Tagesordnungspunkt

TOP Ö 6: Einrichtung einer interdisziplinären Kinderschutzgruppe am Klinikum Aschaffenburg - Beschluss

BezeichnungInhalt
Sitzung:27.11.2017   JHA/003/2017 
Beschluss:einstimmig beschlossen
DokumenttypBezeichnungAktionen

Die Mitglieder des Ausschusses fassen den einstimmigen

 

B e s c h l u s s:

 

Der Einrichtung einer interdisziplinären Kinderschutzgruppe für die Region 1 Bayerischer Untermain an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Aschaffenburg wird zugestimmt.


Herr Rätz trägt folgendes vor:

 

Ausgangslage:

 

Fast jedes zweite Kind in Deutschland macht im Laufe seines Lebens Erfahrungen mit Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch. Die Folgen können ein Leben lang andauern. Die Zeichen solcher Misshandlungen zu erkennen, ist für Personen, die darin ungeübt sind, schwierig. Die Zahl nicht erkannter Fälle von Kindeswohlgefährdungen ist deshalb hoch. Wenn eine Klinik wegen offensichtlicher Verletzungen aufgesucht wird, ist es entscheidend, dass die dort Tätigen dies als Gewalt erkennen und dann wissen, was zu tun ist. Das ist derzeit im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau nicht durchgängig gesichert.

 

Im Mai 2016 erhielt die Jugendhilfeverwaltung vom Jugendhilfeausschuss den Auftrag, mit den Jugendämtern der Stadt und des Landkreises Aschaffenburg, der Kinderklinik und der Landgerichtsärztin Frau Schäfer in Verhandlung zu treten, um eine Kinderschutzgruppe in der Region 1 einzurichten.

 

Sachstand:

 

Nach verschiedenen Gesprächen zwischen den Jugendämtern und der Landgerichtsärztin Frau Schäfer sowie internen Abstimmungen in den jeweiligen Gebietskörperschaften und dem Klinikum Aschaffenburg-Alzenau wurde im Oktober 2017 ein Konzept durch Frau Schäfer und Frau Moser, leitende Oberärztin an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Aschaffenburg, erstellt.

Dieses sieht als wesentliches Ziel der Kinderschutzgruppe die Sicherstellung eines koordinierten und standardisierten Vorgehens bei Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch vor. Hierfür soll eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe, die eine verbindliche und verlässliche Zusammenarbeit im Kinderschutz gewährleistet, gegründet werden. Für das Gelingen dieser Aufgabe wird die Einrichtung einer Koordinierungsstelle an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Aschaffenburg, die mit einer halben Stelle einer medizinischen Fachkraft besetzt werden und die organisatorischen Aufgaben übernehmen und Öffentlichkeitsarbeit betreiben soll, für erforderlich gehalten. Außerdem soll diese Stelle eine zentrale Informations- und Anlaufstelle in der Klinik für Ärzte und den Pflegebereich sein.

 

Die Arbeit der Kinderschutzgruppe dient dem Erkennen von Gewalt, der Behandlung, aber auch der Prävention zum Schutz der Kinder und Jugendlichen.

 

Geplantes weiteres Vorgehen:

 

- Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen den beteiligten Jugendämtern und der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Aschaffenburg

- Einrichtung einer Koordinierungsstelle

- Gründung der Gruppe mit notwendigen Vertretern verschiedener Fachrichtungen

- Information der Öffentlichkeit

 

Finanzielle Auswirkungen:

 

Für die Personal- und Sachausstattung wird von jährlichen Gesamtkosten zwischen 30.000 und 45.000 € ausgegangen. Hiervon sollen vom Landkreis Miltenberg ein Drittel der Kosten übernommen werden. Im den Jugendhilfehaushalten der Stadt und des Landkreises Aschaffenburg werden jeweils 10.000,- Euro für kommendes Jahr eingestellt. Deshalb wurden im Jugendhilfehaushalt des Landkreises Miltenberg für 2018 ebenfalls 10.000 € eingestellt.

Landrat Scherf hält fest, dass es zum einen eine sehr wichtige Initiative des Freistaates Bayern sei.

Zweitens nehme er Bezug auf die Landgerichtsärztin Frau Schäfer, die schon mehrfach Vorträge gehalten habe, die all diejenigen auf sehr schmerzhafte Weise von der Vorstellung geheilt habe, dass man in der Region hier in einer heilen Welt lebe. Das seien Veranstaltungen gewesen, wo man sich vergegenwärtigen musste, in welch brutalster und gefühllosester Art und Weise Kinder und junge Menschen, auch in unserer Region, misshandelt würden, weshalb man es eben nicht dem Zufall überlassen dürfe, dass in der Kinderklinik das wirklich erkannt werde. Deshalb sei ein strukturiertes Vorgehen wirklich wichtig.

Drittens sei es ein Projekt, das in der Region Bayerischer Untermain mit Stadt und Landkreis Aschaffenburg abgesprochen sei, um dieses gemeinsam voranzutreiben.

 

Kreisrätin Dolzer-Lausberger möchte wissen, ob es negative Auffälligkeiten gegeben habe, weil dieses Projekt jetzt angegangen werde. Außerdem fragt sie, ob diese Halbtagskraft eine heilpädagogische oder medizinische Fachkraft sei.

 

Herr Rätz antwortet, dass die Fachkraft noch nicht gefunden sei und sie vom Klinikum Aschaffenburg selber eingestellt werde. Er gehe davon aus, dass es eine Kinderpflegerin mit medizinischem Hintergrund sei. Sie sei keine Ärztin, solle aber eng mit den Ärzten dort zusammenarbeiten.

Herr Rätz ergänzt noch zu seinem Vortrag, was selten in solchen schockierenden Fällen gemacht werde, sei eine Fotodokumentation. In der Klinik würden dann auch gleichzeitig gerichtsverwertbare Fotos gefertigt. Der Prozess der Qualitätssicherung solle auf jeden Fall voranschreiten. Man verspreche sich davon auch, dass es für alle Seiten in so einer stressigen Situation eine Entlastung und eine Professionalisierung gebe.

Es gebe allerdings keine akuten Anlässe. Den Kinderschutz an der Stelle habe man durchgängig gesichert. Dies sei auch sehr wichtig, dass man ganz zeitnah bei solchen Fällen überprüfe und einschreite.

 

Kreisrat Dr. Fahn möchte zu den finanziellen Auswirkungen wissen, ob der Betrag von 30.000 bis 45.000 Euro insgesamt reichen werde. Für eine Fachkraft im heilpädagogischen Bereich müsse der Betrag seiner Meinung nach höher sein.

Zur Einrichtung einer Koordinierungsstelle fragt er, ob das ein Büro oder ein Raum sei, der zur Verfügung gestellt werde, weil dann dafür auch noch Kosten entstünden. Er möchte eine Aufschlüsselung, was im Einzelnen geplant sei.

 

Herr Rätz antwortet, dass der Betrag von 30.000 bis 45.000 Euro für eine Halbtagsstelle gedacht sei, der nur die Personalkosten abdecke. Wer letztendlich die Sachkosten trage, sei noch nicht geregelt. Angedacht sei, dass es ein festes Büro im Klinikum gebe, was das Klinikum ausstatte.

 

Kreisrat Dr. Hermann sagt, dass man eine solche Einrichtung wärmstens begrüßen müsse. Aus praktischer eigener Erfahrung sei es ganz besonders wichtig, da nicht alle Battered-Child-Symptome (Anmerkung: Das Battered Child Syndrom wird meistens unter der Bezeichnung Kindesmisshandlung geführt) im Klinikum und in der Kinderklinik in Aschaffenburg landen, dass man junge Ärzte schult, damit man Kindermisshandlungen erkennt. Deshalb sei die Einrichtung an solch einer Stelle sehr zu begrüßen. Man dürfe nicht vergessen, dass die meisten dieser Kinder eben nicht gerade in der Klinik landen, sondern das sind Unfallverletzungen, die bei Orthopäden, Chirurgen im Klinikum Erlenbach oder Miltenberg landen. Dies müsse man unbedingt bedenken.

 

Landrat Scherf stimmt Kreisrat Dr. Hermann zu. Deswegen hätten auch bereits in der Vergangenheit viele Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen sowohl für Ärzte als auch für Pädagogen stattgefunden, um dafür zu sensibilisieren. Die Arbeit beschränke sich nicht auf das Klinikum.

 

Kreisrätin Passow fragt, wie viele Fälle für den Bereich Klinikum Aschaffenburg registriert worden seien bzw. von welcher Dunkelziffer ausgegangen werden kann.

 

Landrat Scherf antwortet, dass Frau Schäfer der Verwaltung auf diese Frage zurückgemeldet habe, dass sie momentan von etwa 30 Fällen pro Jahr am Bayerischen Untermain ausgehe. Die steigende Tendenz erkläre sich auch dadurch, dass nach den Erfahrungen anderer Gruppen diese Zahlen ansteigen, weil das Dunkelfeld aufgehellt werde.

 

Bezugnehmend auf Herr Rätz Aussage, dass er davon ausgehe, dass eine Kinderpflegerin mit medizinischem Hintergrund eingestellt werde, erklärt Herr Keller, wenn dieses Thema mit einer hohen und qualitativen Wertigkeit belegt werde, würde er sich noch bitte die Überlegung stellen, ob eine Kinderpflegerin von der Ausbildung her an dieser Stelle das richtige Ausbildungsniveau sei. Die Diakonie habe in der Kindertagesstätte eine Kinderpflegerin als Ergänzungskraft zu einer Fachkraft. Er regt nochmals an, zu überdenken, ob nicht eine Fachkraft die richtige Ausstattung an dieser Stelle wäre, weil es doch komplexe Vorgänge sind, die zu beurteilen seien, und weil die Verantwortung ziemlich groß sei.

 

Herr Rätz antwortet, dass man natürlich immer besser qualifiziertes Personal haben möchte. Diese Stelle stünde keinesfalls alleine im luftleeren Raum, trage keinesfalls einzig und allein die Verantwortung auf ihren Schultern und müsse die Entscheidung treffen. Im Gegenteil sorge sie dafür, dass die Fachkräfte, sprich die Ärzte, die Kinder- und Jugendtherapeuten eine Anlaufstelle hätten und dort auch Wissen bündeln könnten. Es sei vielmehr eine Koordination von Wissen und eine Sicherstellung, gerade auch in den Landkreis hinein. Herr Rätz bezweifelt, ob die Ausbildung den ausschlaggebenden Effekt erziele. Er hoffe, dass das Klinikum in Aschaffenburg die Kraft mit der richtigen Einstellung findet, um das voranzutreiben.

 

Landrat Scherf stellt fest, dass man mitten in der Konzeptentwicklung sei, deswegen solle man das Ganze heute nicht final betrachten. Er möchte nicht, dass die Pflegeberufe hier als zu geringwertig erachtet werden, denn die Altenpflege, die Kinderpflege und die Kinderkrankenpflege hätten eine sehr hohe Profession. Er gehe davon aus, dass bei der Auswahl darauf geachtet werde, dass jemand die notwendige Qualifikation mitbringe. Landrat Scherf macht das Angebot, im Frühjahr dieses Thema nochmals auf die Tagesordnung zu setzen. Dann werde darüber informiert, wie sich die Konzeptentwicklung konkretisiert habe. Die beiden anderen Gebietskörperschaften hätten erklärt, dass sie bereit seien, die Einrichtung einer solchen Koordinierungsstelle, angesiedelt am Klinikum Aschaffenburg, mit zu unterstützen, indem sie jeweils 10.000 Euro zu den Personalkosten tragen würden. Die Aufgabe des Jugendhilfeausschusses wäre es heute, den Beschluss zu fassen, das mitzutragen, damit weiter daran gearbeitet werden könne, eine solche Stelle analog zu den positiven Erfahrungen in anderen Regionen in Deutschland weiter voranzutreiben.

 

Kreisrat Dr. Fahn fände es wichtig, dass alle drei Gebietskörperschaften ein Mitspracherecht bei der Einstellung hätten, weil sie dies auch finanzierten.

Weiterhin möchte er die Quelle wissen, wie in der Vorlage geschrieben, dass jedes zweite Kind Erfahrungen mit Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch habe. Diese Zahl empfindet er als zu hoch.

 

Landrat Scherf bietet an, im nächsten Jahr zu dem Thema einen Fachvortrag halten zu lassen. Er stimmt Kreisrat Dr. Fahn zu, dass jedes zweite Kind zu viel sei. Es sei aber nicht übertrieben, dass jedes zweite Kind Erfahrungen mit Gewalt mache. Dies sei die Realität. Es sei zum Glück nicht immer diese brutale Erfahrung, wie es in der Region auch schon vorkomme, dass ein zweijähriges Kind auf die glühend heiße Herdplatte gesetzt werde. Dies seien Extremformen, aber jedes zweite Kind mache seine Erfahrungen mit Gewalt. Davor sollte man die Augen nicht verschließen. Man müsse es anders sehen. Jedes Kind, das schreckliche Erfahrungen mache, habe ein Anrecht auf Unterstützung und Hilfe. Dies sei die Aufgabe.

Landrat Scherf schlägt vor, das gesamte Verfahren nicht zu komplizieren. Wenn man jetzt als Gebietskörperschaft sage, man wolle die Einstellungsentscheidung in ein Gremium hineinziehen, dann gelte das in gleicher Weise für den Stadtrat und den Kreistag Aschaffenburg. Dann werde man diese Gruppe frühestens zum 01.01.2019 starten lassen können. Sinn des Tagesordnungspunktes heute sei, dass das Gremium signalisiere, dass man diesen Weg genau wie die anderen beiden Gebietskörperschaften weitergehe. Die Verwaltung nehme die Impulse fachlicherseits, die heute aus dem Gremium gekommen seien, mit und werde diese Interessen dahingehend vertreten, dass nicht nur eine solche Koordinierungsstelle geschaffen werde, sondern dass sie auch wirkungsvoll sei.

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