor Einstieg in die Tagesordnung nutzt Landrat Scherf die Gelegenheit zu einer kurzen Ansprache aufgrund der aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt:

 

Aus Respekt und Achtung vor dem Leid der Menschen in der Ukraine möchte er auf die Situation der Menschen in der Ukraine sowie der auf der Flucht befindlichen Menschen hinweisen. Das Leid, welches der - durch nichts, auch nur ansatzweise zu rechtfertigende - Krieg gegen die Ukraine bei den Menschen verursacht, macht alle extrem betroffen. Er ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht und gegen das Wertefundament, welches geprägt ist vom Wert des Friedens, der Freiheit der Menschen und den Prinzipien der Menschlichkeit.

 

Der Bundespräsident hat anlässlich der 17. Bundesversammlung treffende und klare Worte an den russischen Despoten gerichtet und Präsident Putin davor gewarnt, die Stärke der Demokratie zu unterschätzen. Denn die Demokratie ist stark, weil sie getragen wird von ihren Bürgerinnen und Bürgern.

 

Diese Stärke der Demokratie und Freiheit sieht man an dem unvorstellbar starken Freiheits- und Überlebenswillen der Menschen in der Ukraine. Die Stärke der Demokratie und dass sie von den Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands getragen wird, spiegelt sich in dem unfassbar großen Engagement wider. Herr Scherf ist dankbar für die große Einsatz- und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung und die große Solidarität mit den vom Krieg betroffenen Menschen, gerade auch im Landkreis Miltenberg.

 

Er erlebt eine große Unterstützungsbereitschaft, auf welche man in der vergangenen Woche beim Aufbau der Strukturen für die Aufnahme flüchtender Menschen bereits wieder bauen konnte und in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten dringend bauen wird. Er weiß, dass viele Kreisrätinnen und Kreisräte selbst anpacken mit konkreter Hilfe und viele im Vorfeld erklärt haben, ihr Sitzungsgeld spenden zu wollen. Viele werden die nächste Auszahlung am Ende des Quartals dazu nutzen und den internationalen Hilfsorganisationen spenden. Daher dankt Herr Scherf für die auf vielfältige Weise gelebte Solidarität.

 

Weitere Informationen zur Hilfeleistung des Landkreises Miltenberg in Abstimmung mit dem polnischen Partnerlandkreis Legionowo für Landkreise in der Ukraine gibt er am Ende der Sitzung.

 

Neben der Hilfsbereitschaft und Solidarität ist es unerlässlich, dass so viele Menschen in Europa wie mutige Bürgerinnen und Bürger in Russland aufstehen gegen diesen grausamen Krieg gegen die Menschen in der Ukraine und durch ihre Standhaftigkeit und ihre großherzige Hilfsbereitschaft einstehen für die Werte der Freiheit, des Friedens und der Menschlichkeit.

 

Nur wenn alle für die Werte einstehen und aufstehen, werden diese Werte auch in Zukunft bestehen. Dies braucht alle gemeinsam, denn Demokratie und Freiheit werden getragen von den Menschen.

 

Herr Scherf bittet darum, gemeinsam aufzustehen und für einen Moment zu schweigen im Gedenken an die Verstorbenen und an all die Menschen voller Angst und Not, sowohl auf der Flucht als auch in der unmittelbaren Not im Krieg.

 

                                                --- Moment des Schweigens ---

 

Herr Bohnhoff stellt eine Anfrage zur Tagesordnung. Er möchte wissen, warum der TOP 1 nö nicht im öffentlichen Teil der Sitzung behandelt wird.

 

Herr Scherf bestätigt, dass der TOP im EBV sowohl im öffentlichen als auch im nichtöffentlichen Teil vorberaten wurde. Der Grundsatzbeschluss, dass eine Ausdehnung des AufAchse-Tickets gewünscht ist, erfolgte im öffentlichen Teil. Der Beschluss mit der Vergabe und evtl. Ausgleichszahlungen betrifft unternehmensinterne Kalkulationen und erfolgte daher im nichtöffentlichen Teil. Er schlägt als Kompromiss vor, im TOP 3 ö Radverkehrskonzept/Mobilität zu erläutern, was die Ausweitung des AufAchse-Tickets grundsätzlich bedeutet.

 

Der Vorschlag von Landrat Scherf findet allgemein Zustimmung.

 

Herr Scherf verliest einführend zu TOP 1 den im Kreisausschuss am 4.10.2021 erfolgten Beschluss:

 

Der Kreisausschuss hat am 4.10.2021 beschlossen:

1.    Der Kreistag wird über die Situation von Rassismus und Extremismus anhand eines Lageberichts der bayerischen Informations- und Beratungsstelle BIGE informiert.

2.    Auf der Grundlage des Informations- und Beratungsangebots der bayernweiten Beratungsstelle BIGE berät der Kreistag über die Notwendigkeit eines zusätzlichen Meldeportals bezüglich des Rassismus und Extremismus im Landkreis Miltenberg.

Hintergrund ist ein Antrag von Andreas Adrian, Kreisrat, Die Linke, sowie Mattis Fischmann, Kreisrat, Bündnis 90/Die Grünen, Thomas Becker, Kreisrat, Freie Wähler, Hans-Jürgen Fahn, Kreisrat, ödp, Regina Frey, Kreisrätin, ödp, Uli Frey, Kreisrat, ödp zur Einrichtung eines Meldeportals bezüglich des Rassismus und Extremismus im Landkreis Miltenberg.

1.      Die Kreisverwaltung möge ein Meldeportal auf der Website einrichten, welches das mögliche Ausmaß des in der Region vorhandenen Rassismus und Extremismus klären soll.

Der Kreisausschuss folgte mit seinem Beschluss vom 4.10.2021, zur Beurteilung der Notwendigkeit einer landkreisweiten Meldestelle zunächst die Ressourcen des Freistaates Bayern zur Erfassung, Bekämpfung und Prävention von Extremismus in all seinen Formen zu betrachten. Hierzu gibt es in Bayern mit der BIGE eine Informations- und Beratungsstelle der Bayerischen Staatsregierung. Diese betreibt landesweit Präventionsarbeit gegen Rechts- und Linksextremismus, verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit sowie die Reichsbürger- und Selbstverwalterbewegung.

Nach dem Bericht durch die BIGE zur Extremismus-Situation im Landkreis Miltenberg und zu den Beratungs- sowie Präventionsangeboten soll der Kreisausschuss über den ursprünglichen Antrag und einen möglichen Handlungsbedarf auf Ebene des Landkreises Miltenberg beraten.

 

Frau Fischer, BIGE, führt durch die Präsentation. Abschließend richtet sie einen Appell an die Mitglieder des Kreistages: Jeder weiß, wogegen er ist. Es ist aber auch ganz wichtig zu sagen, für was man ist. Auf jeden Fall für die Demokratie. Diese ist schwierig und anstrengend, aber auch unschätzbar wertvoll. Sie wünscht sich, dass niemand müde wird in dem Engagement für die Demokratie.

Herr Scherf ruft zur inhaltlichen Befassung mit dem Antrag auf Installierung eines Meldeportals im Landkreis Miltenberg auf. Die BIGE wurde als Profi zum Thema Extremismus eingeladen. Diese erfassen die Meldungen bayernweit, um ein verlässliches Lagebild zum Extremismus zu haben durch das Landesamt für Verfassungsschutz, und bieten durch die Beratungsstelle gegen Extremismus bayernweit ein umfassendes Informations- und Beratungsangebot an.

 

Herr Adrian als einer der Antragssteller erläutert die Hintergründe: Es lagen persönliche Gründe für die Antragstellung vor. Ihm ist eine von der Polizei unabhängige Meldestelle wichtig. Er selbst erhielt auf Facebook eine Nachricht von einem Rechtsextremisten aus seinem Ort. Dieser schrieb ihn mit Klarnamen an und hat nachweislich versucht, die Adresse von Herrn Adrian in anderen Gruppen in Erfahrung zu bringen. Der Rechtsextremist hat ihm eine sehr deutliche Drohung übermittelt mit den Worten, dass er bei ihm vorbeikommen wird und man dann sieht, ob Herr Adrian dann „immer noch so groß ist“ und dass „er schon verloren hat“. Herr Adrian hat dies der Polizei übermittelt. Die Aussage des Polizisten lautete, dass Herr Adrian warten muss, bis der Bedroher bei ihm vor der Tür steht und erst dann die Polizei jemanden in die Nähe entsenden kann. Der Fall wurde nirgends dokumentiert und eingereicht. Er verweist auf eine Recherche des Online-Magazins Katapult, die ergeben hat, dass in sehr vielen Orten innerhalb Deutschlands sogenannte völkische Landnahme passiert. Das heißt, dass in diese Ortschaften rechtsextremistische Personen gezielt hinziehen, um dort Strukturen aufzubauen. In dem Schaubild war ein Punkt im südlichen Teil des Landkreises Miltenberg ersichtlich. Er fragt nach regional verlässlichen Daten, die auch unabhängig von Meldungen bei der Polizei oder privaten Recherchen erhoben werden.

Frau Fischer verweist darauf, dass die BIGE nicht die Polizei und nicht das Landesamt für Verfassungsschutz ist. Wenn sich Bürger*innen an die BIGE wenden, dann bezüglich Aussteiger, Erkenntnismitteilung oder Erkenntnisanfrage als niedrigschwelliges Angebot. Es muss kein Straftatbestand vorliegen. Dies prüft die BIGE auch nicht. Sollte man mit der Erkenntnismitteilung nicht bei der BIGE richtig sein, verweist die BIGE weiter. Dies ist ein großer Teilbereich der BIGE. Aber auch, wenn beispielsweise Informationen benötigt werden für bestimmte Gruppierungen, was dahintersteckt, ob es eine neue Partei gibt (wie zum Beispiel die Neue Stärke Partei), gibt man die entsprechende Antwort und zeigt die Erscheinungsform und die Erkennbarkeit auf. Die Anfragen werden nicht kleinteilig nach Region unterteilt. Bezüglich der Landnahmen ist Frau Fischer aus den Beratungen von Kommunen in 2022 bzw. 2021 retrograd nichts bekannt. Dies soll allerdings nicht heißen, dass es diese nicht gibt. Wenn dies im Landkreis Miltenberg der Fall wäre, geht sie davon aus, dass man es hier vor Ort auch weiß. Wenn Landnahmen erfolgen, heißt das auch, dass Grundstücke an jemanden verkauft oder verpachtet werden. Wenn man dann im Nachgang zu der Verpachtung oder Verkauf teilweise etwas seltsam anmutende Dinge feststellt, dann geht Frau Fischer von einem Austausch aus. Daher ist es ein gutes Zeichen, wenn allen Anwesenden diesbezüglich nichts bekannt ist. Man kann natürlich gerne auf die Sicherheitsbehörden zugehen und auch jederzeit eine Pressefrage an die Polizei oder das Amt für Verfassungsschutz richten oder eine eigene Fraktionsanfrage stellen.

Herr Scherf dankt Herrn Adrian für die Schilderung seiner persönlichen Betroffenheit. Es ist wichtig zu verstehen, was die Motivation hinter dem Antrag aus. Und auch, um beispielhaft zu verdeutlichen, was mit jemanden passiert, der von extremistischen Kräften bedroht wird. Daher versteht Her Scherf grundsätzlich auch die Motivation und die Idee, die Herr Adrian zu diesem Meldeportal hatte. Herr Scherf hat diesbezüglich aber Zweifel. Wenn man ein landkreisweites Meldeportal einrichtet, dann erhält man darüber keine objektiven Daten, da nicht alle Betroffenen diese zusätzliche Möglichkeit auch nutzen. Der Betroffene geht aber vielleicht eher zu BIGE oder zur Polizei und holt sich dort Hilfe. Dann fehlt die Motivation, dies noch über das Meldeportal zu tun. Somit entsteht kein verlässliches Lagebild. Des Weiteren muss sich bei einem bestehenden Meldeportal jemand fachkundig um die eingehenden Meldungen kümmern. Somit werden dafür geschulte Expert*innen benötigt. Daher schlägt Herr Scherf als sinnstiftendere Alternative vor, dass der Landkreis bereits bestehende Beratungsangebote, zum Beispiel seitens der BIGE, deutlich stärker und besser öffentlich bewirbt. Bei Einverständnis der BIGE kann gerne eine Vernetzung mit der Homepage des Landratsamtes erfolgen. Damit die Bürger*innen des Landkreises eine Informationsseite haben, der sie entnehmen können, an wen sie sich bei Beratungs- und Gesprächsbedarf wenden können. Dort kann man professionelle Hilfe finden und der Landkreis muss nicht neue Strukturen aufbauen, die bereits durch ein bayernweites Angebot gegeben sind. Herr Scherf versichert, wenn der Verfassungsschutz Hinweise hat, dass sich im Landkreis Miltenberg etwas abzeichnet, dann wird gehandelt. Im Idealfall merkt man in der Öffentlichkeit gar nichts davon, weil zum Beispiel Eigentumserwerb durch Rechtsextreme im Sinne der Landnahme gar nicht gelingen, da rechtzeitig gehandelt wird.

Herr Adrian stellt das Eingreifen und Handeln des Verfassungsschutzes bei Kenntnis nicht in Frage. Er sieht das Problem, dass es der Verfassungsschutz erst einmal mitbekommen muss. Dies ist die Idee hinter dem Meldeportal. Als niedrigschwelliges Angebot kann man den Fall kurz schildern. Bei einer gewissen Häufung kann man dies an den Verfassungsschutz mit der Bitte um Überprüfung übergeben. Somit ist es eine Ergänzung und keine Parallelstruktur.

Herr Scherf bleibt bei seinem Standpunkt, direkt zu den Profis zu vermitteln. Das Angebot der BIGE ist bereits ein niedrigschwelliges Angebot. Herr Scherf fragt Frau Fischer, ob die Bewerbung des Angebotes der BIGE über die Homepage des Landratsamtes möglich ist.

Frau Fischer fragt Herrn Adrian, ob er denkt, dass die Menschen eine Hemmschwelle haben, sich bei der BIGE zu melden.

Herr Adrian antwortet, dass wahrscheinlich keine emotionale Hemmschwelle besteht, sich bei der BIGE zu melden. Aber es ist kaum bekannt, dass die BIGE existent ist und worin ihr Angebot besteht.

 

Herr Paulus berichtet, dass er als Vater von drei jugendlichen Töchtern in deren Chatgruppen und Kommentaren von Mitschüler*innen rechtsextreme Tendenzen erkannte. Ihm stellte sich auch die Frage, wie man damit umgeht oder wohin man sich wendet. Er sieht die BIGE als niedrigschwellige Beratungsstelle, die Handlungsempfehlungen aussprechen kann. Ihr Angebot muss mehr bekannt gemacht werden. In einer zusätzlichen Meldestelle sieht er nur mehr Bürokratie. Das Landratsamt soll das Angebot der BIGE bekannter machen. Gerne soll die BIGE nach ein bis zwei Jahren erneut berichten, in wieweit dies einen Effekt erzielt hat.

 

Herr Becker als Mitantragsteller freut sich über die Behandlung des Antrages an solch prominenter Stelle der Tagesordnung. Er fragt, ob die BIGE auch auf Social Media ein niedrigschwelliges Angebot hat, um dies zum Beispiel über Instagram leicht teilen und weiterverbreiten zu können, insbesondere an junge Leute, die oft betroffen sind.

Frau Fischer dankt für die Frage und nimmt den sehr guten Hinweis gerne mit. Aktuell besteht kein derartiges Angebot.

Herr Scherf unterbreitet den Vorschlag: In den nächsten Wochen soll sich sein Büro mit Frau Seidel und Frau Klassert im direkten Austausch mit Frau Fischer von der BIGE überlegen, was Sinnvolles im Landkreis etabliert werden kann, um die BIGE und ihr Angebot bekannter zu machen. Die Bürgermeister*innen können über ihre Homepage oder im Amtsblatt darauf hinweisen. Die Erfahrungen daraus sollen gesammelt und in einem Jahr besprochen werden. Die BIGE hat ein gutes Angebot. Dieses muss die Zielgruppe, die Betroffenen aber auch erreichen.

 

Frau Balleier hat sich viel mit der Querdenkerszene und den rechtsextremen Einflüssen im Landkreis Miltenberg befasst. Sie hat festgestellt, dass die Rechtsextremen auf den Widerspruch reagieren. Seit dem Anprangern von rechtsextremen Inhalten auf Telegram, seit dem Enttarnen von Personen und dem Offenlegen von Strukturen, versuchen die Rechtsextremen, dies alles aus ihren öffentlichen Auftritten herauszuhalten. Aber die Personen sind noch die gleichen. Aus Sicht von Frau Balleier erwächst daraus die Gefahr, dass man sich verunsichern lässt. Nach außen treten diese Personen zunehmend harmloser aus, sind aber der Wolf im Schafspelz. Man sollte deren Motivationen hinterfragen, sich nicht irritieren lassen im Widerspruch, nichts verharmlosen, die Augen offenhalten und auf das eigene Urteil vertrauen. Nicht alle sind so harmlos, wie sie sich gerne geben.

Herr Scherf dankt zustimmend für die Anmerkung. Auch der Bundespräsident hat darauf hingewiesen, dass sich nach der Corona-Pandemie die Feinde der Demokratie andere Themen suchen werden.

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