08.04.2019

Pressemitteilung Doping-Prävention ist unerlässlich

Doping – ein komplexes Thema, das polarisiert und auch nur schwer zu diskutieren ist. Dass dies dennoch möglich ist, bewies die No-Doping-Diskussion am Donnerstagabend in der Mittelmühle Bürgstadt. Sie bildete den Auftakt zu einer Kampagne, die bis 2023 laufen wird und Vorträge sowie diverse Projekte zur Prävention umfasst.

Angestoßen von Ludwig Martin Büttner (Miltenberg) und umgesetzt von der Deutschen Olympischen Gesellschaft (Kreisgruppe Miltenberg), dem Sportreferat im Landratsamt Miltenberg, der BLSV-Kreisgruppe Miltenberg und dem Staatlichen Schulamt Miltenberg, sollen zahlreiche Themen gemeinsam mit den Schulen diskutiert werden. Das sei notwendig, sagte Landrat Jens Marco Scherf und dankte für diese Initiative, denn man erlebe Doping nicht nur im Leistungssport. In allen gesellschaftlichen Bereichen werde man mit den negativen Folgen eines selbst oder fremddefinierten zügellosen Leistungsdrucks konfrontiert. „Deshalb ist die offene Auseinandersetzung mit Doping / Leistungssteigerung für alle ein Gewinn“, sagte er und übergab das Wort an Initiator Ludwig Martin Büttner, der die Ziele der Kampagne vorstellte.

Als Moderator Wolf-Dieter Poschmann noch ZDF-Sportchef war, sei es seinen Worten zufolge immer schwer gewesen, Gäste zum Thema Doping für das Sportstudio zu gewinnen. Das Podium in Bürgstadt sei dagegen „erste Sahne“, sagte er vor über 100 Gästen im sehr gut gefüllten Foyer der Mittelmühle. Auf dem Podium saßen der Sportanwalt und neue Leiter der Dopingopferhilfe Dr. Michael Lehner, Professor Dr. Mario Thevis (Deutsche Sporthochschule Ko¨ln, Leiter des Dopinglabors), BLSV-Vizepräsident Leistungssport Harald Stempfer, der Justitiar und Dopingbeauftragte des Deutschen Ruderverbands Stefan Felsner die EM-Goldmedaillengewinnerin 2010 mit der 4x400 Meter Staffel, Fabienne Kohlmann.

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Fabienne Kohlmann akzeptiert die unangekündigten Doping-Kontrollen als „notwendiges Übel“, da sie will, dass ihre Leistung als echte Leistung anerkannt wird.

Besondere Aktualität gewann die Diskussion mit der Anwesenheit Michael Lehners, der auch den kürzlich festgenommenen Langläufer Johannes Dürr vertritt. Er hat, wie in den Medien verlautete, Blutdoping gestanden. Lehner selbst fand klare Worte: „Dürrs moralischer Kompass hat ihn fehlgeleitet.“ Es gebe für jeden Sportler einen Punkt, an dem er Ja oder Nein sagen kann. „Es ist toll, wenn man Nein sagen kann“, stellte er fest. Er habe den Eindruck, dass Dürrs Geständnis „eine riesige Erleichterung“ für ihn gewesen sei. Der Druck auf Dürr sei so groß gewesen, dass er offenbar keinen anderen Ausweg gewusst habe, als zu dopen, vermutete Lehner.

In der Diskussion stellte sich heraus, dass Sportler Druck brauchen, um Leistung zu bringen. Druck, so Wolf-Dieter Poschmann, sei an für sich nicht schlecht, denn nur so könne man Ziele erreichen. Zudem, wandte Harald Stempfer ein, wollten Vereine und die Sportler den Aufstieg in die Weltspitze. Die Öffentlichkeit sei auch schnell „mit dem Fallbeil unterwegs“, wenn Sportler keine Leistung bringen. Er gab zu bedenken, dass viele Sportlerinnen und Sportler schon in jungen Jahren Druck von Trainern, Elternhaus und Schule ausgesetzt sind. Da dürfe man die Frage stelle, wie viel Druck ein junger Mensch vertragen kann. Für Fabienne Kohlmann muss das Ziel sein, mündige Athleten zu schaffen. „Deshalb ist die Prävention wahnsinnig wichtig“, sagte sie, denn es gebe Werte, die wichtiger seien als der Erfolg.

Dazu komme laut Michael Lehner, dass Sportler mit Doping ganz allmählich in Berührung kommen: „Es fängt immer ganz harmlos im legalen Bereich an.“ Eine wichtige Rolle als Mittler zwischen der NADA und den Athleten spielt Stefan Felsner. Er berichtete von großem Redebedarf bei Athleten, die an die Weltspitze herangeführt werden. Top-Athleten dagegen bräuchten keine Ratschläge mehr im Umfang mit den Doping-Kontrollen. Fabienne Kohlmann erklärte die Kontrollen. Sie muss jedes Vierteljahr im Vorhinein angeben, wo sie sein wird. Diese Angaben kann sie bei Veränderungen aktualisieren. In manchen sogenannten Testpools müsse man sogar angeben, wo man an welchem Tag für eine Stunde garantiert erreichbar ist. „Die meisten geben die Zeit zwischen 6 und 7 Uhr zuhause an“, berichtete sie. Ein „notwendiges Übel“ sei das, denn sie wolle, „dass meine Leistung als echte Leistung anerkannt wird.“
Dass die zeitliche Verfügbarkeit wichtig ist, bestätigte der Leiter des Dopinglabors, Mario Thevis. „Viele Substanzen sind nur kurzfristig nachzuweisen“, begründete er das Vorgehen der Kontrolleure, zwischen 6 und 23 Uhr unangekündigt aufzutauchen. Dazu gebe es kaum Alternativen, fand er. Das funktioniere in Deutschland sehr gut, sagte er und empfahl allen Sportlern, dies als „Visitenkarte“ zu nutzen. Ob die aufwendigen Kontrollen den Ertrag wert sind, wollte Poschmann wissen und bekam von Michael Lehner eine klare Antwort: „Der Ertrag ist die Abschreckung.“ Zum Aufwand nannte Stefan Felsner Zahlen: Demnach zahlt der Deutsche Ruderverband einen Großteil der Kontrollkosten von 130.000 Euro pro Jahr an die Antidopingagentur.

„Ohne die Kontrollen würde deutlich mehr Missbrauch betrieben“, zeigte sich Mario Thevis überzeugt und wies darauf hin, dass sich die Liste der verbotenen Substanzen ständig ändert – sei es Koffein, EPO oder Ephedrin. Die Analytik verbessere sich ständig, so dass Nachkontrollen mittlerweile sehr erfolgreich seien. Man arbeite auch daran, den Eingriff in die Privatsphäre der Athletinnen und Athleten so gering wie möglich zu halten. So gebe es mittlerweile zwei vielversprechende neue Möglichkeiten: Zum einen die Entnahme von nur einem Tropfen Blut, zum anderen die Atemluftanalyse. Beide Methoden ermöglichten die Tests auf eine Vielzahl von Substanzen.

Als das Anti-Doping-Gesetz 2016 kam, hätten die Verbände dies nur unter politischem Druck akzeptiert, blickte Wolf-Dieter Poschmann zurück. Damals, erinnerte sich Harald Stempfer, hätten die Verbände nicht die Erkenntnisse gehabt, die sie heute haben. Dass das Gesetz richtig war, stellte Stefan Felsner fest: „Ohne das Gesetz wären die Erfolge gegen das Doping nicht möglich. „Die kürzlich getätigte Aussage von Thomas Bach (IOC), der Krieg gegen Doping sei nicht zu gewinnen, kritisierten die Podiumsgäste als Bankrotterklärung. Man dürfe nie aufgeben, das System so sauber wie möglich zu bekommen, so Harald Stempfer. Es sei festzustellen, dass auch der Sport ein Spiegelbild der Gesellschaft sei, so die Meinung auf dem Podium, überall sänken Hemmschwellen.

Ob Sponsoren Druck auf die Sportlerinnen und Sportler ausüben, lautete eine Frage aus dem Publikum. Fabienne Kohlmanns Antwort war eindeutig: „Ich mache Sport, weil ich es toll finde.“ Es sei für sie undenkbar, im Ziel an Werbeverträge zu denken. Auch für Johannes Dürr sei dies nicht der Grund für Doping gewesen, so Michael Lehner: „Er hat es gemacht, weil er gewinnen wollte.“ Auf die Frage nach der Auswahl der ZDF-Moderatorin Kristin Otto fand Poschmann klare Worte: „Ich schätze sie sehr.“ Sie habe ihm gesagt, dass sie davon ausgehe, in jungen Jahren gedopt worden zu sein. Als junge Schwimmerin in der DDR habe sie sich auch nie getraut zu fragen, welche Tablette sie genommen hat. Im Leben danach habe Otto nie ihren Promi-Bonus genutzt und sich alles hart erarbeitet. Michael Lehner stimmte zu: „Kristin Otto ist ein Doping-Opfer!“ Das lasse sich klar aus den Gerichtsunterlagen entnehmen.
Die abschließende Frage, ob Fabienne Kohlmann „stinkig“ darüber sei, erst acht Jahre nach ihrem EM-Wettkampf aufgrund Dopings der damaligen Siegerinnen die Goldmedaille bekommen zu haben, beantwortete sie kurz und knapp: „Ja“. Der Kugelstoßerin Nadine Kleinert erging es im Übrigen noch viel schlimmer: Sie wurde bereits 15 Mal nachträglich in den Gewinnrängen hochgestuft. 

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Das hochkarätig besetzte Podium diskutiert unter Moderation von Wolf-Dieter Poschmann zahlreiche Facetten des Themas Doping. 

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